Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
David Beronski.

in Davids Augen, und ihr Herz that ihr weh. Sie hätte ihr Leben hingeben
mögen, um ihm zu helfen. Als sie seine Stimme erkannt und aus Rubens
lauten Worten die Bestätigung gehört hatte, daß er lebe und wirklich hier sei,
überwältigten sie Freude und Überraschung so vollständig, daß sie sich vor die
Thüre niedersetzen mußte, ehe sie eintreten konnte. So wurde sie eine unfrei¬
willige Zeugin von ihres Bruders harten Antworten. Mit blutendem Herzen
war sie endlich eingetreten.

Ich weiß ein Haus, in dem du mit Nadel bleiben kannst, sagte sie, schüchtern
seine Schulter berührend.

Jeschka! Meiner Mutter Fluch verfolgt mich! Wenn ich meine Augen
schließe, stehen die schrecklichen Worte in feurigen Zügen vor mir, bei allem,
was ich thue, höre ich sie, und der Fluch ist es, der mir jedes Menschen Herz
verschließt. Wo immer ich gewesen bin, hat man mich fortgewesen, jede Schwelle,
die ich betrat, ward mir verschlossen. Und nicht mir allein, sondern meinem
unschuldigen Kinde -- es geht zu Grunde! Und doch konnte ich nicht anders,
ich mußte fort und durfte das Kind nicht da lassen. Nagt doch die Qual,
Rebekka dort gelassen zu haben, wie eine Schlange an meinem Herzen. O, wann
werde ich die Worte des Heils wieder lesen können!

David Beronski! sagte Jeschka schnell, indem eine lebhafte Nöte über ihr
Antlitz lief und ihre großen Augen mit wunderbar freudigem Lichte auf ihn
blickten. Auch ich habe mit Rüben gelesen und gelernt, und ich habe die Worte
verstanden und behalten. Das Buch, woraus du sie genommen hattest, ist in
dem Hause, wohin ich dich und Rahel bringen werde.

Mit einer raschen Bewegung legte David die kleine Rahel in Jeschkas
Arme, und indem er sich tief bückte, führte er den Saum ihres Gewandes an
seine Lippen.

Der Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs segne dich, sagte er mit erstickter
Stimme. Mein Geist wird gestärkt und erquickt sein, wenn ich die heiligen
Worte endlich wieder lesen kann. Ich hätte Alexei darum gebeten, er hätte es
mir verziehen, daß ich ihm das Buch nicht zurückgegeben habe. Sage mir, wo
du es gesehen hast, wo ich es finde.

Komm! antwortete Jeschka kurz und zog ihn an der Hand vorwärts. Wenn
du den Herrn siehst, so --

Weißt du von ihm? fragte David eifrig.

Rüben weiß, wo er ist.

David schwieg; sein Herz wandte sich ab von dem Jünglinge, der ihn wie
einen Bettler hinausgewiesen und außerdem belogen hatte.

Er nahm Jeschka die Kleine nicht wieder ab, sondern ging langsam neben
dem Mädchen her, er fühlte seine Kräfte schwinden. Er hatte wohl das Ziel
seiner langen Wanderung erreicht, aber die Enttäuschung, die er erlitten hatte,
war ein zu harter Schlag für ihn gewesen.


David Beronski.

in Davids Augen, und ihr Herz that ihr weh. Sie hätte ihr Leben hingeben
mögen, um ihm zu helfen. Als sie seine Stimme erkannt und aus Rubens
lauten Worten die Bestätigung gehört hatte, daß er lebe und wirklich hier sei,
überwältigten sie Freude und Überraschung so vollständig, daß sie sich vor die
Thüre niedersetzen mußte, ehe sie eintreten konnte. So wurde sie eine unfrei¬
willige Zeugin von ihres Bruders harten Antworten. Mit blutendem Herzen
war sie endlich eingetreten.

Ich weiß ein Haus, in dem du mit Nadel bleiben kannst, sagte sie, schüchtern
seine Schulter berührend.

Jeschka! Meiner Mutter Fluch verfolgt mich! Wenn ich meine Augen
schließe, stehen die schrecklichen Worte in feurigen Zügen vor mir, bei allem,
was ich thue, höre ich sie, und der Fluch ist es, der mir jedes Menschen Herz
verschließt. Wo immer ich gewesen bin, hat man mich fortgewesen, jede Schwelle,
die ich betrat, ward mir verschlossen. Und nicht mir allein, sondern meinem
unschuldigen Kinde — es geht zu Grunde! Und doch konnte ich nicht anders,
ich mußte fort und durfte das Kind nicht da lassen. Nagt doch die Qual,
Rebekka dort gelassen zu haben, wie eine Schlange an meinem Herzen. O, wann
werde ich die Worte des Heils wieder lesen können!

