Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der deutsche Bund.

in den hier dargelegten Gesinnungen und Ansichten vollkommen einverstanden sind,
dem schönen Zwecke der Befreiung Deutschlands von fremdem Joche Ihre höchsten
Anstrengungen jederzeit gewidmet sein lassen u. s. w.

Es ist dies gewiß ein höchst merkwürdiges Schriftstück aus jener großen
Zeit, das in vielen Beziehungen dem unvergeßlichen Aufrufe "An mein Volt"
an die Seite gestellt werden kann. Die begeisterte, zündende Sprache, die in dem
Aufrufe herrscht, kounte sicher nicht verfehlen, auf Tausende von Herzen einen
mächtigen Eindruck hervorzubringen und die heilige Flamme der Vaterlandsliebe
zu höherer Glut anzufachen. Trotzdem ist in dieser Urkunde vieles auffallend,
ja fast unbegreiflich. Schon die Form, in der sie abgefaßt ist, ist höchst
wunderbar. Die Verbündeten Monarchen reden nicht persönlich zu den Völkern,
sondern der russische Oberbefehlshaber, Fürst Kutusow, allein hat den Aufruf
unterzeichnet, und die Monarchen selbst treten nur in der dritten Person ans.
Obschon nicht zu bezweifeln ist, daß der Feldherr einen so wichtigen Schritt
nicht gethan hat, ohne die Bewilligung und Genehmigung der Herrscher einzu¬
holen, so wird doch auch an keiner Stelle ausdrücklich ausgesprochen und betont,
daß er im Namen und im Auftrage der verbündeten Monarchen das sagt, was er
sagt, und es gerade so sagt, wie er es sagt. Anfänglich steht der König von Preußen,
wen" auch stark in zweiter Stelle, doch noch immer neben dem russischen Kaiser;
späterhin aber ist nur von dem Zaren allein die Rede. Höchst auffällig ist es
doch gewiß, daß der Fürst, der doch unstreitig der nächst- und meistbeteiligte war,
so in den Hintergrund gedrängt wird. Vergleicht man nun den Inhalt dieses
Aufrufes mit dem vom 17. März 1813, so füllt sofort ein großer Unterschied
in die Augen. In dem letztern ist alles klar, einfach und für jeden erkenntlich,
die Gründe des Kampfes ebenso wie die Ziele desselben. In der Proklamation
von Kalisch jedoch ist vieles unklar, nebelhaft und verschwommen. Ob der
wirkliche Urheber dieses Schriftstückes selbst eine feste und bestimmte Vorstellung
davon gehabt hat, wie denn dieses "ehrwürdige Reich, das ans dem ureigner
Geiste des deutschen Volkes hervorgehen sollte," eigentlich beschaffen sein, in
welcher Weise es wieder hergestellt werden sollte, ist gewiß ziemlich fraglich,
es müßte denn der Verfasser mehr ein edler, aber unklarer Schwärmer, als ein
scharfer politischer Kopf gewesen sein. Ein solcher hätte sich doch sicher die
Frage vorgelegt, ob die Erfüllung der gegebenen Verheißungen überhaupt im
Bereiche der Möglichkeit liege, und über diese Frage hätten ihm unfehlbar
manche bange Zweifel aufsteigen müssen.

Einen gewaltigen moralischen Erfolg, einen großen Einfluß auf den Auf¬
schwung der Geister und die Erhebung des Volkes, allerdings fast ausschließlich
in Preußen und den vormals preußischen Landen, hat der Ausruf von Kalisch
unzweifelhaft geübt. Aber in den eigentlichen Rheinbundsstaaten fehlte auch
dieser gänzlich. Einen praktischen Erfolg hat er niemals gehabt, wie denn auch
später die amtliche diplomatische Welt mit der Bemerkung, daß der Aufruf eines


Der deutsche Bund.

in den hier dargelegten Gesinnungen und Ansichten vollkommen einverstanden sind,
dem schönen Zwecke der Befreiung Deutschlands von fremdem Joche Ihre höchsten
Anstrengungen jederzeit gewidmet sein lassen u. s. w.

