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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

einzugehen- Denn alles, was für die Einheit Deutschlands hätte ersprießlich
sein können, wurde doch daraus gestrichen. Die Sorge dafür ließ sich Metternich
nicht nehmen. Unter seinem Einflüsse kam der sogenannte "konzertirte Entwurf"
zustande, der am 14. Oktober 1814 vorgelegt wurde. Er enthielt 12 Artikel.
Darnach sollten Österreich und Preußen mit allen ihren Ländern, die vormals
zum Reiche gehört hatten, dem Bunde beitreten; das "Direktorium" war fallen
gelassen; den "Vorsitz" im Bunde sollte Österreich allein führen; fast alle Be¬
stimmungen über einheitliche Einrichtungen, über Volksrechte u. s. w. waren ent¬
weder ganz gestrichen oder doch sehr abgeschwächt worden. Aber auch von
diesem "konzertirten" Entwürfe wollten die ehemaligen Rheinbunds-Königreiche
nichts wissen. Nur die Einrichtung der Kreisobersten gefiel ihnen; als solche
hätten sie die Militärmacht ihrer Kreise in die Hände bekommen und auf diese
Weise leicht Gelegenheit gefunden, ihre schwächern Mitstände zu unterdrücken,
vielleicht gar zu "mediatisiren", nach altbewährter Rheinbundssitte. Jedoch
sollten die Großmächte nur je eine Stimme haben. Alle Verhandlungen waren
fruchtlos; sogar die Einmischung des Kaisers Alexander, die, wunderbar genug,
von Stein angerufen wurde, nützte nichts. Vaiern und Württemberg blieben
hartnäckig; der würdige Beherrscher des letztern Landes verbot schließlich seinem
Gesandten, an den Sitzungen teilzunehmen, und, ohne ein Ergebnis erzielt zu haben,
löste sich die "deutsche Pentarchie" in Wohlgefallen auf (16. November 1814).

Jetzt rafften sich die "Kleinen," welche fürchteten, durch die "Kreisobersten"
vergewaltigt zu werden, zu einer Hauptaktion auf. neunundzwanzig souveräne
Fürsten und freie Städte, an der Spitze die beiden Hessen und die beiden
Mecklenburg, überreichten an demselben Tage den beiden Großmächten die bereits
oben erwähnte Note. Sie verlangten, daß ein Kaiser an die Spitze des Bundes
träte, und erklärten sich bereit zu den erforderlichen Einschränkungen ihrer
Souveränität. Die Zahl dieser 29 stieg durch den Beitritt Badens und der
beiden Hohenzollern auf 32. Es war das letzte mal, daß die "Kaiserfrage"
in einer Staatsschrift amtlich angeregt wurde, das letzte mal für mehr als
ein halbes Jahrhundert. Irgend welchen Erfolg hatte das Vorgehen der
"Kleinen" nicht.

Offiziell ruhte jetzt die deutsche Verfassungsfrage für mehrere Monate.
Es war die Zeit, in welcher es schien, als ob infolge des sächsisch-polnischen
Streites unter den Mächten des Kongresses ein blutiger Krieg ausbrechen sollte.
Preußisch-russische Heere sammelten sich zum Kampfe gegen Österreich, Frankreich
und England. Erst als die Gcbietsstreitigkeiten wenigstens im Grundsatze gelöst
waren, kam auch die deutsche Verfassungsfrage wieder in Fluß. Die Vertreter
der Mittel- und Kleinstaaten nahmen jetzt an den Beratungen teil. Am 10. Fe¬
bruar 181S legte der unermüdliche Wilhelm von Humboldt zwei neue, weit¬
läufige Entwürfe vor, einen mit der Kreisverfassung und einen ohne diese. In
dem Begleitschreiben führte die preußische Negierung folgendes aus: "Es giebt


Der deutsche Bund.

einzugehen- Denn alles, was für die Einheit Deutschlands hätte ersprießlich
sein können, wurde doch daraus gestrichen. Die Sorge dafür ließ sich Metternich
nicht nehmen. Unter seinem Einflüsse kam der sogenannte „konzertirte Entwurf"
zustande, der am 14. Oktober 1814 vorgelegt wurde. Er enthielt 12 Artikel.
Darnach sollten Österreich und Preußen mit allen ihren Ländern, die vormals
zum Reiche gehört hatten, dem Bunde beitreten; das „Direktorium" war fallen
gelassen; den „Vorsitz" im Bunde sollte Österreich allein führen; fast alle Be¬
stimmungen über einheitliche Einrichtungen, über Volksrechte u. s. w. waren ent¬
weder ganz gestrichen oder doch sehr abgeschwächt worden. Aber auch von
diesem „konzertirten" Entwürfe wollten die ehemaligen Rheinbunds-Königreiche
nichts wissen. Nur die Einrichtung der Kreisobersten gefiel ihnen; als solche
hätten sie die Militärmacht ihrer Kreise in die Hände bekommen und auf diese
Weise leicht Gelegenheit gefunden, ihre schwächern Mitstände zu unterdrücken,
vielleicht gar zu „mediatisiren", nach altbewährter Rheinbundssitte. Jedoch
sollten die Großmächte nur je eine Stimme haben. Alle Verhandlungen waren
fruchtlos; sogar die Einmischung des Kaisers Alexander, die, wunderbar genug,
von Stein angerufen wurde, nützte nichts. Vaiern und Württemberg blieben
hartnäckig; der würdige Beherrscher des letztern Landes verbot schließlich seinem
Gesandten, an den Sitzungen teilzunehmen, und, ohne ein Ergebnis erzielt zu haben,
löste sich die „deutsche Pentarchie" in Wohlgefallen auf (16. November 1814).