David Beronski! sagte Jeschka schnell, indem eine lebhafte Nöte über ihr
Antlitz lief und ihre großen Augen mit wunderbar freudigem Lichte auf ihn
blickten. Auch ich habe mit Rüben gelesen und gelernt, und ich habe die Worte
verstanden und behalten. Das Buch, woraus du sie genommen hattest, ist in
dem Hause, wohin ich dich und Rahel bringen werde.

Mit einer raschen Bewegung legte David die kleine Rahel in Jeschkas
Arme, und indem er sich tief bückte, führte er den Saum ihres Gewandes an
seine Lippen.

Der Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs segne dich, sagte er mit erstickter
Stimme. Mein Geist wird gestärkt und erquickt sein, wenn ich die heiligen
Worte endlich wieder lesen kann. Ich hätte Alexei darum gebeten, er hätte es
mir verziehen, daß ich ihm das Buch nicht zurückgegeben habe. Sage mir, wo
du es gesehen hast, wo ich es finde.

Komm! antwortete Jeschka kurz und zog ihn an der Hand vorwärts. Wenn
du den Herrn siehst, so —

Weißt du von ihm? fragte David eifrig.

Rüben weiß, wo er ist.

David schwieg; sein Herz wandte sich ab von dem Jünglinge, der ihn wie
einen Bettler hinausgewiesen und außerdem belogen hatte.

