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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Langsamkeit, mit der alle Geschäfte dort ihre Erledigung fanden, endlich eröffnet
war, dachte man denn auch daran, jenes mangelhafte Grundgesetz zu vervoll¬
ständigen. Dazu bedürfte es wieder jahrelanger Verhandlungen, bis endlich die
sogenannte Wiener Schlußakte, oder offiziell "die Schlußakte der über Aus¬
bildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehaltenen Ministcrial-
konferenzen," zustande kam. Diese Ministerialkonferenzen, die mit Umgehung
des Bundestages auf Anregung Metternichs in Wien gehalten worden waren,
hatten vom 2S. November 1819 bis zum 24. Mai 1820 gedauert. Am
8. Juni 1820, also gerade fünf Jahre nach Abschluß der Vundesakte, wurde
dieses Schriftstück vom Bundestage zu Frankfurt einstimmig angenommen und
unterzeichnet und ihm dieselbe Geltung beigelegt wie dem ersten Bundesgesetze.
Natürlich wurde auch diese Akte unter die Garantie der europäischen Mächte
gestellt. Die deutsche Vundesakte enthält 20, die Wiener 85 Artikel. Neben
diesen beiden Urkunden mögen von den Bundesgesetzen noch die sogenannten sechs
Artikel vom 28. Juni 1832 erwähnt werden, die die Rechte der Landesherren
den Ständen gegenüber betrafen. Die übrigen Bundesgesetze sind von minderer
Wichtigkeit.

Auf den Wortlaut dieser Urkunden genauer einzugehen, liegt nicht im Plane
dieser Arbeit; es würde viel zu weitläufig und, offen gesagt, auch zu lang¬
weilig sein. Dagegen ist es unumgänglich notwendig, das Wesen dieses Bundes,
der ungefähr fünfzig Jahre lang wie ein Alp auf dem ganzen politischen und
nationalen Lebens Deutschlands lag, in seinen wichtigsten Punkten zu schildern
und zu kennzeichnen.

Der Durchlauchtigste Deutsche Bund (ig, sörömssims oonMörg-lion, A"r-
inkmi<zuo, eontosÄerMo Fernis-mica) ist nach Artikel 1 und 2 der Vundes¬
akte der beständige Bund der sämtlichen souveränen Fürsten und freien Städte
Deutschlands zum Zwecke der "Erhaltung der äußern und innern Sicherheit
Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der deutschen Staaten."
Nach Artikel 3 haben alle Bundesmitglieder als solche gleiche Rechte und ver¬
pflichten sich alle gleichmäßig, die Bundesakte unverbrüchlich zu halten.

Zum Bunde gehörten bei seiner Stiftung 38 Staaten, nämlich ein Kaiser¬
reich, fünf Königreiche, ein Kurfürstentum, sieben Großhcrzogtümcr, zehn Herzog¬
tümer, zehn Fürstentümer (wobei die beiden Zweige von Reuß j. L., Schleiz
und Ebersdorf, nur als eins gezählt werden) und vier freie Städte. Später
trat, um die Buntscheckigkeit der Titel vollständig zu machen, noch die Landgraf-
schaft Hessen-Homburg hinzu, der die im Rheinbunde genommene Souveränität
von Hessen-Darmstadt wiedergegeben wurde. So gab es zeitweilig 39 Mit¬
glieder; durch das Aussterben von Sachsen-Gotha (1826), welches mit Koburg
vereinigt wurde, sank die Zahl wieder auf 38. Bei der endgiltigen Auflösung
des Bundes im Jahre 1866 zählte er jedoch nur noch 33 Mitglieder: von den
drei anhaltinischen Linien waren zwei ausgestorben; die beiden Fürsten von


Der deutsche Bund.

Langsamkeit, mit der alle Geschäfte dort ihre Erledigung fanden, endlich eröffnet
war, dachte man denn auch daran, jenes mangelhafte Grundgesetz zu vervoll¬
ständigen. Dazu bedürfte es wieder jahrelanger Verhandlungen, bis endlich die
sogenannte Wiener Schlußakte, oder offiziell „die Schlußakte der über Aus¬
bildung und Befestigung des deutschen Bundes zu Wien gehaltenen Ministcrial-
konferenzen," zustande kam. Diese Ministerialkonferenzen, die mit Umgehung
des Bundestages auf Anregung Metternichs in Wien gehalten worden waren,
hatten vom 2S. November 1819 bis zum 24. Mai 1820 gedauert. Am
8. Juni 1820, also gerade fünf Jahre nach Abschluß der Vundesakte, wurde
dieses Schriftstück vom Bundestage zu Frankfurt einstimmig angenommen und
unterzeichnet und ihm dieselbe Geltung beigelegt wie dem ersten Bundesgesetze.
Natürlich wurde auch diese Akte unter die Garantie der europäischen Mächte
gestellt. Die deutsche Vundesakte enthält 20, die Wiener 85 Artikel. Neben
diesen beiden Urkunden mögen von den Bundesgesetzen noch die sogenannten sechs
Artikel vom 28. Juni 1832 erwähnt werden, die die Rechte der Landesherren
den Ständen gegenüber betrafen. Die übrigen Bundesgesetze sind von minderer
Wichtigkeit.

Auf den Wortlaut dieser Urkunden genauer einzugehen, liegt nicht im Plane
dieser Arbeit; es würde viel zu weitläufig und, offen gesagt, auch zu lang¬
weilig sein. Dagegen ist es unumgänglich notwendig, das Wesen dieses Bundes,
der ungefähr fünfzig Jahre lang wie ein Alp auf dem ganzen politischen und
nationalen Lebens Deutschlands lag, in seinen wichtigsten Punkten zu schildern
und zu kennzeichnen.

Der Durchlauchtigste Deutsche Bund (ig, sörömssims oonMörg-lion, A«r-
inkmi<zuo, eontosÄerMo Fernis-mica) ist nach Artikel 1 und 2 der Vundes¬
akte der beständige Bund der sämtlichen souveränen Fürsten und freien Städte
Deutschlands zum Zwecke der „Erhaltung der äußern und innern Sicherheit
Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der deutschen Staaten."
Nach Artikel 3 haben alle Bundesmitglieder als solche gleiche Rechte und ver¬
pflichten sich alle gleichmäßig, die Bundesakte unverbrüchlich zu halten.

Zum Bunde gehörten bei seiner Stiftung 38 Staaten, nämlich ein Kaiser¬
reich, fünf Königreiche, ein Kurfürstentum, sieben Großhcrzogtümcr, zehn Herzog¬
tümer, zehn Fürstentümer (wobei die beiden Zweige von Reuß j. L., Schleiz
und Ebersdorf, nur als eins gezählt werden) und vier freie Städte. Später
trat, um die Buntscheckigkeit der Titel vollständig zu machen, noch die Landgraf-
schaft Hessen-Homburg hinzu, der die im Rheinbunde genommene Souveränität
von Hessen-Darmstadt wiedergegeben wurde. So gab es zeitweilig 39 Mit¬
glieder; durch das Aussterben von Sachsen-Gotha (1826), welches mit Koburg
vereinigt wurde, sank die Zahl wieder auf 38. Bei der endgiltigen Auflösung
des Bundes im Jahre 1866 zählte er jedoch nur noch 33 Mitglieder: von den
drei anhaltinischen Linien waren zwei ausgestorben; die beiden Fürsten von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/197>, abgerufen am 15.06.2024.