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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Heilgymnastik im Altertum.

angestellt werden, können von ärztlicher Seite zur Stärkung des Körpers em¬
pfohlen werden, und alle Bewegungen, welche die Hüften, die Beine, die Arme,
die Brust, den Rücken, die Lunge und die Sprachwerkzeuge irgendwie anstrengen,
haben die wohlthätigsten Folgen für das Gesamtbefinden. Auch die sogenannten
passiven Bewegungen, wie Reiten, Fahren, Segeln, Schaukeln in Hängematten
oder mit Wicgevorrichtungen versehenen Bettgestellen, werden von Galen zur
Gymnastik gerechnet.

Noch gründlicher und mit erschöpfender, ja peinlicher Genauigkeit hat das
Thema der Leibesübungen Antyllus behandelt, einer der bedeutendsten Ärzte
des ausgehenden Altertums/) besonders berühmt als Chirurg und als Erfinder
des Luftröhrenschnities, aber auch in der allgemeinen Gesundheitslehre gründlich
bewandert. Wer die ganze Summe der Beobachtungen, welche die medizinische
Wissenschaft des Altertums über die Diätetik der Leibesübungen gemacht hat,
kennen lernen will, muß die Bruchstücke von Autyllus' Schrift: "Über die
Selbstbehciudluug" zur Hand nehmen. ,

Antyllus beginnt seine Ausführungen mit dem Nutzen des Spazieren¬
gehens als der einfachsten aller Bewegungen. Regelmäßiges Spazierengehen,
lehrt er, befördert die Ableitung der Säfte vom Kopfe, und dient daher nicht
bloß zur Hebung bestimmter örtlicher Leiden, wie Kopf- und Augenschmerzen
oder Bauch- und Brustweh, sondern es versetzt auch den Körper nach er¬
schöpfenden Anstrengungen oder starken Brechmitteln, die man bekanntlich im
Altertume bei jeder Gelegenheit anwandte, wieder in das erwünschte Gleich¬
gewicht. Es erweicht die angespannten Körperteile, erleichtert die Atmung,
kräftigt die Sinne und den Unterleib und beseitigt die Übeln Folgen einer allzu
starken Ermüdung. Man kann die Spaziergänge zur Kur, aber auch als bloßes
Schutzmittel anwenden. Im erstem Falle müssen sie stark und anhaltend sein,
man soll dabei kräftig mit den Füßen auftreten und lieber auf der Ferse als
auf der Sohle gehen. Im andern Falle soll man ohne Anstrengung zu Werke
gehen; man soll sich früh nach dem Aufstehen Bewegung machen, nach dem
Essen oder vor stärkern Leibesübungen, wie das im wesentlichen schon Hippo-
krates gelehrt hat. Man hat beobachtet, sagt Antyllus, daß das Gehen auf
den Fußspitzen ganz besonders heilsam bei schwerer Verdauung und bei Augen¬
leiden ist. Was das für Augenleiden sind, wird leider nicht gesagt, dürfte auch
nicht leicht zu erraten sein. Dann folgen Angaben über die verschiedenartigen
Einflüsse der Bodenbeschaffenheit und die Art, wie dadurch die Wirksamkeit der
Bewegungen beeinträchtigt oder gefördert wird. Kurzatmige Personen sollen
steigen; bergab gehen ermüdet zwar die Beine, ist aber besonders wirksam, um
die Säfte vom Kopfe nach unten zu leiten; doch darf der Abstieg nicht zu
schroff sein, sonst schadet die Bewegung dem Kopfe. Im Sande und auf ge-



Er hat im dritten oder vierten Jahrhundert nach Chr. gelebt.
Heilgymnastik im Altertum.

angestellt werden, können von ärztlicher Seite zur Stärkung des Körpers em¬
pfohlen werden, und alle Bewegungen, welche die Hüften, die Beine, die Arme,
die Brust, den Rücken, die Lunge und die Sprachwerkzeuge irgendwie anstrengen,
haben die wohlthätigsten Folgen für das Gesamtbefinden. Auch die sogenannten
passiven Bewegungen, wie Reiten, Fahren, Segeln, Schaukeln in Hängematten
oder mit Wicgevorrichtungen versehenen Bettgestellen, werden von Galen zur
Gymnastik gerechnet.

Noch gründlicher und mit erschöpfender, ja peinlicher Genauigkeit hat das
Thema der Leibesübungen Antyllus behandelt, einer der bedeutendsten Ärzte
des ausgehenden Altertums/) besonders berühmt als Chirurg und als Erfinder
des Luftröhrenschnities, aber auch in der allgemeinen Gesundheitslehre gründlich
bewandert. Wer die ganze Summe der Beobachtungen, welche die medizinische
Wissenschaft des Altertums über die Diätetik der Leibesübungen gemacht hat,
kennen lernen will, muß die Bruchstücke von Autyllus' Schrift: „Über die
Selbstbehciudluug" zur Hand nehmen. ,