Er nahm Jeschka die Kleine nicht wieder ab, sondern ging langsam neben
dem Mädchen her, er fühlte seine Kräfte schwinden. Er hatte wohl das Ziel
seiner langen Wanderung erreicht, aber die Enttäuschung, die er erlitten hatte,
war ein zu harter Schlag für ihn gewesen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202473"/>
          <fw type="header" place="top"> David Beronski.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377"> in Davids Augen, und ihr Herz that ihr weh. Sie hätte ihr Leben hingeben<lb/>
mögen, um ihm zu helfen. Als sie seine Stimme erkannt und aus Rubens<lb/>
lauten Worten die Bestätigung gehört hatte, daß er lebe und wirklich hier sei,<lb/>
überwältigten sie Freude und Überraschung so vollständig, daß sie sich vor die<lb/>
Thüre niedersetzen mußte, ehe sie eintreten konnte. So wurde sie eine unfrei¬<lb/>
willige Zeugin von ihres Bruders harten Antworten. Mit blutendem Herzen<lb/>
war sie endlich eingetreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1379"> Ich weiß ein Haus, in dem du mit Nadel bleiben kannst, sagte sie, schüchtern<lb/>
seine Schulter berührend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1380"> Jeschka! Meiner Mutter Fluch verfolgt mich! Wenn ich meine Augen<lb/>
schließe, stehen die schrecklichen Worte in feurigen Zügen vor mir, bei allem,<lb/>
was ich thue, höre ich sie, und der Fluch ist es, der mir jedes Menschen Herz<lb/>
verschließt. Wo immer ich gewesen bin, hat man mich fortgewesen, jede Schwelle,<lb/>
die ich betrat, ward mir verschlossen. Und nicht mir allein, sondern meinem<lb/>
unschuldigen Kinde &#x2014; es geht zu Grunde! Und doch konnte ich nicht anders,<lb/>
ich mußte fort und durfte das Kind nicht da lassen. Nagt doch die Qual,<lb/>
Rebekka dort gelassen zu haben, wie eine Schlange an meinem Herzen. O, wann<lb/>
werde ich die Worte des Heils wieder lesen können!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1381"> David Beronski! sagte Jeschka schnell, indem eine lebhafte Nöte über ihr<lb/>
Antlitz lief und ihre großen Augen mit wunderbar freudigem Lichte auf ihn<lb/>
blickten. Auch ich habe mit Rüben gelesen und gelernt, und ich habe die Worte<lb/>
verstanden und behalten. Das Buch, woraus du sie genommen hattest, ist in<lb/>
dem Hause, wohin ich dich und Rahel bringen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1382"> Mit einer raschen Bewegung legte David die kleine Rahel in Jeschkas<lb/>
Arme, und indem er sich tief bückte, führte er den Saum ihres Gewandes an<lb/>
seine Lippen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1383"> Der Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs segne dich, sagte er mit erstickter<lb/>
Stimme. Mein Geist wird gestärkt und erquickt sein, wenn ich die heiligen<lb/>
Worte endlich wieder lesen kann. Ich hätte Alexei darum gebeten, er hätte es<lb/>
mir verziehen, daß ich ihm das Buch nicht zurückgegeben habe. Sage mir, wo<lb/>
du es gesehen hast, wo ich es finde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1384"> Komm! antwortete Jeschka kurz und zog ihn an der Hand vorwärts. Wenn<lb/>
du den Herrn siehst, so &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1385"> Weißt du von ihm? fragte David eifrig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1386"> Rüben weiß, wo er ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1387"> David schwieg; sein Herz wandte sich ab von dem Jünglinge, der ihn wie<lb/>
einen Bettler hinausgewiesen und außerdem belogen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1388"> Er nahm Jeschka die Kleine nicht wieder ab, sondern ging langsam neben<lb/>
dem Mädchen her, er fühlte seine Kräfte schwinden. Er hatte wohl das Ziel<lb/>
seiner langen Wanderung erreicht, aber die Enttäuschung, die er erlitten hatte,<lb/>
war ein zu harter Schlag für ihn gewesen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] David Beronski. in Davids Augen, und ihr Herz that ihr weh. Sie hätte ihr Leben hingeben mögen, um ihm zu helfen. Als sie seine Stimme erkannt und aus Rubens lauten Worten die Bestätigung gehört hatte, daß er lebe und wirklich hier sei, überwältigten sie Freude und Überraschung so vollständig, daß sie sich vor die Thüre niedersetzen mußte, ehe sie eintreten konnte. So wurde sie eine unfrei¬ willige Zeugin von ihres Bruders harten Antworten. Mit blutendem Herzen war sie endlich eingetreten. Ich weiß ein Haus, in dem du mit Nadel bleiben kannst, sagte sie, schüchtern seine Schulter berührend. Jeschka! Meiner Mutter Fluch verfolgt mich! Wenn ich meine Augen schließe, stehen die schrecklichen Worte in feurigen Zügen vor mir, bei allem, was ich thue, höre ich sie, und der Fluch ist es, der mir jedes Menschen Herz verschließt. Wo immer ich gewesen bin, hat man mich fortgewesen, jede Schwelle, die ich betrat, ward mir verschlossen. Und nicht mir allein, sondern meinem unschuldigen Kinde — es geht zu Grunde! Und doch konnte ich nicht anders, ich mußte fort und durfte das Kind nicht da lassen. Nagt doch die Qual, Rebekka dort gelassen zu haben, wie eine Schlange an meinem Herzen. O, wann werde ich die Worte des Heils wieder lesen können! David Beronski! sagte Jeschka schnell, indem eine lebhafte Nöte über ihr Antlitz lief und ihre großen Augen mit wunderbar freudigem Lichte auf ihn blickten. Auch ich habe mit Rüben gelesen und gelernt, und ich habe die Worte verstanden und behalten. Das Buch, woraus du sie genommen hattest, ist in dem Hause, wohin ich dich und Rahel bringen werde. Mit einer raschen Bewegung legte David die kleine Rahel in Jeschkas Arme, und indem er sich tief bückte, führte er den Saum ihres Gewandes an seine Lippen. Der Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs segne dich, sagte er mit erstickter Stimme. Mein Geist wird gestärkt und erquickt sein, wenn ich die heiligen Worte endlich wieder lesen kann. Ich hätte Alexei darum gebeten, er hätte es mir verziehen, daß ich ihm das Buch nicht zurückgegeben habe. Sage mir, wo du es gesehen hast, wo ich es finde. Komm! antwortete Jeschka kurz und zog ihn an der Hand vorwärts. Wenn du den Herrn siehst, so — Weißt du von ihm? fragte David eifrig. Rüben weiß, wo er ist. David schwieg; sein Herz wandte sich ab von dem Jünglinge, der ihn wie einen Bettler hinausgewiesen und außerdem belogen hatte. Er nahm Jeschka die Kleine nicht wieder ab, sondern ging langsam neben dem Mädchen her, er fühlte seine Kräfte schwinden. Er hatte wohl das Ziel seiner langen Wanderung erreicht, aber die Enttäuschung, die er erlitten hatte, war ein zu harter Schlag für ihn gewesen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/374>, abgerufen am 22.05.2024.