Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Arzt und der Aranke.

doch auch gesagt, der Zustand wäre ihr gleich nicht recht geheuer vorgekommen.
Und dann die eiskalten Umschläge! Bei dem Dienstmädchen von nebenan hat
der Doktor X. warme Umschläge machen lassen, und die war nach drei Tagen
wieder gesund. Wir wollen doch lieber einmal zu Doktor schicken." Ein
beginnender akuter Gelenkrheumatismus macht nach sachgemäßer Behandlung
schon in zwei Tagen einer vollständigen Genesung Platz. "Ach, heißt es da,
unser guter alter Sanitätsrat ist anch immer gleich zu ängstlich, es war wohl
kaum so schlimm und wäre auch gewiß ohne die scheußliche Salicylsäure wieder
gut geworden, zumal da ich von vornherein ordentlich zum Schwitzen einge¬
nommen hatte." Ein Kind wird von schwerer Diphtheritis aufs Krankenlager
geworfen, Mutter und Arzt teilen sich in die Sorge um deu Liebling, die
tückische Krankheit weicht, man atmet auf. "Dem Himmel sei Dank, ruft die
fromme Mutter, der liebe Gott hat meine Gebete erhört." Sehr wohl -- aber
wenn der Tod das Kind hinweggerafft hätte, wäre der Arzt dann auch leer
ausgegangen, oder würde er doch irgend ein Mittel unversucht gelassen zu haben
scheinen?

Man erweist im täglichen Leben so manchem fremden Menschen Höflichkeit
aller Art, findet im Verkehr hier ein ermunterndes, dort ein verbindliches
Wort, welches so manchen rauhen Weg ebnet. Sollte der Arzt, der in der
Erfüllung seines Berufes mit so viel unfeinen und ungefügen Elementen sich
abmüht, nicht darauf rechnen dürfen, für diese rauhe Arbeit durch die Wohlthat
doppelt angenehmer Formen in den gebildeten Familien etwas entschädigt zu
werden? Ist es doch für den Arzt wie ein erfrischender Thau, wenn er einmal
am Krankenbett verständige Auskunft, vertrauensvolle Auffassung, bescheidenes
Sichfügen und am Ende einen dankbaren Blick oder Händedruck empfängt.
Wir Ärzte stehen stündlich vor ungelösten Rätseln und vor der Unzulänglichkeit
unsrer Kunst und sind doch auch nur Menschen. Ein Erfolg, den wir mit
gutem Gewissen unsrer Hilfe zuschreiben dürfen, verleiht unsrer Seele Flügel.
Kein überschwängliches Lob vermag uns höher zu erheben, Wohl aber kann ein
freundlich anerkennendes, ein dankbares Wort uns erfreuen und uns von neuem
für eine Reihe von Verdrießlichkeiten stärken.

Steht es so, dann gedeiht auch das Vertrauen des Arztes zum Kranken,
dann gehört dem Kranken sein volles Interesse, und nie wird man den Arzt
vergebens rufen, ihn nie verstimmt kommen sehen, auch wenn man zu un¬
bequemster Stunde seiner Hilfe begehrte. Und stellt sich einmal ein Mißver¬
ständnis oder ein Zweifel in die Tüchtigkeit des Arztes ein, man gebe ihn nicht
gleich auf; gesetzt, eine geschicktere Hand, ein klarerer Blick könnte aus der Not
helfen, so bedenke man doch, daß der immer wachsame freundliche Berater nicht
sobald ersetzt ist. Ein verständiger Arzt wird aus freiem Antriebe um die
Befragung eines Kollegen bitten, wenn er Hilfe braucht, seine Verantwortung
zu teilen oder den Kranken und seine Umgebung zu beruhigen wünscht. Hält


Der Arzt und der Aranke.

doch auch gesagt, der Zustand wäre ihr gleich nicht recht geheuer vorgekommen.
Und dann die eiskalten Umschläge! Bei dem Dienstmädchen von nebenan hat
der Doktor X. warme Umschläge machen lassen, und die war nach drei Tagen
wieder gesund. Wir wollen doch lieber einmal zu Doktor schicken." Ein
beginnender akuter Gelenkrheumatismus macht nach sachgemäßer Behandlung
schon in zwei Tagen einer vollständigen Genesung Platz. „Ach, heißt es da,
unser guter alter Sanitätsrat ist anch immer gleich zu ängstlich, es war wohl
kaum so schlimm und wäre auch gewiß ohne die scheußliche Salicylsäure wieder
gut geworden, zumal da ich von vornherein ordentlich zum Schwitzen einge¬
nommen hatte." Ein Kind wird von schwerer Diphtheritis aufs Krankenlager
geworfen, Mutter und Arzt teilen sich in die Sorge um deu Liebling, die
tückische Krankheit weicht, man atmet auf. „Dem Himmel sei Dank, ruft die
fromme Mutter, der liebe Gott hat meine Gebete erhört." Sehr wohl — aber
wenn der Tod das Kind hinweggerafft hätte, wäre der Arzt dann auch leer
ausgegangen, oder würde er doch irgend ein Mittel unversucht gelassen zu haben
scheinen?

