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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Hohenzollern hatten abgedankt und ihre Länder an Preußen abgetreten; der
letzte Landgraf von Hessen-Homburg starb dicht vor Ausbruch des großen
Bundeskrieges, und sein Land fiel an Hessen-Darmstadt, allerdings nur für
ganz kurze Zeit.

Noch viel verschiedner als diese mannichfachen Titel und Bezeichnungen
der Länder waren die Staaten selbst in Bezug auf Größe, Bevölkerung, Reichtum,
politische Macht und Bedeutung u, s. w. Zunächst füllt in dieser Beziehung
das höchst unnatürliche Verhältnis auf, daß fünf Fürsten vorhanden waren,
welche nur mit einem mehr oder minder großen Teile ihrer Staaten dem Bunde
angehörten. Der Kaiser von Österreich und der König von Preußen waren nur für
die Besitzungen beigetreten, welche ehemals zum deutschen Reiche gehört hatten.
Die sogenannten deutschen Lande Österreichs zerfielen in elf Kronländer, die jedoch
nichts weniger als rein deutsch waren und deren Bevölkerung heute noch mehr als
damals mit fremden Nationalitäten durchsetzt ist. Der Merkwürdigkeit halber
mag erwähnt werden, daß z. B. Görz mit Jstrien (nur zum Teile) und Trieft, ja
daß die in Galizien gelegenen Herzogtümer Auschwitz und Zator zum deutschen
Bunde gehörten. Diese elf Kronländer umfaßten ungefähr 3550 Quadratmeilen,
während das ganze Staatsgebiet bis zum Verluste der Lombardei reichlich 12 000
Quadratmeilen ausmachte, sodaß also noch nicht einmal der dritte Teil der Länder
des Kaiserreiches innerhalb des Bundes lag. Wenn nun auch in diesen Pro¬
vinzen beinahe der dritte Teil der Bevölkerung des ganzen Reiches wohnte, so
war es dennoch unvermeidlich, daß die Interessen Deutschlands für Österreich
immer nur nebensächlich sein konnten.

Wesentlich anders verhielt es sich mit dem Verhältnisse Preußens zum
Bunde. Von den sogenannten acht alten Provinzen Preußens (Ost- und West¬
preußen wurden 1824 zu einer Provinz vereinigt und erst 1876 wieder getrennt)
gehörten sechs dem Bunde an, nämlich Brandenburg, Pommern, Schlesien,
Sachsen, Westfalen und die Rheinprovinz. Diese Provinzen hatten einen Flächen¬
inhalt von ungefähr 3400 Quadratmeilen, während der Gesamtstaat etwa
6100 Quadratmeilen umfaßte. Obwohl das preußische Ländergebiet also um
etwa 150 Quadratmeilen geringer war als das österreichische, enthielt es doch
gegen Ende der Zeit des Bundes über eine Million Einwohner mehr, mehr
als drei Viertel des ganzen Staates. Außerdem wohnten in den nicht zum
Bunde gehörigen Provinzen, Preußen und Posen, mehr als 2^ Millionen
Deutsche, weit über die Hälfte der Gesamtbevölkerung dieser Länder, welche den
geistigen und politischen Zusammenhang mit Deutschland um keinen Preis auf¬
geben wollten. Schon aus diesen trocknen statistischen Angaben geht hervor,
daß Preußen, wenn es gesunde Politik trieb, niemals undeutsche Politik treiben
konnte. Seine Größe und Machtstellung beruhten wesentlich auf seinen in
Deutschland gelegenen Provinzen, beruhten fast ausschließlich auf seinen deutschen
Unterthanen. Also seine Lebensinteressen deckten sich und fielen zusammen mit


Der deutsche Bund.

Hohenzollern hatten abgedankt und ihre Länder an Preußen abgetreten; der
letzte Landgraf von Hessen-Homburg starb dicht vor Ausbruch des großen
Bundeskrieges, und sein Land fiel an Hessen-Darmstadt, allerdings nur für
ganz kurze Zeit.

Noch viel verschiedner als diese mannichfachen Titel und Bezeichnungen
der Länder waren die Staaten selbst in Bezug auf Größe, Bevölkerung, Reichtum,
politische Macht und Bedeutung u, s. w. Zunächst füllt in dieser Beziehung
das höchst unnatürliche Verhältnis auf, daß fünf Fürsten vorhanden waren,
welche nur mit einem mehr oder minder großen Teile ihrer Staaten dem Bunde
angehörten. Der Kaiser von Österreich und der König von Preußen waren nur für
die Besitzungen beigetreten, welche ehemals zum deutschen Reiche gehört hatten.
Die sogenannten deutschen Lande Österreichs zerfielen in elf Kronländer, die jedoch
nichts weniger als rein deutsch waren und deren Bevölkerung heute noch mehr als
damals mit fremden Nationalitäten durchsetzt ist. Der Merkwürdigkeit halber
mag erwähnt werden, daß z. B. Görz mit Jstrien (nur zum Teile) und Trieft, ja
daß die in Galizien gelegenen Herzogtümer Auschwitz und Zator zum deutschen
Bunde gehörten. Diese elf Kronländer umfaßten ungefähr 3550 Quadratmeilen,
während das ganze Staatsgebiet bis zum Verluste der Lombardei reichlich 12 000
Quadratmeilen ausmachte, sodaß also noch nicht einmal der dritte Teil der Länder
des Kaiserreiches innerhalb des Bundes lag. Wenn nun auch in diesen Pro¬
vinzen beinahe der dritte Teil der Bevölkerung des ganzen Reiches wohnte, so
war es dennoch unvermeidlich, daß die Interessen Deutschlands für Österreich
immer nur nebensächlich sein konnten.

