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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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?avid Beronski.

Mit den ersten Hellem Tagen kommt der Hausherr zurück.
Was macht der Jude hier? Spielt er sich hier als Herr ans, wenn ich
fort bin?

Er war halb verhungert, Frost und Schnee hatten seine Glieder erstarrt,
entschuldigt die Frau ihre Barmherzigkeit. David ist ihr in den einsamen
Winterwochen ein freundlicher Gesellschafter gewesen, wenn er auch von dem,
was sein Herz am tiefsten bewegt, nichts gesagt hat.

Weißt du schon nicht mehr, daß die Juden mir mein Vieh genommen,
meinen Besitz geschmälert und uns zu armen Leuten gemacht haben? zürnt der
Gatte. Darf ich nicht den Rücken kehren, ohne daß einer ihrer vermaledeiten
Rasse sich sogar in Haus und Hof einzuschleichen versucht?

Sein Kind -- seines Kindes wegen! bittet die Frau, der das bleiche
Kinderantlitz unbeschreiblich das Herz bewegt hat.

Möge die junge Brut verderben, damit die Rasse der gierigen Geier endlich
aussterbe! Ehe ich zusehe, daß ein Jude sich in meinem Hause gütlich thue,
eher will ich das Dach meines Vaterhauses eigenhändig in Asche legen!

Dein Gatte sucht die Sünden meines Volkes an mir heim, doch ich bin
Christ, glaube mir, Herrin! Laß mich meines Weges gehen, und der allmäch¬
tige Gott lohne dir die Wohlthat, die du mir und meinem Kinde erwiesen!

Wieder jagt der Wind über Wald und Feld und durchschauert den Ein¬
samen, der die Zufluchtsstätte verläßt und aufs neue weiter wandern muß. --

Buntes, fröhliches Leben herrscht am Rande eines Waldes. In einem Halb¬
rund stehen kleine Zelte, in deren Mitte ein Helles Feuer brennt. Nackte, braune
Kinder wälzen sich daneben herum. Alte, runzlige Frauen besorgen das Geschäft
des Kochens, stoßen die Kinder, wenn sie ihnen in den Weg kommen, hocken
dann zusammen an der rauchenden Asche, die kurzen Pfeifen im zahnlosen Munde.
auf die Zurückkunft der jüngern Männer und Frauen wartend. Diese sind ihren
verschiednen Gewerben nachgezogen, niemand fragt, welchen, vorausgesetzt, daß
heimgebracht wird, was den Kessel füllt und alle sättigt.

Endlich kommen sie zurück -- eine bunte Gesellschaft. Die Männer weiß
gekleidet, die Frauen mit buntem Tand und Münzen behängt, je bunter, je
schreiender die Farben, desto besser. Einer spielt die Fidel. Wunderbar traurig
und schwermütig klingt die Weise. Plötzlich geht er in eine lustige Melodie
über, die alle packt, und sie tanzen, des blassen Fremdlings vergessend, den sie
mitgebracht haben.

Nur eine junge Zigeunerin hat ein bleiches Kind an ihren Busen gedruckt.
Sie haben die beiden erschöpft und halb verhungert unweit des Lagers gefunden.

David besitzt nichts mehr, womit er das Erbarmen der heimatlosen Zigeuner
erkaufen könnte, heimatlos ist er, wie sie, und ärmer, verlassner. Aber es be¬
darf dessen nicht. Man fragt ihn nichts, man giebt ihm und läßt ihn Teil
nehmen an dem, was da ist, und Rahel entschummert am Busen des jungen


?avid Beronski.

Mit den ersten Hellem Tagen kommt der Hausherr zurück.
Was macht der Jude hier? Spielt er sich hier als Herr ans, wenn ich
fort bin?

Er war halb verhungert, Frost und Schnee hatten seine Glieder erstarrt,
entschuldigt die Frau ihre Barmherzigkeit. David ist ihr in den einsamen
Winterwochen ein freundlicher Gesellschafter gewesen, wenn er auch von dem,
was sein Herz am tiefsten bewegt, nichts gesagt hat.

Weißt du schon nicht mehr, daß die Juden mir mein Vieh genommen,
meinen Besitz geschmälert und uns zu armen Leuten gemacht haben? zürnt der
Gatte. Darf ich nicht den Rücken kehren, ohne daß einer ihrer vermaledeiten
Rasse sich sogar in Haus und Hof einzuschleichen versucht?

Sein Kind — seines Kindes wegen! bittet die Frau, der das bleiche
Kinderantlitz unbeschreiblich das Herz bewegt hat.

Möge die junge Brut verderben, damit die Rasse der gierigen Geier endlich
aussterbe! Ehe ich zusehe, daß ein Jude sich in meinem Hause gütlich thue,
eher will ich das Dach meines Vaterhauses eigenhändig in Asche legen!

Dein Gatte sucht die Sünden meines Volkes an mir heim, doch ich bin
Christ, glaube mir, Herrin! Laß mich meines Weges gehen, und der allmäch¬
tige Gott lohne dir die Wohlthat, die du mir und meinem Kinde erwiesen!