Man erweist im täglichen Leben so manchem fremden Menschen Höflichkeit
aller Art, findet im Verkehr hier ein ermunterndes, dort ein verbindliches
Wort, welches so manchen rauhen Weg ebnet. Sollte der Arzt, der in der
Erfüllung seines Berufes mit so viel unfeinen und ungefügen Elementen sich
abmüht, nicht darauf rechnen dürfen, für diese rauhe Arbeit durch die Wohlthat
doppelt angenehmer Formen in den gebildeten Familien etwas entschädigt zu
werden? Ist es doch für den Arzt wie ein erfrischender Thau, wenn er einmal
am Krankenbett verständige Auskunft, vertrauensvolle Auffassung, bescheidenes
Sichfügen und am Ende einen dankbaren Blick oder Händedruck empfängt.
Wir Ärzte stehen stündlich vor ungelösten Rätseln und vor der Unzulänglichkeit
unsrer Kunst und sind doch auch nur Menschen. Ein Erfolg, den wir mit
gutem Gewissen unsrer Hilfe zuschreiben dürfen, verleiht unsrer Seele Flügel.
Kein überschwängliches Lob vermag uns höher zu erheben, Wohl aber kann ein
freundlich anerkennendes, ein dankbares Wort uns erfreuen und uns von neuem
für eine Reihe von Verdrießlichkeiten stärken.

Steht es so, dann gedeiht auch das Vertrauen des Arztes zum Kranken,
dann gehört dem Kranken sein volles Interesse, und nie wird man den Arzt
vergebens rufen, ihn nie verstimmt kommen sehen, auch wenn man zu un¬
bequemster Stunde seiner Hilfe begehrte. Und stellt sich einmal ein Mißver¬
ständnis oder ein Zweifel in die Tüchtigkeit des Arztes ein, man gebe ihn nicht
gleich auf; gesetzt, eine geschicktere Hand, ein klarerer Blick könnte aus der Not
helfen, so bedenke man doch, daß der immer wachsame freundliche Berater nicht
sobald ersetzt ist. Ein verständiger Arzt wird aus freiem Antriebe um die
Befragung eines Kollegen bitten, wenn er Hilfe braucht, seine Verantwortung
zu teilen oder den Kranken und seine Umgebung zu beruhigen wünscht. Hält


