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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Später besserte es sich mit dem Gemütszustande des grimmen Republikaners
noch mehr, und Herzog Ernst stellt ihm S. 219 das Zeugnis aus: "Als er,
am 21. Juni zum Minister ernannt, wenige Tage nach meiner Anwesenheit in
Altenburg den Sturz seiner ältern Kollegen erreicht und die Gewalt in seine
Hände gebracht hatte, nahm er aus seinem reichen Repertoire die Rolle des
Staatsmannes heraus, zeigte sich ziemlich gemäßigt und war dann keineswegs
einer der schlimmsten deutschen Minister."

Auch zu Hause hatte Herzog Ernst in diesen Tagen nicht wenig Verdruß.
Sowohl in Koburg als in Gotha kamen von den ersten Tagen des April an
bedenkliche Unruhen vor. In Gotha unternahm man wiederholt Angriffe auf
das Leihhaus, und selbst das Zuchthaus war in Gefahr, gestürmt zu werden.
Die Arbeiter verlangten Erhöhung der Löhne und machten Anstalt, ihre For¬
derung mit Gewalt durchzusetzen, sodaß der Herzog sich genötigt sah, an das
in der Stadt stehende Bataillon Militär scharfe Patronen verteilen und die
Bürgergarde während der Nacht unter Waffen bleiben zu lassen. Zu den
schlimmsten Erscheinungen des Nevolutionsjahres gehörten die Versuche, die
Disziplin der Truppen zu untergraben. Man mischte sich in die Militärjustiz
und man hetzte die Mannschaften gegen die Offiziere auf. Fast an jedem Orte
wurden mißliebige Beamte bedroht und übel behandelt. Einige mußten von
ihren Stellen entfernt werden, um die erregte Stimmung zu beschwichtigen,
andre rettete das persönliche Eingreifen des Herzogs. Eines Tages, im Mai,
begegnete er auf einer seiner vielen Reisen zwischen Koburg und Gotha beim
Herabsahren vom Thüringer Walde gegen das Hennebergische einem Wagen,
dessen Insassen sich ihm als der Justiz-, der Rent- und der Forstamtmann von
Zella Se. Blasn zu erkennen gaben. "Sie waren -- berichtet der Verfasser --
in größter Aufregung und erklärten mir, sie seien durch die Revolution von
dort vertrieben wordeu, und wollten nach Gotha, um den Schutz der Regierung
zu suchen. Arbeiter der Gewehrfabrik des Ortes hätten sich mit allerlei Ge¬
sinde! verbunden und die Beamten lebensgefährlich bedroht. ... Die Herren
waren in einem so verzweifelten moralischen Zustande, daß meine anfängliche
Idee, sie sofort zurückzuführen, sich nicht verwirklichen ließ. Ich fuhr daher
allein in das Städtchen und stieg bei einem am Markte gelegenen Wirtshause
ab. Auf dem Platze waren einige hundert Menschen versammelt, und vom
Brunnen herab wurden Reden gehalten. Ich ließ mir von dem halb an¬
getrunkenen Wirte, der mich erkannt hatte, eine Art Tanzsaal aufsperren und
bemächtigte mich eines zufällig anwesenden Gemeindeschreibers, der mir geeignet
schien, ein Protokoll zu führen. Inzwischen verbreitete sich das Gerücht von
meiner Ankunft, und ich nahm keinen Anstand, durch den Wirt, sowie durch
einen Forstaufseher, der sich eingefunden hatte, die Leute wissen zu lassen, daß ich
bereit wäre, ihre Beschwerden selbst zu vernehmen. Der Magistrat des Ortes,
sowie die bessern Bürger und Fabrikbesitzer ... hatten sich entweder versteckt


Später besserte es sich mit dem Gemütszustande des grimmen Republikaners
noch mehr, und Herzog Ernst stellt ihm S. 219 das Zeugnis aus: „Als er,
am 21. Juni zum Minister ernannt, wenige Tage nach meiner Anwesenheit in
Altenburg den Sturz seiner ältern Kollegen erreicht und die Gewalt in seine
Hände gebracht hatte, nahm er aus seinem reichen Repertoire die Rolle des
Staatsmannes heraus, zeigte sich ziemlich gemäßigt und war dann keineswegs
einer der schlimmsten deutschen Minister."

