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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Zigeuuerwcibes, während David in der Nähe des wärmenden Feuers zu Boden
gesunken ist und starr in die roten Funken sieht. Seine Kräfte sind erschöpft,
seine Glieder schmerzen, seine Pulse klopfen fieberhaft, aber sein Mut ist nicht
gesunken. Durch alle Not hat ihn sein Vertrauen auf den allmächtigen Helfer
nicht verlassen, und langsam ist er seinem Ziele näher gerückt.

Die Zigeuner verstehen seinen Abscheu gegen Eisenbahn und Landstraße;
auch ihre Pfade liegen abseits, und auch sie vermeiden das Zusammentreffen
mit andern Menschen. Aber sie wenden sich der Gegend zu, nach der Davids
Sinn steht, und er bleibt bei ihnen. Bleibt, bis der schwere, lange Winter
vergeht und die Nächte kürzer, die Tage länger werden, bleibt, bis die Zi¬
geuner eine andre Richtung einschlagen -- dann wandert er wieder weiter,
der unbekannten Ferne zu.




8.

Langsam, aber unaufhörlich wächst endlich alles wieder empor, die Sonnen¬
strahlen haben neue Kraft und wecken die Erde zu neuem Leben. In Feld
und Wiese, Wald und Hain blüht und grünt es, bunte Blumen bedecken Feld
und Rain, die Luft ist voll Duft, die Winde sind lau und erquickend, der Himmel
zeigt ein klares Blau -- es ist Frühling, herzerfreuender Frühling! Der
Winter ist vergangen, Schnee und Eis geschmolzen, alles lacht dem Sommer
entgegen.

. Auch in der Nähe der Stadt, jener Stadt, nach der sich David so lange
gesehnt hat, läßt sich der Frühling nieder und sendet seine Voden in die schönen,
wohlgepflegten Gärten, welche die Stadt umgeben. Eine köstlich erfrischende Luft
durchzieht die breiten, freundlichen, reinlichen Straßen, und selbst der Friedhof, der
nach alter Sitte neben der Hauptkirche liegt, steht in einem Vlüteuslor. Die
alte Mauer, die ihn umgiebt, ist mit grünen Epheuraicken gekrönt, die ihre
feinen Wurzelfüßchen fest in das alte Gemäuer eingesenkt haben. Man sieht,
die Lebenden scheuen hier die Ruhestätte der Toten nicht, liebende Erinnerung
versucht eine Verbindung zu erhalten durch Liebesbeweise, welche wenigstens ihr
selbst wohlthut und sie an ein Zusammenleben glauben, auf ein Wiedersehen hoffen
läßt. Das Pfarrhaus sieht mit grün umrankten Fenster" auf die Friedens-
stätte, und der alte Pfarrer denkt gern des Tages, wo auch er sein müdes
Haupt unter seine Pfarrkinder betten wird.

Die Stadt zählt zu den größern im Lande, und man sagt, daß Handel
und Wandel hier blühe. Die Häuser sind fest und stattlich gebaut, große Alleen
ziehen sich um die Stadt und bieten den Bewohnern schattige, erquickende Spazier¬
gänge; gegen Abend, wenn die Kaufläden geschlossen werden, füllen sie sich mit
lustwandelnder Menschen.


David Beronski.

Zigeuuerwcibes, während David in der Nähe des wärmenden Feuers zu Boden
gesunken ist und starr in die roten Funken sieht. Seine Kräfte sind erschöpft,
seine Glieder schmerzen, seine Pulse klopfen fieberhaft, aber sein Mut ist nicht
gesunken. Durch alle Not hat ihn sein Vertrauen auf den allmächtigen Helfer
nicht verlassen, und langsam ist er seinem Ziele näher gerückt.

Die Zigeuner verstehen seinen Abscheu gegen Eisenbahn und Landstraße;
auch ihre Pfade liegen abseits, und auch sie vermeiden das Zusammentreffen
mit andern Menschen. Aber sie wenden sich der Gegend zu, nach der Davids
Sinn steht, und er bleibt bei ihnen. Bleibt, bis der schwere, lange Winter
vergeht und die Nächte kürzer, die Tage länger werden, bleibt, bis die Zi¬
geuner eine andre Richtung einschlagen — dann wandert er wieder weiter,
der unbekannten Ferne zu.




8.

Langsam, aber unaufhörlich wächst endlich alles wieder empor, die Sonnen¬
strahlen haben neue Kraft und wecken die Erde zu neuem Leben. In Feld
und Wiese, Wald und Hain blüht und grünt es, bunte Blumen bedecken Feld
und Rain, die Luft ist voll Duft, die Winde sind lau und erquickend, der Himmel
zeigt ein klares Blau — es ist Frühling, herzerfreuender Frühling! Der
Winter ist vergangen, Schnee und Eis geschmolzen, alles lacht dem Sommer
entgegen.