Jetzt rafften sich die „Kleinen," welche fürchteten, durch die „Kreisobersten"
vergewaltigt zu werden, zu einer Hauptaktion auf. neunundzwanzig souveräne
Fürsten und freie Städte, an der Spitze die beiden Hessen und die beiden
Mecklenburg, überreichten an demselben Tage den beiden Großmächten die bereits
oben erwähnte Note. Sie verlangten, daß ein Kaiser an die Spitze des Bundes
träte, und erklärten sich bereit zu den erforderlichen Einschränkungen ihrer
Souveränität. Die Zahl dieser 29 stieg durch den Beitritt Badens und der
beiden Hohenzollern auf 32. Es war das letzte mal, daß die „Kaiserfrage"
in einer Staatsschrift amtlich angeregt wurde, das letzte mal für mehr als
ein halbes Jahrhundert. Irgend welchen Erfolg hatte das Vorgehen der
„Kleinen" nicht.

Offiziell ruhte jetzt die deutsche Verfassungsfrage für mehrere Monate.
Es war die Zeit, in welcher es schien, als ob infolge des sächsisch-polnischen
Streites unter den Mächten des Kongresses ein blutiger Krieg ausbrechen sollte.
Preußisch-russische Heere sammelten sich zum Kampfe gegen Österreich, Frankreich
und England. Erst als die Gcbietsstreitigkeiten wenigstens im Grundsatze gelöst
waren, kam auch die deutsche Verfassungsfrage wieder in Fluß. Die Vertreter
der Mittel- und Kleinstaaten nahmen jetzt an den Beratungen teil. Am 10. Fe¬
bruar 181S legte der unermüdliche Wilhelm von Humboldt zwei neue, weit¬
läufige Entwürfe vor, einen mit der Kreisverfassung und einen ohne diese. In
dem Begleitschreiben führte die preußische Negierung folgendes aus: „Es giebt


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[0194] Der deutsche Bund. einzugehen- Denn alles, was für die Einheit Deutschlands hätte ersprießlich sein können, wurde doch daraus gestrichen. Die Sorge dafür ließ sich Metternich nicht nehmen. Unter seinem Einflüsse kam der sogenannte „konzertirte Entwurf" zustande, der am 14. Oktober 1814 vorgelegt wurde. Er enthielt 12 Artikel. Darnach sollten Österreich und Preußen mit allen ihren Ländern, die vormals zum Reiche gehört hatten, dem Bunde beitreten; das „Direktorium" war fallen gelassen; den „Vorsitz" im Bunde sollte Österreich allein führen; fast alle Be¬ stimmungen über einheitliche Einrichtungen, über Volksrechte u. s. w. waren ent¬ weder ganz gestrichen oder doch sehr abgeschwächt worden. Aber auch von diesem „konzertirten" Entwürfe wollten die ehemaligen Rheinbunds-Königreiche nichts wissen. Nur die Einrichtung der Kreisobersten gefiel ihnen; als solche hätten sie die Militärmacht ihrer Kreise in die Hände bekommen und auf diese Weise leicht Gelegenheit gefunden, ihre schwächern Mitstände zu unterdrücken, vielleicht gar zu „mediatisiren", nach altbewährter Rheinbundssitte. Jedoch sollten die Großmächte nur je eine Stimme haben. Alle Verhandlungen waren fruchtlos; sogar die Einmischung des Kaisers Alexander, die, wunderbar genug, von Stein angerufen wurde, nützte nichts. Vaiern und Württemberg blieben hartnäckig; der würdige Beherrscher des letztern Landes verbot schließlich seinem Gesandten, an den Sitzungen teilzunehmen, und, ohne ein Ergebnis erzielt zu haben, löste sich die „deutsche Pentarchie" in Wohlgefallen auf (16. November 1814). Jetzt rafften sich die „Kleinen," welche fürchteten, durch die „Kreisobersten" vergewaltigt zu werden, zu einer Hauptaktion auf. neunundzwanzig souveräne Fürsten und freie Städte, an der Spitze die beiden Hessen und die beiden Mecklenburg, überreichten an demselben Tage den beiden Großmächten die bereits oben erwähnte Note. Sie verlangten, daß ein Kaiser an die Spitze des Bundes träte, und erklärten sich bereit zu den erforderlichen Einschränkungen ihrer Souveränität. Die Zahl dieser 29 stieg durch den Beitritt Badens und der beiden Hohenzollern auf 32. Es war das letzte mal, daß die „Kaiserfrage" in einer Staatsschrift amtlich angeregt wurde, das letzte mal für mehr als ein halbes Jahrhundert. Irgend welchen Erfolg hatte das Vorgehen der „Kleinen" nicht. Offiziell ruhte jetzt die deutsche Verfassungsfrage für mehrere Monate. Es war die Zeit, in welcher es schien, als ob infolge des sächsisch-polnischen Streites unter den Mächten des Kongresses ein blutiger Krieg ausbrechen sollte. Preußisch-russische Heere sammelten sich zum Kampfe gegen Österreich, Frankreich und England. Erst als die Gcbietsstreitigkeiten wenigstens im Grundsatze gelöst waren, kam auch die deutsche Verfassungsfrage wieder in Fluß. Die Vertreter der Mittel- und Kleinstaaten nahmen jetzt an den Beratungen teil. Am 10. Fe¬ bruar 181S legte der unermüdliche Wilhelm von Humboldt zwei neue, weit¬ läufige Entwürfe vor, einen mit der Kreisverfassung und einen ohne diese. In dem Begleitschreiben führte die preußische Negierung folgendes aus: „Es giebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/194>, abgerufen am 16.06.2024.