Antyllus beginnt seine Ausführungen mit dem Nutzen des Spazieren¬
gehens als der einfachsten aller Bewegungen. Regelmäßiges Spazierengehen,
lehrt er, befördert die Ableitung der Säfte vom Kopfe, und dient daher nicht
bloß zur Hebung bestimmter örtlicher Leiden, wie Kopf- und Augenschmerzen
oder Bauch- und Brustweh, sondern es versetzt auch den Körper nach er¬
schöpfenden Anstrengungen oder starken Brechmitteln, die man bekanntlich im
Altertume bei jeder Gelegenheit anwandte, wieder in das erwünschte Gleich¬
gewicht. Es erweicht die angespannten Körperteile, erleichtert die Atmung,
kräftigt die Sinne und den Unterleib und beseitigt die Übeln Folgen einer allzu
starken Ermüdung. Man kann die Spaziergänge zur Kur, aber auch als bloßes
Schutzmittel anwenden. Im erstem Falle müssen sie stark und anhaltend sein,
man soll dabei kräftig mit den Füßen auftreten und lieber auf der Ferse als
auf der Sohle gehen. Im andern Falle soll man ohne Anstrengung zu Werke
gehen; man soll sich früh nach dem Aufstehen Bewegung machen, nach dem
Essen oder vor stärkern Leibesübungen, wie das im wesentlichen schon Hippo-
krates gelehrt hat. Man hat beobachtet, sagt Antyllus, daß das Gehen auf
den Fußspitzen ganz besonders heilsam bei schwerer Verdauung und bei Augen¬
leiden ist. Was das für Augenleiden sind, wird leider nicht gesagt, dürfte auch
nicht leicht zu erraten sein. Dann folgen Angaben über die verschiedenartigen
Einflüsse der Bodenbeschaffenheit und die Art, wie dadurch die Wirksamkeit der
Bewegungen beeinträchtigt oder gefördert wird. Kurzatmige Personen sollen
steigen; bergab gehen ermüdet zwar die Beine, ist aber besonders wirksam, um
die Säfte vom Kopfe nach unten zu leiten; doch darf der Abstieg nicht zu
schroff sein, sonst schadet die Bewegung dem Kopfe. Im Sande und auf ge-



Er hat im dritten oder vierten Jahrhundert nach Chr. gelebt.
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[0178] Heilgymnastik im Altertum. angestellt werden, können von ärztlicher Seite zur Stärkung des Körpers em¬ pfohlen werden, und alle Bewegungen, welche die Hüften, die Beine, die Arme, die Brust, den Rücken, die Lunge und die Sprachwerkzeuge irgendwie anstrengen, haben die wohlthätigsten Folgen für das Gesamtbefinden. Auch die sogenannten passiven Bewegungen, wie Reiten, Fahren, Segeln, Schaukeln in Hängematten oder mit Wicgevorrichtungen versehenen Bettgestellen, werden von Galen zur Gymnastik gerechnet. Noch gründlicher und mit erschöpfender, ja peinlicher Genauigkeit hat das Thema der Leibesübungen Antyllus behandelt, einer der bedeutendsten Ärzte des ausgehenden Altertums/) besonders berühmt als Chirurg und als Erfinder des Luftröhrenschnities, aber auch in der allgemeinen Gesundheitslehre gründlich bewandert. Wer die ganze Summe der Beobachtungen, welche die medizinische Wissenschaft des Altertums über die Diätetik der Leibesübungen gemacht hat, kennen lernen will, muß die Bruchstücke von Autyllus' Schrift: „Über die Selbstbehciudluug" zur Hand nehmen. , Antyllus beginnt seine Ausführungen mit dem Nutzen des Spazieren¬ gehens als der einfachsten aller Bewegungen. Regelmäßiges Spazierengehen, lehrt er, befördert die Ableitung der Säfte vom Kopfe, und dient daher nicht bloß zur Hebung bestimmter örtlicher Leiden, wie Kopf- und Augenschmerzen oder Bauch- und Brustweh, sondern es versetzt auch den Körper nach er¬ schöpfenden Anstrengungen oder starken Brechmitteln, die man bekanntlich im Altertume bei jeder Gelegenheit anwandte, wieder in das erwünschte Gleich¬ gewicht. Es erweicht die angespannten Körperteile, erleichtert die Atmung, kräftigt die Sinne und den Unterleib und beseitigt die Übeln Folgen einer allzu starken Ermüdung. Man kann die Spaziergänge zur Kur, aber auch als bloßes Schutzmittel anwenden. Im erstem Falle müssen sie stark und anhaltend sein, man soll dabei kräftig mit den Füßen auftreten und lieber auf der Ferse als auf der Sohle gehen. Im andern Falle soll man ohne Anstrengung zu Werke gehen; man soll sich früh nach dem Aufstehen Bewegung machen, nach dem Essen oder vor stärkern Leibesübungen, wie das im wesentlichen schon Hippo- krates gelehrt hat. Man hat beobachtet, sagt Antyllus, daß das Gehen auf den Fußspitzen ganz besonders heilsam bei schwerer Verdauung und bei Augen¬ leiden ist. Was das für Augenleiden sind, wird leider nicht gesagt, dürfte auch nicht leicht zu erraten sein. Dann folgen Angaben über die verschiedenartigen Einflüsse der Bodenbeschaffenheit und die Art, wie dadurch die Wirksamkeit der Bewegungen beeinträchtigt oder gefördert wird. Kurzatmige Personen sollen steigen; bergab gehen ermüdet zwar die Beine, ist aber besonders wirksam, um die Säfte vom Kopfe nach unten zu leiten; doch darf der Abstieg nicht zu schroff sein, sonst schadet die Bewegung dem Kopfe. Im Sande und auf ge- Er hat im dritten oder vierten Jahrhundert nach Chr. gelebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/178>, abgerufen am 05.06.2024.