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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

oder waren wie meine Beamten davongegangen. So füllte sich der Saal, in
welchen ich mich begeben hatte, alsbald mit einer bunten Menge von Fabrik¬
arbeitern, Holzhauern und niedern Bürgern, welche mich schreiend umringten.
Ich verlangte eine regelrecht gewählte Deputation, um über die Sachlage ver¬
handeln zu können, und dies fand Anklang." Der Haufe verließ den Raum
und wählte draußen auf dem Markte etwa fünfzig Vertreter, die dann in wenig
parlamentarischer Form eine Unzahl von Klagen gegen die Beamten vorbrachten.
Der Herzog stellte ihnen vor, daß mit Anwendung von Gewalt gegen untere
Beamte nichts zu erreichen sei, wohl aber durch Absendung eiuer Deputation
an das Ministerium in Gotha, vorausgesetzt, daß man die Beamten vorher
ruhig wieder einziehen lasse. Nach einigem Widerstreben gestand man letzteres
zu, aber niemand war bereit, den Beamten Schutz und Sicherheit zu verheißen,
bis der Herzog drohte, dann eine Kompagnie Soldaten in den Ort zu verlegen,
welche längere Zeit bleiben und von der Einwohnerschaft zu verpflegen sein
würde. "Die sogenannte Deputation erklärte nun, sich von ihren Auftraggebern
Instruktion holen zu wollen, und so verließen die Leute wiederum den Saal,
um erst nach einer halben Stunde wiederzukommen. Meine Frage -- berichtet
er weiter --, ob die gesamte Bürgerschaft den Schutz der Beamten übernehmen
wolle, wurde zwar bejaht, aber man wollte bei der großen Aufregung und bei
den vielen Fremden, die sich angeblich im Orte aushielten, keine Bürgschaft
dafür geben. Um der Sache ein Ende zu machen, wendete ich mich an einige
der Nächststehenden, lobte ihre guten Gesinnungen und Absichten und redete thuen
zu, ein kurzes Protokoll zu unterschreiben, in welchem sie sich verpflichteten, die
Sicherheit der Beamten, wenn sie zurückkehrten, wahrzunehmen. Es fanden
sich schließlich an dreißig Personen hierzu bereit. Bald stellten sich auch andre
Bürger aus bessern Klassen ein, und es bildete sich ein Verein zur Aufrecht¬
haltung der Ordnung." Ein Diener holte die flüchtigen Herren aus Gotha
zurück, sie nahmen ihre Posten wieder ein, die Beschwerden gegen sie schmolzen,
als sie zu Papier gebracht wurden, aus ein Minimum zusammen und wurden
der Negierung übermittelt. "Im folgenden Jahre hatte ich -- so schließt die
Geschichte -- die Genugthuung, daß die Gemeinde, als zwei von den dortigen
Beamten versetzt werden sollten, die Bitte an die Regierung richtete, man möge
diese so geschätzten und beliebten Männer dem Orte ihrer gesegneten Thätigkeit
doch ja nicht entreißen."

Solche kleine Erfolge eines persönlichen Regiments, bei denen der Herzog
an seinen Bruder in London schrieb: "Mein Haus ist wie ein Hauptquartier,
von wo alle Befehle von mir persönlich ausgehen müssen," vermochten ihn
jedoch nicht über die allgemeine Verwirrung zu trösten und über die nächste
Zukunft zu beruhigen. Er sah die Gegenwart sehr schwarz und noch dunkleres
am Horizonte, und es ging ihm damit nicht anders als den übrigen deutschen
Inhabern von Thronen. Er schildert einen typischen Zustand, wenn er an


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

oder waren wie meine Beamten davongegangen. So füllte sich der Saal, in
welchen ich mich begeben hatte, alsbald mit einer bunten Menge von Fabrik¬
arbeitern, Holzhauern und niedern Bürgern, welche mich schreiend umringten.
Ich verlangte eine regelrecht gewählte Deputation, um über die Sachlage ver¬
handeln zu können, und dies fand Anklang." Der Haufe verließ den Raum
und wählte draußen auf dem Markte etwa fünfzig Vertreter, die dann in wenig
parlamentarischer Form eine Unzahl von Klagen gegen die Beamten vorbrachten.
Der Herzog stellte ihnen vor, daß mit Anwendung von Gewalt gegen untere
Beamte nichts zu erreichen sei, wohl aber durch Absendung eiuer Deputation
an das Ministerium in Gotha, vorausgesetzt, daß man die Beamten vorher
ruhig wieder einziehen lasse. Nach einigem Widerstreben gestand man letzteres
zu, aber niemand war bereit, den Beamten Schutz und Sicherheit zu verheißen,
bis der Herzog drohte, dann eine Kompagnie Soldaten in den Ort zu verlegen,
welche längere Zeit bleiben und von der Einwohnerschaft zu verpflegen sein
würde. „Die sogenannte Deputation erklärte nun, sich von ihren Auftraggebern
Instruktion holen zu wollen, und so verließen die Leute wiederum den Saal,
um erst nach einer halben Stunde wiederzukommen. Meine Frage — berichtet
er weiter —, ob die gesamte Bürgerschaft den Schutz der Beamten übernehmen
wolle, wurde zwar bejaht, aber man wollte bei der großen Aufregung und bei
den vielen Fremden, die sich angeblich im Orte aushielten, keine Bürgschaft
dafür geben. Um der Sache ein Ende zu machen, wendete ich mich an einige
der Nächststehenden, lobte ihre guten Gesinnungen und Absichten und redete thuen
zu, ein kurzes Protokoll zu unterschreiben, in welchem sie sich verpflichteten, die
Sicherheit der Beamten, wenn sie zurückkehrten, wahrzunehmen. Es fanden
sich schließlich an dreißig Personen hierzu bereit. Bald stellten sich auch andre
Bürger aus bessern Klassen ein, und es bildete sich ein Verein zur Aufrecht¬
haltung der Ordnung." Ein Diener holte die flüchtigen Herren aus Gotha
zurück, sie nahmen ihre Posten wieder ein, die Beschwerden gegen sie schmolzen,
als sie zu Papier gebracht wurden, aus ein Minimum zusammen und wurden
der Negierung übermittelt. „Im folgenden Jahre hatte ich — so schließt die
Geschichte — die Genugthuung, daß die Gemeinde, als zwei von den dortigen
Beamten versetzt werden sollten, die Bitte an die Regierung richtete, man möge
diese so geschätzten und beliebten Männer dem Orte ihrer gesegneten Thätigkeit
doch ja nicht entreißen."