Wesentlich anders verhielt es sich mit dem Verhältnisse Preußens zum
Bunde. Von den sogenannten acht alten Provinzen Preußens (Ost- und West¬
preußen wurden 1824 zu einer Provinz vereinigt und erst 1876 wieder getrennt)
gehörten sechs dem Bunde an, nämlich Brandenburg, Pommern, Schlesien,
Sachsen, Westfalen und die Rheinprovinz. Diese Provinzen hatten einen Flächen¬
inhalt von ungefähr 3400 Quadratmeilen, während der Gesamtstaat etwa
6100 Quadratmeilen umfaßte. Obwohl das preußische Ländergebiet also um
etwa 150 Quadratmeilen geringer war als das österreichische, enthielt es doch
gegen Ende der Zeit des Bundes über eine Million Einwohner mehr, mehr
als drei Viertel des ganzen Staates. Außerdem wohnten in den nicht zum
Bunde gehörigen Provinzen, Preußen und Posen, mehr als 2^ Millionen
Deutsche, weit über die Hälfte der Gesamtbevölkerung dieser Länder, welche den
geistigen und politischen Zusammenhang mit Deutschland um keinen Preis auf¬
geben wollten. Schon aus diesen trocknen statistischen Angaben geht hervor,
daß Preußen, wenn es gesunde Politik trieb, niemals undeutsche Politik treiben
konnte. Seine Größe und Machtstellung beruhten wesentlich auf seinen in
Deutschland gelegenen Provinzen, beruhten fast ausschließlich auf seinen deutschen
Unterthanen. Also seine Lebensinteressen deckten sich und fielen zusammen mit


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[0198] Der deutsche Bund. Hohenzollern hatten abgedankt und ihre Länder an Preußen abgetreten; der letzte Landgraf von Hessen-Homburg starb dicht vor Ausbruch des großen Bundeskrieges, und sein Land fiel an Hessen-Darmstadt, allerdings nur für ganz kurze Zeit. Noch viel verschiedner als diese mannichfachen Titel und Bezeichnungen der Länder waren die Staaten selbst in Bezug auf Größe, Bevölkerung, Reichtum, politische Macht und Bedeutung u, s. w. Zunächst füllt in dieser Beziehung das höchst unnatürliche Verhältnis auf, daß fünf Fürsten vorhanden waren, welche nur mit einem mehr oder minder großen Teile ihrer Staaten dem Bunde angehörten. Der Kaiser von Österreich und der König von Preußen waren nur für die Besitzungen beigetreten, welche ehemals zum deutschen Reiche gehört hatten. Die sogenannten deutschen Lande Österreichs zerfielen in elf Kronländer, die jedoch nichts weniger als rein deutsch waren und deren Bevölkerung heute noch mehr als damals mit fremden Nationalitäten durchsetzt ist. Der Merkwürdigkeit halber mag erwähnt werden, daß z. B. Görz mit Jstrien (nur zum Teile) und Trieft, ja daß die in Galizien gelegenen Herzogtümer Auschwitz und Zator zum deutschen Bunde gehörten. Diese elf Kronländer umfaßten ungefähr 3550 Quadratmeilen, während das ganze Staatsgebiet bis zum Verluste der Lombardei reichlich 12 000 Quadratmeilen ausmachte, sodaß also noch nicht einmal der dritte Teil der Länder des Kaiserreiches innerhalb des Bundes lag. Wenn nun auch in diesen Pro¬ vinzen beinahe der dritte Teil der Bevölkerung des ganzen Reiches wohnte, so war es dennoch unvermeidlich, daß die Interessen Deutschlands für Österreich immer nur nebensächlich sein konnten. Wesentlich anders verhielt es sich mit dem Verhältnisse Preußens zum Bunde. Von den sogenannten acht alten Provinzen Preußens (Ost- und West¬ preußen wurden 1824 zu einer Provinz vereinigt und erst 1876 wieder getrennt) gehörten sechs dem Bunde an, nämlich Brandenburg, Pommern, Schlesien, Sachsen, Westfalen und die Rheinprovinz. Diese Provinzen hatten einen Flächen¬ inhalt von ungefähr 3400 Quadratmeilen, während der Gesamtstaat etwa 6100 Quadratmeilen umfaßte. Obwohl das preußische Ländergebiet also um etwa 150 Quadratmeilen geringer war als das österreichische, enthielt es doch gegen Ende der Zeit des Bundes über eine Million Einwohner mehr, mehr als drei Viertel des ganzen Staates. Außerdem wohnten in den nicht zum Bunde gehörigen Provinzen, Preußen und Posen, mehr als 2^ Millionen Deutsche, weit über die Hälfte der Gesamtbevölkerung dieser Länder, welche den geistigen und politischen Zusammenhang mit Deutschland um keinen Preis auf¬ geben wollten. Schon aus diesen trocknen statistischen Angaben geht hervor, daß Preußen, wenn es gesunde Politik trieb, niemals undeutsche Politik treiben konnte. Seine Größe und Machtstellung beruhten wesentlich auf seinen in Deutschland gelegenen Provinzen, beruhten fast ausschließlich auf seinen deutschen Unterthanen. Also seine Lebensinteressen deckten sich und fielen zusammen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/198>, abgerufen am 15.06.2024.