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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

wissen. Kurz, von der Wiederaufrichtung eines deutschen Reiches ist damals
ernsthaft eigentlich nie die Rede gewesen und konnte auch nicht wohl die Rede sein.

Alle die wunderlichen Projekte, die schwärmerische und überspannte Köpfe
ersonnen hatten, z. B. ein österreichisches Kaisertum und ein erbliches Reichs¬
verweseramt Preußens, oder ein deutsches Kaisertum Österreichs und ein deutsches
Königtum, oder doch wenigstens ein erbliches Großkronfeldherrnamt Preußens,
oder gar ein bei den deutschen Fürsten der Reihe nach umgehendes Kaisertum,
kamen gar nicht zur Verhandlung, sondern wurden mit dem verdienten Still¬
schweigen übergangen. Daß man nicht mehr schaffen könnte, als einen deutschen
Bund, darüber waren alle maßgebenden Persönlichkeiten völlig einig. Über die
Frage freilich, wie denn die Verfassung dieses Bundes eigentlich beschaffen sein
sollte, gingen die Meinungen weit auseinander. Preußens Bestrebungen waren
darauf gerichtet, die Kräfte der Nation zu einem möglichst geschlossenen Ganzen
zusammenzufassen; Österreich dachte von vornherein nur an einen ganz lockern
Verband; die mächtigern Mittelstaaten, namentlich Baiern und Württemberg,
wollten im Grunde genommen überhaupt keinen dauernden Bund schließen und
hätten am liebsten das ganze Werk vereitelt; die Masse der machtlosen Klein¬
staaten schwankte halt- und planlos hin und her; die auswärtigen Mächte
endlich bemühten sich nach Kräften, den allgemeinen Wirrwarr zu vermehren.

Die letztern hätten nun zwar mit einer rein deutschen Sache von Gottes
und Rechts wegen durchaus nichts zu thun gehabt, und im Grundsatze, in der
Theorie wurde ihre Einmischung auch gänzlich ausgeschlossen, hauptsächlich auf
Steins Betreiben. Die Beratung der neuen Verfassung für Deutschland war
einem Ausschusse von Vertretern der fünf größten deutschen Staaten, nämlich
Österreichs, Preußens, Baierns, Württembergs und Hannovers, übertragen
worden. Die sächsische Frage war damals noch nicht gelöst, und Sachsen noch
nicht wieder hergestellt. Sachsen stand damals noch unter der Verwaltung jener
oben erwähnten Zeutralkommission, deren Thätigkeit fast allein hierauf beschränkt
blieb. Der Widerspruch, den die übrigen Mittel- und Kleinstaaten dagegen er¬
hoben, daß dieser sogenannten "Pentarchie" allein die Regelung der deutschen Ver¬
fassungsfrage übertragen wurde, hatte keine weitern Folgen. Der erste preußische
Entwurf in 21 Artikeln wurde diesem Fünferausschusse am 13. September 1814
vorgelegt. Nach diesem EntWurfe sollten Österreich und Preußen nur mit einem
verhältnismäßig kleinen Teile ihrer Länder dem Bunde beitreten; das Direk¬
torium sollte von beiden gemeinsam geführt werden. Der Bund sollte in sieben
Kreise zerfallen, deren Kreisobersten gewissermaßen die Neichsregierung bilden
sollten. Diesem Rate der Kreisobersten, der sieben Stimmen hatte, je zwei für
jede der Großmächte, je eine für jedes der drei Königreiche, stand die Exekutive
zu; er sollte in gewissem Sinne das alte Kurfürstenkollegium ersetzen. Es würde
zu weit führen, auch auf die übrigen Bestimmungen dieses Entwurfes, die zum
größten Teile den Wünschen und Forderungen der Nation entsprachen, genauer


Grenzboten I. 1388. 24
Der deutsche Bund.

wissen. Kurz, von der Wiederaufrichtung eines deutschen Reiches ist damals
ernsthaft eigentlich nie die Rede gewesen und konnte auch nicht wohl die Rede sein.

Alle die wunderlichen Projekte, die schwärmerische und überspannte Köpfe
ersonnen hatten, z. B. ein österreichisches Kaisertum und ein erbliches Reichs¬
verweseramt Preußens, oder ein deutsches Kaisertum Österreichs und ein deutsches
Königtum, oder doch wenigstens ein erbliches Großkronfeldherrnamt Preußens,
oder gar ein bei den deutschen Fürsten der Reihe nach umgehendes Kaisertum,
kamen gar nicht zur Verhandlung, sondern wurden mit dem verdienten Still¬
schweigen übergangen. Daß man nicht mehr schaffen könnte, als einen deutschen
Bund, darüber waren alle maßgebenden Persönlichkeiten völlig einig. Über die
Frage freilich, wie denn die Verfassung dieses Bundes eigentlich beschaffen sein
sollte, gingen die Meinungen weit auseinander. Preußens Bestrebungen waren
darauf gerichtet, die Kräfte der Nation zu einem möglichst geschlossenen Ganzen
zusammenzufassen; Österreich dachte von vornherein nur an einen ganz lockern
Verband; die mächtigern Mittelstaaten, namentlich Baiern und Württemberg,
wollten im Grunde genommen überhaupt keinen dauernden Bund schließen und
hätten am liebsten das ganze Werk vereitelt; die Masse der machtlosen Klein¬
staaten schwankte halt- und planlos hin und her; die auswärtigen Mächte
endlich bemühten sich nach Kräften, den allgemeinen Wirrwarr zu vermehren.

Die letztern hätten nun zwar mit einer rein deutschen Sache von Gottes
und Rechts wegen durchaus nichts zu thun gehabt, und im Grundsatze, in der
Theorie wurde ihre Einmischung auch gänzlich ausgeschlossen, hauptsächlich auf
Steins Betreiben. Die Beratung der neuen Verfassung für Deutschland war
einem Ausschusse von Vertretern der fünf größten deutschen Staaten, nämlich
Österreichs, Preußens, Baierns, Württembergs und Hannovers, übertragen
worden. Die sächsische Frage war damals noch nicht gelöst, und Sachsen noch
nicht wieder hergestellt. Sachsen stand damals noch unter der Verwaltung jener
oben erwähnten Zeutralkommission, deren Thätigkeit fast allein hierauf beschränkt
blieb. Der Widerspruch, den die übrigen Mittel- und Kleinstaaten dagegen er¬
hoben, daß dieser sogenannten „Pentarchie" allein die Regelung der deutschen Ver¬
fassungsfrage übertragen wurde, hatte keine weitern Folgen. Der erste preußische
Entwurf in 21 Artikeln wurde diesem Fünferausschusse am 13. September 1814
vorgelegt. Nach diesem EntWurfe sollten Österreich und Preußen nur mit einem
verhältnismäßig kleinen Teile ihrer Länder dem Bunde beitreten; das Direk¬
torium sollte von beiden gemeinsam geführt werden. Der Bund sollte in sieben
Kreise zerfallen, deren Kreisobersten gewissermaßen die Neichsregierung bilden
sollten. Diesem Rate der Kreisobersten, der sieben Stimmen hatte, je zwei für
jede der Großmächte, je eine für jedes der drei Königreiche, stand die Exekutive
zu; er sollte in gewissem Sinne das alte Kurfürstenkollegium ersetzen. Es würde
zu weit führen, auch auf die übrigen Bestimmungen dieses Entwurfes, die zum
größten Teile den Wünschen und Forderungen der Nation entsprachen, genauer


Grenzboten I. 1388. 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/193>, abgerufen am 16.06.2024.