Solche kleine Erfolge eines persönlichen Regiments, bei denen der Herzog
an seinen Bruder in London schrieb: „Mein Haus ist wie ein Hauptquartier,
von wo alle Befehle von mir persönlich ausgehen müssen," vermochten ihn
jedoch nicht über die allgemeine Verwirrung zu trösten und über die nächste
Zukunft zu beruhigen. Er sah die Gegenwart sehr schwarz und noch dunkleres
am Horizonte, und es ging ihm damit nicht anders als den übrigen deutschen
Inhabern von Thronen. Er schildert einen typischen Zustand, wenn er an


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[0244] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst. oder waren wie meine Beamten davongegangen. So füllte sich der Saal, in welchen ich mich begeben hatte, alsbald mit einer bunten Menge von Fabrik¬ arbeitern, Holzhauern und niedern Bürgern, welche mich schreiend umringten. Ich verlangte eine regelrecht gewählte Deputation, um über die Sachlage ver¬ handeln zu können, und dies fand Anklang." Der Haufe verließ den Raum und wählte draußen auf dem Markte etwa fünfzig Vertreter, die dann in wenig parlamentarischer Form eine Unzahl von Klagen gegen die Beamten vorbrachten. Der Herzog stellte ihnen vor, daß mit Anwendung von Gewalt gegen untere Beamte nichts zu erreichen sei, wohl aber durch Absendung eiuer Deputation an das Ministerium in Gotha, vorausgesetzt, daß man die Beamten vorher ruhig wieder einziehen lasse. Nach einigem Widerstreben gestand man letzteres zu, aber niemand war bereit, den Beamten Schutz und Sicherheit zu verheißen, bis der Herzog drohte, dann eine Kompagnie Soldaten in den Ort zu verlegen, welche längere Zeit bleiben und von der Einwohnerschaft zu verpflegen sein würde. „Die sogenannte Deputation erklärte nun, sich von ihren Auftraggebern Instruktion holen zu wollen, und so verließen die Leute wiederum den Saal, um erst nach einer halben Stunde wiederzukommen. Meine Frage — berichtet er weiter —, ob die gesamte Bürgerschaft den Schutz der Beamten übernehmen wolle, wurde zwar bejaht, aber man wollte bei der großen Aufregung und bei den vielen Fremden, die sich angeblich im Orte aushielten, keine Bürgschaft dafür geben. Um der Sache ein Ende zu machen, wendete ich mich an einige der Nächststehenden, lobte ihre guten Gesinnungen und Absichten und redete thuen zu, ein kurzes Protokoll zu unterschreiben, in welchem sie sich verpflichteten, die Sicherheit der Beamten, wenn sie zurückkehrten, wahrzunehmen. Es fanden sich schließlich an dreißig Personen hierzu bereit. Bald stellten sich auch andre Bürger aus bessern Klassen ein, und es bildete sich ein Verein zur Aufrecht¬ haltung der Ordnung." Ein Diener holte die flüchtigen Herren aus Gotha zurück, sie nahmen ihre Posten wieder ein, die Beschwerden gegen sie schmolzen, als sie zu Papier gebracht wurden, aus ein Minimum zusammen und wurden der Negierung übermittelt. „Im folgenden Jahre hatte ich — so schließt die Geschichte — die Genugthuung, daß die Gemeinde, als zwei von den dortigen Beamten versetzt werden sollten, die Bitte an die Regierung richtete, man möge diese so geschätzten und beliebten Männer dem Orte ihrer gesegneten Thätigkeit doch ja nicht entreißen." Solche kleine Erfolge eines persönlichen Regiments, bei denen der Herzog an seinen Bruder in London schrieb: „Mein Haus ist wie ein Hauptquartier, von wo alle Befehle von mir persönlich ausgehen müssen," vermochten ihn jedoch nicht über die allgemeine Verwirrung zu trösten und über die nächste Zukunft zu beruhigen. Er sah die Gegenwart sehr schwarz und noch dunkleres am Horizonte, und es ging ihm damit nicht anders als den übrigen deutschen Inhabern von Thronen. Er schildert einen typischen Zustand, wenn er an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/244>, abgerufen am 22.05.2024.