Es ist dies gewiß ein höchst merkwürdiges Schriftstück aus jener großen
Zeit, das in vielen Beziehungen dem unvergeßlichen Aufrufe „An mein Volt"
an die Seite gestellt werden kann. Die begeisterte, zündende Sprache, die in dem
Aufrufe herrscht, kounte sicher nicht verfehlen, auf Tausende von Herzen einen
mächtigen Eindruck hervorzubringen und die heilige Flamme der Vaterlandsliebe
zu höherer Glut anzufachen. Trotzdem ist in dieser Urkunde vieles auffallend,
ja fast unbegreiflich. Schon die Form, in der sie abgefaßt ist, ist höchst
wunderbar. Die Verbündeten Monarchen reden nicht persönlich zu den Völkern,
sondern der russische Oberbefehlshaber, Fürst Kutusow, allein hat den Aufruf
unterzeichnet, und die Monarchen selbst treten nur in der dritten Person ans.
Obschon nicht zu bezweifeln ist, daß der Feldherr einen so wichtigen Schritt
nicht gethan hat, ohne die Bewilligung und Genehmigung der Herrscher einzu¬
holen, so wird doch auch an keiner Stelle ausdrücklich ausgesprochen und betont,
daß er im Namen und im Auftrage der verbündeten Monarchen das sagt, was er
sagt, und es gerade so sagt, wie er es sagt. Anfänglich steht der König von Preußen,
wen» auch stark in zweiter Stelle, doch noch immer neben dem russischen Kaiser;
späterhin aber ist nur von dem Zaren allein die Rede. Höchst auffällig ist es
doch gewiß, daß der Fürst, der doch unstreitig der nächst- und meistbeteiligte war,
so in den Hintergrund gedrängt wird. Vergleicht man nun den Inhalt dieses
Aufrufes mit dem vom 17. März 1813, so füllt sofort ein großer Unterschied
in die Augen. In dem letztern ist alles klar, einfach und für jeden erkenntlich,
die Gründe des Kampfes ebenso wie die Ziele desselben. In der Proklamation
von Kalisch jedoch ist vieles unklar, nebelhaft und verschwommen. Ob der
wirkliche Urheber dieses Schriftstückes selbst eine feste und bestimmte Vorstellung
davon gehabt hat, wie denn dieses „ehrwürdige Reich, das ans dem ureigner
Geiste des deutschen Volkes hervorgehen sollte," eigentlich beschaffen sein, in
welcher Weise es wieder hergestellt werden sollte, ist gewiß ziemlich fraglich,
es müßte denn der Verfasser mehr ein edler, aber unklarer Schwärmer, als ein
scharfer politischer Kopf gewesen sein. Ein solcher hätte sich doch sicher die
Frage vorgelegt, ob die Erfüllung der gegebenen Verheißungen überhaupt im
Bereiche der Möglichkeit liege, und über diese Frage hätten ihm unfehlbar
manche bange Zweifel aufsteigen müssen.

Einen gewaltigen moralischen Erfolg, einen großen Einfluß auf den Auf¬
schwung der Geister und die Erhebung des Volkes, allerdings fast ausschließlich
in Preußen und den vormals preußischen Landen, hat der Ausruf von Kalisch
unzweifelhaft geübt. Aber in den eigentlichen Rheinbundsstaaten fehlte auch
dieser gänzlich. Einen praktischen Erfolg hat er niemals gehabt, wie denn auch
später die amtliche diplomatische Welt mit der Bemerkung, daß der Aufruf eines