Wieder jagt der Wind über Wald und Feld und durchschauert den Ein¬
samen, der die Zufluchtsstätte verläßt und aufs neue weiter wandern muß. —

Buntes, fröhliches Leben herrscht am Rande eines Waldes. In einem Halb¬
rund stehen kleine Zelte, in deren Mitte ein Helles Feuer brennt. Nackte, braune
Kinder wälzen sich daneben herum. Alte, runzlige Frauen besorgen das Geschäft
des Kochens, stoßen die Kinder, wenn sie ihnen in den Weg kommen, hocken
dann zusammen an der rauchenden Asche, die kurzen Pfeifen im zahnlosen Munde.
auf die Zurückkunft der jüngern Männer und Frauen wartend. Diese sind ihren
verschiednen Gewerben nachgezogen, niemand fragt, welchen, vorausgesetzt, daß
heimgebracht wird, was den Kessel füllt und alle sättigt.

Endlich kommen sie zurück — eine bunte Gesellschaft. Die Männer weiß
gekleidet, die Frauen mit buntem Tand und Münzen behängt, je bunter, je
schreiender die Farben, desto besser. Einer spielt die Fidel. Wunderbar traurig
und schwermütig klingt die Weise. Plötzlich geht er in eine lustige Melodie
über, die alle packt, und sie tanzen, des blassen Fremdlings vergessend, den sie
mitgebracht haben.

Nur eine junge Zigeunerin hat ein bleiches Kind an ihren Busen gedruckt.
Sie haben die beiden erschöpft und halb verhungert unweit des Lagers gefunden.

David besitzt nichts mehr, womit er das Erbarmen der heimatlosen Zigeuner
erkaufen könnte, heimatlos ist er, wie sie, und ärmer, verlassner. Aber es be¬
darf dessen nicht. Man fragt ihn nichts, man giebt ihm und läßt ihn Teil
nehmen an dem, was da ist, und Rahel entschummert am Busen des jungen


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[0323] ?avid Beronski. Mit den ersten Hellem Tagen kommt der Hausherr zurück. Was macht der Jude hier? Spielt er sich hier als Herr ans, wenn ich fort bin? Er war halb verhungert, Frost und Schnee hatten seine Glieder erstarrt, entschuldigt die Frau ihre Barmherzigkeit. David ist ihr in den einsamen Winterwochen ein freundlicher Gesellschafter gewesen, wenn er auch von dem, was sein Herz am tiefsten bewegt, nichts gesagt hat. Weißt du schon nicht mehr, daß die Juden mir mein Vieh genommen, meinen Besitz geschmälert und uns zu armen Leuten gemacht haben? zürnt der Gatte. Darf ich nicht den Rücken kehren, ohne daß einer ihrer vermaledeiten Rasse sich sogar in Haus und Hof einzuschleichen versucht? Sein Kind — seines Kindes wegen! bittet die Frau, der das bleiche Kinderantlitz unbeschreiblich das Herz bewegt hat. Möge die junge Brut verderben, damit die Rasse der gierigen Geier endlich aussterbe! Ehe ich zusehe, daß ein Jude sich in meinem Hause gütlich thue, eher will ich das Dach meines Vaterhauses eigenhändig in Asche legen! Dein Gatte sucht die Sünden meines Volkes an mir heim, doch ich bin Christ, glaube mir, Herrin! Laß mich meines Weges gehen, und der allmäch¬ tige Gott lohne dir die Wohlthat, die du mir und meinem Kinde erwiesen! Wieder jagt der Wind über Wald und Feld und durchschauert den Ein¬ samen, der die Zufluchtsstätte verläßt und aufs neue weiter wandern muß. — Buntes, fröhliches Leben herrscht am Rande eines Waldes. In einem Halb¬ rund stehen kleine Zelte, in deren Mitte ein Helles Feuer brennt. Nackte, braune Kinder wälzen sich daneben herum. Alte, runzlige Frauen besorgen das Geschäft des Kochens, stoßen die Kinder, wenn sie ihnen in den Weg kommen, hocken dann zusammen an der rauchenden Asche, die kurzen Pfeifen im zahnlosen Munde. auf die Zurückkunft der jüngern Männer und Frauen wartend. Diese sind ihren verschiednen Gewerben nachgezogen, niemand fragt, welchen, vorausgesetzt, daß heimgebracht wird, was den Kessel füllt und alle sättigt. Endlich kommen sie zurück — eine bunte Gesellschaft. Die Männer weiß gekleidet, die Frauen mit buntem Tand und Münzen behängt, je bunter, je schreiender die Farben, desto besser. Einer spielt die Fidel. Wunderbar traurig und schwermütig klingt die Weise. Plötzlich geht er in eine lustige Melodie über, die alle packt, und sie tanzen, des blassen Fremdlings vergessend, den sie mitgebracht haben. Nur eine junge Zigeunerin hat ein bleiches Kind an ihren Busen gedruckt. Sie haben die beiden erschöpft und halb verhungert unweit des Lagers gefunden. David besitzt nichts mehr, womit er das Erbarmen der heimatlosen Zigeuner erkaufen könnte, heimatlos ist er, wie sie, und ärmer, verlassner. Aber es be¬ darf dessen nicht. Man fragt ihn nichts, man giebt ihm und läßt ihn Teil nehmen an dem, was da ist, und Rahel entschummert am Busen des jungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/323>, abgerufen am 26.05.2024.