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202128"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Arzt und der Aranke.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_61" prev="#ID_60"> doch auch gesagt, der Zustand wäre ihr gleich nicht recht geheuer vorgekommen.<lb/>
Und dann die eiskalten Umschläge! Bei dem Dienstmädchen von nebenan hat<lb/>
der Doktor X. warme Umschläge machen lassen, und die war nach drei Tagen<lb/>
wieder gesund. Wir wollen doch lieber einmal zu Doktor schicken." Ein<lb/>
beginnender akuter Gelenkrheumatismus macht nach sachgemäßer Behandlung<lb/>
schon in zwei Tagen einer vollständigen Genesung Platz. &#x201E;Ach, heißt es da,<lb/>
unser guter alter Sanitätsrat ist anch immer gleich zu ängstlich, es war wohl<lb/>
kaum so schlimm und wäre auch gewiß ohne die scheußliche Salicylsäure wieder<lb/>
gut geworden, zumal da ich von vornherein ordentlich zum Schwitzen einge¬<lb/>
nommen hatte." Ein Kind wird von schwerer Diphtheritis aufs Krankenlager<lb/>
geworfen, Mutter und Arzt teilen sich in die Sorge um deu Liebling, die<lb/>
tückische Krankheit weicht, man atmet auf. &#x201E;Dem Himmel sei Dank, ruft die<lb/>
fromme Mutter, der liebe Gott hat meine Gebete erhört." Sehr wohl &#x2014; aber<lb/>
wenn der Tod das Kind hinweggerafft hätte, wäre der Arzt dann auch leer<lb/>
ausgegangen, oder würde er doch irgend ein Mittel unversucht gelassen zu haben<lb/>
scheinen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_62"> Man erweist im täglichen Leben so manchem fremden Menschen Höflichkeit<lb/>
aller Art, findet im Verkehr hier ein ermunterndes, dort ein verbindliches<lb/>
Wort, welches so manchen rauhen Weg ebnet. Sollte der Arzt, der in der<lb/>
Erfüllung seines Berufes mit so viel unfeinen und ungefügen Elementen sich<lb/>
abmüht, nicht darauf rechnen dürfen, für diese rauhe Arbeit durch die Wohlthat<lb/>
doppelt angenehmer Formen in den gebildeten Familien etwas entschädigt zu<lb/>
werden? Ist es doch für den Arzt wie ein erfrischender Thau, wenn er einmal<lb/>
am Krankenbett verständige Auskunft, vertrauensvolle Auffassung, bescheidenes<lb/>
Sichfügen und am Ende einen dankbaren Blick oder Händedruck empfängt.<lb/>
Wir Ärzte stehen stündlich vor ungelösten Rätseln und vor der Unzulänglichkeit<lb/>
unsrer Kunst und sind doch auch nur Menschen. Ein Erfolg, den wir mit<lb/>
gutem Gewissen unsrer Hilfe zuschreiben dürfen, verleiht unsrer Seele Flügel.<lb/>
Kein überschwängliches Lob vermag uns höher zu erheben, Wohl aber kann ein<lb/>
freundlich anerkennendes, ein dankbares Wort uns erfreuen und uns von neuem<lb/>
für eine Reihe von Verdrießlichkeiten stärken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_63" next="#ID_64"> Steht es so, dann gedeiht auch das Vertrauen des Arztes zum Kranken,<lb/>
dann gehört dem Kranken sein volles Interesse, und nie wird man den Arzt<lb/>
vergebens rufen, ihn nie verstimmt kommen sehen, auch wenn man zu un¬<lb/>
bequemster Stunde seiner Hilfe begehrte. Und stellt sich einmal ein Mißver¬<lb/>
ständnis oder ein Zweifel in die Tüchtigkeit des Arztes ein, man gebe ihn nicht<lb/>
gleich auf; gesetzt, eine geschicktere Hand, ein klarerer Blick könnte aus der Not<lb/>
helfen, so bedenke man doch, daß der immer wachsame freundliche Berater nicht<lb/>
sobald ersetzt ist. Ein verständiger Arzt wird aus freiem Antriebe um die<lb/>
Befragung eines Kollegen bitten, wenn er Hilfe braucht, seine Verantwortung<lb/>
zu teilen oder den Kranken und seine Umgebung zu beruhigen wünscht. Hält</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] Der Arzt und der Aranke. doch auch gesagt, der Zustand wäre ihr gleich nicht recht geheuer vorgekommen. Und dann die eiskalten Umschläge! Bei dem Dienstmädchen von nebenan hat der Doktor X. warme Umschläge machen lassen, und die war nach drei Tagen wieder gesund. Wir wollen doch lieber einmal zu Doktor schicken." Ein beginnender akuter Gelenkrheumatismus macht nach sachgemäßer Behandlung schon in zwei Tagen einer vollständigen Genesung Platz. „Ach, heißt es da, unser guter alter Sanitätsrat ist anch immer gleich zu ängstlich, es war wohl kaum so schlimm und wäre auch gewiß ohne die scheußliche Salicylsäure wieder gut geworden, zumal da ich von vornherein ordentlich zum Schwitzen einge¬ nommen hatte." Ein Kind wird von schwerer Diphtheritis aufs Krankenlager geworfen, Mutter und Arzt teilen sich in die Sorge um deu Liebling, die tückische Krankheit weicht, man atmet auf. „Dem Himmel sei Dank, ruft die fromme Mutter, der liebe Gott hat meine Gebete erhört." Sehr wohl — aber wenn der Tod das Kind hinweggerafft hätte, wäre der Arzt dann auch leer ausgegangen, oder würde er doch irgend ein Mittel unversucht gelassen zu haben scheinen? Man erweist im täglichen Leben so manchem fremden Menschen Höflichkeit aller Art, findet im Verkehr hier ein ermunterndes, dort ein verbindliches Wort, welches so manchen rauhen Weg ebnet. Sollte der Arzt, der in der Erfüllung seines Berufes mit so viel unfeinen und ungefügen Elementen sich abmüht, nicht darauf rechnen dürfen, für diese rauhe Arbeit durch die Wohlthat doppelt angenehmer Formen in den gebildeten Familien etwas entschädigt zu werden? Ist es doch für den Arzt wie ein erfrischender Thau, wenn er einmal am Krankenbett verständige Auskunft, vertrauensvolle Auffassung, bescheidenes Sichfügen und am Ende einen dankbaren Blick oder Händedruck empfängt. Wir Ärzte stehen stündlich vor ungelösten Rätseln und vor der Unzulänglichkeit unsrer Kunst und sind doch auch nur Menschen. Ein Erfolg, den wir mit gutem Gewissen unsrer Hilfe zuschreiben dürfen, verleiht unsrer Seele Flügel. Kein überschwängliches Lob vermag uns höher zu erheben, Wohl aber kann ein freundlich anerkennendes, ein dankbares Wort uns erfreuen und uns von neuem für eine Reihe von Verdrießlichkeiten stärken. Steht es so, dann gedeiht auch das Vertrauen des Arztes zum Kranken, dann gehört dem Kranken sein volles Interesse, und nie wird man den Arzt vergebens rufen, ihn nie verstimmt kommen sehen, auch wenn man zu un¬ bequemster Stunde seiner Hilfe begehrte. Und stellt sich einmal ein Mißver¬ ständnis oder ein Zweifel in die Tüchtigkeit des Arztes ein, man gebe ihn nicht gleich auf; gesetzt, eine geschicktere Hand, ein klarerer Blick könnte aus der Not helfen, so bedenke man doch, daß der immer wachsame freundliche Berater nicht sobald ersetzt ist. Ein verständiger Arzt wird aus freiem Antriebe um die Befragung eines Kollegen bitten, wenn er Hilfe braucht, seine Verantwortung zu teilen oder den Kranken und seine Umgebung zu beruhigen wünscht. Hält

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/29>, abgerufen am 22.05.2024.