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202287"/>
          <fw type="header" place="top"> Der deutsche Bund.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_683" prev="#ID_682"> in den hier dargelegten Gesinnungen und Ansichten vollkommen einverstanden sind,<lb/>
dem schönen Zwecke der Befreiung Deutschlands von fremdem Joche Ihre höchsten<lb/>
Anstrengungen jederzeit gewidmet sein lassen u. s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_684"> Es ist dies gewiß ein höchst merkwürdiges Schriftstück aus jener großen<lb/>
Zeit, das in vielen Beziehungen dem unvergeßlichen Aufrufe &#x201E;An mein Volt"<lb/>
an die Seite gestellt werden kann. Die begeisterte, zündende Sprache, die in dem<lb/>
Aufrufe herrscht, kounte sicher nicht verfehlen, auf Tausende von Herzen einen<lb/>
mächtigen Eindruck hervorzubringen und die heilige Flamme der Vaterlandsliebe<lb/>
zu höherer Glut anzufachen. Trotzdem ist in dieser Urkunde vieles auffallend,<lb/>
ja fast unbegreiflich. Schon die Form, in der sie abgefaßt ist, ist höchst<lb/>
wunderbar. Die Verbündeten Monarchen reden nicht persönlich zu den Völkern,<lb/>
sondern der russische Oberbefehlshaber, Fürst Kutusow, allein hat den Aufruf<lb/>
unterzeichnet, und die Monarchen selbst treten nur in der dritten Person ans.<lb/>
Obschon nicht zu bezweifeln ist, daß der Feldherr einen so wichtigen Schritt<lb/>
nicht gethan hat, ohne die Bewilligung und Genehmigung der Herrscher einzu¬<lb/>
holen, so wird doch auch an keiner Stelle ausdrücklich ausgesprochen und betont,<lb/>
daß er im Namen und im Auftrage der verbündeten Monarchen das sagt, was er<lb/>
sagt, und es gerade so sagt, wie er es sagt. Anfänglich steht der König von Preußen,<lb/>
wen» auch stark in zweiter Stelle, doch noch immer neben dem russischen Kaiser;<lb/>
späterhin aber ist nur von dem Zaren allein die Rede. Höchst auffällig ist es<lb/>
doch gewiß, daß der Fürst, der doch unstreitig der nächst- und meistbeteiligte war,<lb/>
so in den Hintergrund gedrängt wird. Vergleicht man nun den Inhalt dieses<lb/>
Aufrufes mit dem vom 17. März 1813, so füllt sofort ein großer Unterschied<lb/>
in die Augen. In dem letztern ist alles klar, einfach und für jeden erkenntlich,<lb/>
die Gründe des Kampfes ebenso wie die Ziele desselben. In der Proklamation<lb/>
von Kalisch jedoch ist vieles unklar, nebelhaft und verschwommen. Ob der<lb/>
wirkliche Urheber dieses Schriftstückes selbst eine feste und bestimmte Vorstellung<lb/>
davon gehabt hat, wie denn dieses &#x201E;ehrwürdige Reich, das ans dem ureigner<lb/>
Geiste des deutschen Volkes hervorgehen sollte," eigentlich beschaffen sein, in<lb/>
welcher Weise es wieder hergestellt werden sollte, ist gewiß ziemlich fraglich,<lb/>
es müßte denn der Verfasser mehr ein edler, aber unklarer Schwärmer, als ein<lb/>
scharfer politischer Kopf gewesen sein. Ein solcher hätte sich doch sicher die<lb/>
Frage vorgelegt, ob die Erfüllung der gegebenen Verheißungen überhaupt im<lb/>
Bereiche der Möglichkeit liege, und über diese Frage hätten ihm unfehlbar<lb/>
manche bange Zweifel aufsteigen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Einen gewaltigen moralischen Erfolg, einen großen Einfluß auf den Auf¬<lb/>
schwung der Geister und die Erhebung des Volkes, allerdings fast ausschließlich<lb/>
in Preußen und den vormals preußischen Landen, hat der Ausruf von Kalisch<lb/>
unzweifelhaft geübt. Aber in den eigentlichen Rheinbundsstaaten fehlte auch<lb/>
