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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

jener Zeit der politischen Phrase genügte wenigstens anfangs der hohle Schein,
der ja damals so oft das Wesen ersetzen mußte. Und als später die jämmer¬
liche Nichtigkeit dieses Schattenkaisertums auch dem blödesten Auge nicht länger
verborgen bleiben konnte, da hielt dennoch, trotz Hohn, Spott und Mißachtung,
der wackere Erzherzog standhaft aus, bis -- nun, bis Österreich eine solche
Strohpuppe in Frankfurt nicht mehr nötig hatte, und bis der k. k. Bunoes-
präsidialgesandte vou neuem in der Eschenheimer Gasse in alter Weise waltete.

Während der österreichische Kaiserstaat durch mörderische Kriege nach innen
und außen, durch Aufruhr und grausige Blutthaten auf beiden Seiten seinem
Untergange entgegenzugehen schien, während in Schleswig-Holstein die Wasser¬
gänge mit Waffenstillständen wechselten, während bald hier, bald dort in Deutsch¬
land die Flamme des Bürgerkrieges emporloderte, während in der Bundesstadt
selbst die Septembergreuel verübt wurden, und blutige Straßenkampfe statt¬
fanden, erschöpfte sich die Versammlung in der Paulskirche in end- und frucht¬
losen Debatten. Soweit sie die äußere Politik betrafen, können sie hier nicht
erwähnt werden. In der innern Politik standen zwei Fragen im Vordergrunde:
die Grundrechte und die neue Reichsverfassung. Da der sogenannte Liberalismus
in Deutschland überhaupt nie etwas andres gekonnt hat, als nach französischer
Schablone arbeiten, so war es natürlich unvermeidlich, daß der Streit über die
Menschenrechte, der in der ersten französischen Revolution anfänglich eine so
hervorragende Rolle gespielt hatte, auch in der Paulskirche nachgeahmt wurde.
Diese Grundrechte sind ja jetzt, soweit sie verständig und praktisch durchführbar
waren, in allen Staaten Deutschlands verfassungsmäßig gewährleistet. Aber die
endlosen Erörterungen und die zahllosen Reden darüber mit allen ihren un¬
klaren Ideen und unreifen Vorschlägen nahmen die Zeit unnützerweise weg,
in der vielleicht etwas hätte geschehen können, und dienten schließlich nur
dazu, jene Gesellschaft von redewütigen Doktrinären um Ansehen und Einfluß
zu bringen.

Ebenso langatmig und ermüdend waren die Erörterungen über die neuzu¬
begründende Reichsverfassung. Legion war die Zahl der Vorschläge, welche im
Schoße der Versammlung und von Personen außerhalb derselben zu Tage ge¬
fördert wurden. Alle die Ideen, welche im Jahre 1814 bei Stiftung des
Bundestages aufgetaucht waren, machten sich von neuem breit. Daneben traten
aber demokratische und republikanische Bestrebungen in den Vordergrund, und
die Vertreter dieser Parteirichtung hatten vor den Doktrinären der andern
Parteien wenigstens den Vorzug, daß sie nicht ängstlich in der Auswahl ihrer
Mittel waren, und daß sie ohne große theoretische Bedenken rücksichtslos auf
ihr nächstes Ziel, den Umsturz alles Bestehenden, losgingen. Wenn sie dies
nur in sehr geringem Maße und nur für ganz kurze Zeit erreichten, so lag das
nicht an ihrem Mangel an politischer Energie, sondern an den realen Macht-
Verhältnissen, die doch endlich wieder zur Geltung kamen.


Der deutsche Bund.

jener Zeit der politischen Phrase genügte wenigstens anfangs der hohle Schein,
der ja damals so oft das Wesen ersetzen mußte. Und als später die jämmer¬
liche Nichtigkeit dieses Schattenkaisertums auch dem blödesten Auge nicht länger
verborgen bleiben konnte, da hielt dennoch, trotz Hohn, Spott und Mißachtung,
der wackere Erzherzog standhaft aus, bis — nun, bis Österreich eine solche
Strohpuppe in Frankfurt nicht mehr nötig hatte, und bis der k. k. Bunoes-
präsidialgesandte vou neuem in der Eschenheimer Gasse in alter Weise waltete.

Während der österreichische Kaiserstaat durch mörderische Kriege nach innen
und außen, durch Aufruhr und grausige Blutthaten auf beiden Seiten seinem
Untergange entgegenzugehen schien, während in Schleswig-Holstein die Wasser¬
gänge mit Waffenstillständen wechselten, während bald hier, bald dort in Deutsch¬
land die Flamme des Bürgerkrieges emporloderte, während in der Bundesstadt
selbst die Septembergreuel verübt wurden, und blutige Straßenkampfe statt¬
fanden, erschöpfte sich die Versammlung in der Paulskirche in end- und frucht¬
losen Debatten. Soweit sie die äußere Politik betrafen, können sie hier nicht
erwähnt werden. In der innern Politik standen zwei Fragen im Vordergrunde:
die Grundrechte und die neue Reichsverfassung. Da der sogenannte Liberalismus
in Deutschland überhaupt nie etwas andres gekonnt hat, als nach französischer
Schablone arbeiten, so war es natürlich unvermeidlich, daß der Streit über die
Menschenrechte, der in der ersten französischen Revolution anfänglich eine so
hervorragende Rolle gespielt hatte, auch in der Paulskirche nachgeahmt wurde.
Diese Grundrechte sind ja jetzt, soweit sie verständig und praktisch durchführbar
waren, in allen Staaten Deutschlands verfassungsmäßig gewährleistet. Aber die
endlosen Erörterungen und die zahllosen Reden darüber mit allen ihren un¬
klaren Ideen und unreifen Vorschlägen nahmen die Zeit unnützerweise weg,
in der vielleicht etwas hätte geschehen können, und dienten schließlich nur
dazu, jene Gesellschaft von redewütigen Doktrinären um Ansehen und Einfluß
zu bringen.

Ebenso langatmig und ermüdend waren die Erörterungen über die neuzu¬
begründende Reichsverfassung. Legion war die Zahl der Vorschläge, welche im
Schoße der Versammlung und von Personen außerhalb derselben zu Tage ge¬
fördert wurden. Alle die Ideen, welche im Jahre 1814 bei Stiftung des
Bundestages aufgetaucht waren, machten sich von neuem breit. Daneben traten
aber demokratische und republikanische Bestrebungen in den Vordergrund, und
die Vertreter dieser Parteirichtung hatten vor den Doktrinären der andern
Parteien wenigstens den Vorzug, daß sie nicht ängstlich in der Auswahl ihrer
Mittel waren, und daß sie ohne große theoretische Bedenken rücksichtslos auf
ihr nächstes Ziel, den Umsturz alles Bestehenden, losgingen. Wenn sie dies
nur in sehr geringem Maße und nur für ganz kurze Zeit erreichten, so lag das
nicht an ihrem Mangel an politischer Energie, sondern an den realen Macht-
Verhältnissen, die doch endlich wieder zur Geltung kamen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/303>, abgerufen am 10.06.2024.