Auch zu Hause hatte Herzog Ernst in diesen Tagen nicht wenig Verdruß.
Sowohl in Koburg als in Gotha kamen von den ersten Tagen des April an
bedenkliche Unruhen vor. In Gotha unternahm man wiederholt Angriffe auf
das Leihhaus, und selbst das Zuchthaus war in Gefahr, gestürmt zu werden.
Die Arbeiter verlangten Erhöhung der Löhne und machten Anstalt, ihre For¬
derung mit Gewalt durchzusetzen, sodaß der Herzog sich genötigt sah, an das
in der Stadt stehende Bataillon Militär scharfe Patronen verteilen und die
Bürgergarde während der Nacht unter Waffen bleiben zu lassen. Zu den
schlimmsten Erscheinungen des Nevolutionsjahres gehörten die Versuche, die
Disziplin der Truppen zu untergraben. Man mischte sich in die Militärjustiz
und man hetzte die Mannschaften gegen die Offiziere auf. Fast an jedem Orte
wurden mißliebige Beamte bedroht und übel behandelt. Einige mußten von
ihren Stellen entfernt werden, um die erregte Stimmung zu beschwichtigen,
andre rettete das persönliche Eingreifen des Herzogs. Eines Tages, im Mai,
begegnete er auf einer seiner vielen Reisen zwischen Koburg und Gotha beim
Herabsahren vom Thüringer Walde gegen das Hennebergische einem Wagen,
dessen Insassen sich ihm als der Justiz-, der Rent- und der Forstamtmann von
Zella Se. Blasn zu erkennen gaben. „Sie waren — berichtet der Verfasser —
in größter Aufregung und erklärten mir, sie seien durch die Revolution von
dort vertrieben wordeu, und wollten nach Gotha, um den Schutz der Regierung
zu suchen. Arbeiter der Gewehrfabrik des Ortes hätten sich mit allerlei Ge¬
sinde! verbunden und die Beamten lebensgefährlich bedroht. ... Die Herren
waren in einem so verzweifelten moralischen Zustande, daß meine anfängliche
Idee, sie sofort zurückzuführen, sich nicht verwirklichen ließ. Ich fuhr daher
allein in das Städtchen und stieg bei einem am Markte gelegenen Wirtshause
ab. Auf dem Platze waren einige hundert Menschen versammelt, und vom
Brunnen herab wurden Reden gehalten. Ich ließ mir von dem halb an¬
getrunkenen Wirte, der mich erkannt hatte, eine Art Tanzsaal aufsperren und
bemächtigte mich eines zufällig anwesenden Gemeindeschreibers, der mir geeignet
schien, ein Protokoll zu führen. Inzwischen verbreitete sich das Gerücht von
meiner Ankunft, und ich nahm keinen Anstand, durch den Wirt, sowie durch
einen Forstaufseher, der sich eingefunden hatte, die Leute wissen zu lassen, daß ich
bereit wäre, ihre Beschwerden selbst zu vernehmen. Der Magistrat des Ortes,
sowie die bessern Bürger und Fabrikbesitzer ... hatten sich entweder versteckt


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[0243] Später besserte es sich mit dem Gemütszustande des grimmen Republikaners noch mehr, und Herzog Ernst stellt ihm S. 219 das Zeugnis aus: „Als er, am 21. Juni zum Minister ernannt, wenige Tage nach meiner Anwesenheit in Altenburg den Sturz seiner ältern Kollegen erreicht und die Gewalt in seine Hände gebracht hatte, nahm er aus seinem reichen Repertoire die Rolle des Staatsmannes heraus, zeigte sich ziemlich gemäßigt und war dann keineswegs einer der schlimmsten deutschen Minister." Auch zu Hause hatte Herzog Ernst in diesen Tagen nicht wenig Verdruß. Sowohl in Koburg als in Gotha kamen von den ersten Tagen des April an bedenkliche Unruhen vor. In Gotha unternahm man wiederholt Angriffe auf das Leihhaus, und selbst das Zuchthaus war in Gefahr, gestürmt zu werden. Die Arbeiter verlangten Erhöhung der Löhne und machten Anstalt, ihre For¬ derung mit Gewalt durchzusetzen, sodaß der Herzog sich genötigt sah, an das in der Stadt stehende Bataillon Militär scharfe Patronen verteilen und die Bürgergarde während der Nacht unter Waffen bleiben zu lassen. Zu den schlimmsten Erscheinungen des Nevolutionsjahres gehörten die Versuche, die Disziplin der Truppen zu untergraben. Man mischte sich in die Militärjustiz und man hetzte die Mannschaften gegen die Offiziere auf. Fast an jedem Orte wurden mißliebige Beamte bedroht und übel behandelt. Einige mußten von ihren Stellen entfernt werden, um die erregte Stimmung zu beschwichtigen, andre rettete das persönliche Eingreifen des Herzogs. Eines Tages, im Mai, begegnete er auf einer seiner vielen Reisen zwischen Koburg und Gotha beim Herabsahren vom Thüringer Walde gegen das Hennebergische einem Wagen, dessen Insassen sich ihm als der Justiz-, der Rent- und der Forstamtmann von Zella Se. Blasn zu erkennen gaben. „Sie waren — berichtet der Verfasser — in größter Aufregung und erklärten mir, sie seien durch die Revolution von dort vertrieben wordeu, und wollten nach Gotha, um den Schutz der Regierung zu suchen. Arbeiter der Gewehrfabrik des Ortes hätten sich mit allerlei Ge¬ sinde! verbunden und die Beamten lebensgefährlich bedroht. ... Die Herren waren in einem so verzweifelten moralischen Zustande, daß meine anfängliche Idee, sie sofort zurückzuführen, sich nicht verwirklichen ließ. Ich fuhr daher allein in das Städtchen und stieg bei einem am Markte gelegenen Wirtshause ab. Auf dem Platze waren einige hundert Menschen versammelt, und vom Brunnen herab wurden Reden gehalten. Ich ließ mir von dem halb an¬ getrunkenen Wirte, der mich erkannt hatte, eine Art Tanzsaal aufsperren und bemächtigte mich eines zufällig anwesenden Gemeindeschreibers, der mir geeignet schien, ein Protokoll zu führen. Inzwischen verbreitete sich das Gerücht von meiner Ankunft, und ich nahm keinen Anstand, durch den Wirt, sowie durch einen Forstaufseher, der sich eingefunden hatte, die Leute wissen zu lassen, daß ich bereit wäre, ihre Beschwerden selbst zu vernehmen. Der Magistrat des Ortes, sowie die bessern Bürger und Fabrikbesitzer ... hatten sich entweder versteckt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/243>, abgerufen am 15.06.2024.