dieser gänzlich. Einen praktischen Erfolg hat er niemals gehabt, wie denn auch<lb/>
später die amtliche diplomatische Welt mit der Bemerkung, daß der Aufruf eines</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Der deutsche Bund. in den hier dargelegten Gesinnungen und Ansichten vollkommen einverstanden sind, dem schönen Zwecke der Befreiung Deutschlands von fremdem Joche Ihre höchsten Anstrengungen jederzeit gewidmet sein lassen u. s. w. Es ist dies gewiß ein höchst merkwürdiges Schriftstück aus jener großen Zeit, das in vielen Beziehungen dem unvergeßlichen Aufrufe „An mein Volt" an die Seite gestellt werden kann. Die begeisterte, zündende Sprache, die in dem Aufrufe herrscht, kounte sicher nicht verfehlen, auf Tausende von Herzen einen mächtigen Eindruck hervorzubringen und die heilige Flamme der Vaterlandsliebe zu höherer Glut anzufachen. Trotzdem ist in dieser Urkunde vieles auffallend, ja fast unbegreiflich. Schon die Form, in der sie abgefaßt ist, ist höchst wunderbar. Die Verbündeten Monarchen reden nicht persönlich zu den Völkern, sondern der russische Oberbefehlshaber, Fürst Kutusow, allein hat den Aufruf unterzeichnet, und die Monarchen selbst treten nur in der dritten Person ans. Obschon nicht zu bezweifeln ist, daß der Feldherr einen so wichtigen Schritt nicht gethan hat, ohne die Bewilligung und Genehmigung der Herrscher einzu¬ holen, so wird doch auch an keiner Stelle ausdrücklich ausgesprochen und betont, daß er im Namen und im Auftrage der verbündeten Monarchen das sagt, was er sagt, und es gerade so sagt, wie er es sagt. Anfänglich steht der König von Preußen, wen» auch stark in zweiter Stelle, doch noch immer neben dem russischen Kaiser; späterhin aber ist nur von dem Zaren allein die Rede. Höchst auffällig ist es doch gewiß, daß der Fürst, der doch unstreitig der nächst- und meistbeteiligte war, so in den Hintergrund gedrängt wird. Vergleicht man nun den Inhalt dieses Aufrufes mit dem vom 17. März 1813, so füllt sofort ein großer Unterschied in die Augen. In dem letztern ist alles klar, einfach und für jeden erkenntlich, die Gründe des Kampfes ebenso wie die Ziele desselben. In der Proklamation von Kalisch jedoch ist vieles unklar, nebelhaft und verschwommen. Ob der wirkliche Urheber dieses Schriftstückes selbst eine feste und bestimmte Vorstellung davon gehabt hat, wie denn dieses „ehrwürdige Reich, das ans dem ureigner Geiste des deutschen Volkes hervorgehen sollte," eigentlich beschaffen sein, in welcher Weise es wieder hergestellt werden sollte, ist gewiß ziemlich fraglich, es müßte denn der Verfasser mehr ein edler, aber unklarer Schwärmer, als ein scharfer politischer Kopf gewesen sein. Ein solcher hätte sich doch sicher die Frage vorgelegt, ob die Erfüllung der gegebenen Verheißungen überhaupt im Bereiche der Möglichkeit liege, und über diese Frage hätten ihm unfehlbar manche bange Zweifel aufsteigen müssen. Einen gewaltigen moralischen Erfolg, einen großen Einfluß auf den Auf¬ schwung der Geister und die Erhebung des Volkes, allerdings fast ausschließlich in Preußen und den vormals preußischen Landen, hat der Ausruf von Kalisch unzweifelhaft geübt. Aber in den eigentlichen Rheinbundsstaaten fehlte auch dieser gänzlich. Einen praktischen Erfolg hat er niemals gehabt, wie denn auch später die amtliche diplomatische Welt mit der Bemerkung, daß der Aufruf eines

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/188>, abgerufen am 15.06.2024.