. Auch in der Nähe der Stadt, jener Stadt, nach der sich David so lange
gesehnt hat, läßt sich der Frühling nieder und sendet seine Voden in die schönen,
wohlgepflegten Gärten, welche die Stadt umgeben. Eine köstlich erfrischende Luft
durchzieht die breiten, freundlichen, reinlichen Straßen, und selbst der Friedhof, der
nach alter Sitte neben der Hauptkirche liegt, steht in einem Vlüteuslor. Die
alte Mauer, die ihn umgiebt, ist mit grünen Epheuraicken gekrönt, die ihre
feinen Wurzelfüßchen fest in das alte Gemäuer eingesenkt haben. Man sieht,
die Lebenden scheuen hier die Ruhestätte der Toten nicht, liebende Erinnerung
versucht eine Verbindung zu erhalten durch Liebesbeweise, welche wenigstens ihr
selbst wohlthut und sie an ein Zusammenleben glauben, auf ein Wiedersehen hoffen
läßt. Das Pfarrhaus sieht mit grün umrankten Fenster» auf die Friedens-
stätte, und der alte Pfarrer denkt gern des Tages, wo auch er sein müdes
Haupt unter seine Pfarrkinder betten wird.

Die Stadt zählt zu den größern im Lande, und man sagt, daß Handel
und Wandel hier blühe. Die Häuser sind fest und stattlich gebaut, große Alleen
ziehen sich um die Stadt und bieten den Bewohnern schattige, erquickende Spazier¬
gänge; gegen Abend, wenn die Kaufläden geschlossen werden, füllen sie sich mit
lustwandelnder Menschen.


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[0324] David Beronski. Zigeuuerwcibes, während David in der Nähe des wärmenden Feuers zu Boden gesunken ist und starr in die roten Funken sieht. Seine Kräfte sind erschöpft, seine Glieder schmerzen, seine Pulse klopfen fieberhaft, aber sein Mut ist nicht gesunken. Durch alle Not hat ihn sein Vertrauen auf den allmächtigen Helfer nicht verlassen, und langsam ist er seinem Ziele näher gerückt. Die Zigeuner verstehen seinen Abscheu gegen Eisenbahn und Landstraße; auch ihre Pfade liegen abseits, und auch sie vermeiden das Zusammentreffen mit andern Menschen. Aber sie wenden sich der Gegend zu, nach der Davids Sinn steht, und er bleibt bei ihnen. Bleibt, bis der schwere, lange Winter vergeht und die Nächte kürzer, die Tage länger werden, bleibt, bis die Zi¬ geuner eine andre Richtung einschlagen — dann wandert er wieder weiter, der unbekannten Ferne zu. 8. Langsam, aber unaufhörlich wächst endlich alles wieder empor, die Sonnen¬ strahlen haben neue Kraft und wecken die Erde zu neuem Leben. In Feld und Wiese, Wald und Hain blüht und grünt es, bunte Blumen bedecken Feld und Rain, die Luft ist voll Duft, die Winde sind lau und erquickend, der Himmel zeigt ein klares Blau — es ist Frühling, herzerfreuender Frühling! Der Winter ist vergangen, Schnee und Eis geschmolzen, alles lacht dem Sommer entgegen. . Auch in der Nähe der Stadt, jener Stadt, nach der sich David so lange gesehnt hat, läßt sich der Frühling nieder und sendet seine Voden in die schönen, wohlgepflegten Gärten, welche die Stadt umgeben. Eine köstlich erfrischende Luft durchzieht die breiten, freundlichen, reinlichen Straßen, und selbst der Friedhof, der nach alter Sitte neben der Hauptkirche liegt, steht in einem Vlüteuslor. Die alte Mauer, die ihn umgiebt, ist mit grünen Epheuraicken gekrönt, die ihre feinen Wurzelfüßchen fest in das alte Gemäuer eingesenkt haben. Man sieht, die Lebenden scheuen hier die Ruhestätte der Toten nicht, liebende Erinnerung versucht eine Verbindung zu erhalten durch Liebesbeweise, welche wenigstens ihr selbst wohlthut und sie an ein Zusammenleben glauben, auf ein Wiedersehen hoffen läßt. Das Pfarrhaus sieht mit grün umrankten Fenster» auf die Friedens- stätte, und der alte Pfarrer denkt gern des Tages, wo auch er sein müdes Haupt unter seine Pfarrkinder betten wird. Die Stadt zählt zu den größern im Lande, und man sagt, daß Handel und Wandel hier blühe. Die Häuser sind fest und stattlich gebaut, große Alleen ziehen sich um die Stadt und bieten den Bewohnern schattige, erquickende Spazier¬ gänge; gegen Abend, wenn die Kaufläden geschlossen werden, füllen sie sich mit lustwandelnder Menschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/324>, abgerufen am 17.06.2024.