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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gin böser Geist im heutigen England.

nur eine pharisäische Überzeugung von der hoch erhabenen Stellung Englands
erklären kann. "Dieses Beispiel von Pharisäertum wird doppelt interessant,
wenn wir den merklichen Kontrast der damaligen Stellung Preußens mit seiner
jetzigen ins Auge fassen. Denn heutzutage macht die bei der Ernennung
des Prinzen von Wales zum preußischen Feldmarschall die Entdeckung, daß es
eine Ehre für England ist, wenn der Thronerbe preußischer Offizier ist."
Whitman kommt dann im weitern Verlaufe auf den Antagonismus zu sprechen,
der zwischen dem Fürsten Bismarck und gewissen englischen Staatsmännern
vermutet wird -- "dem Fürsten Bismarck, dem ernsten, starken Manne nach
Carlyles innerstem Herzen, und unsern Kniffe liebenden, geschwätzigen, Pharisäischen
Nachtischrednern. Läßt sich ein größerer 'Kontrast denken? Es ist wahr, Fürst
Bismarck soll eine gebieterische Natur sein, und den britischen Pharisäismus
könnte es wohl verdrießen, daß sein Name in eine Betrachtung rein englischer
Tugend eingeführt wird, wenn nicht beide Parteien im Staate sich neuerdings
so viel Mühe gegeben hätten, ihn zu versöhnen, daß die Erwähnung seines
Namens beinahe sicher gestellt wurde. Nun denn, so wie er ist, läßt er nicht
vermuten, daß er sich in den Durchschnittstypus kasuistischer Geschwätzigkeit
oder geschwätziger Kasuistik verlieben wird, welche bei uns oft für staatsmän¬
nische Eigenschaften Dienst thut. Die Gründe für die bei ihm vermutete Ab¬
neigung müssen tiefer gesucht werden. Sie liegen so dicht beim Pharisäismus,
wie der Apfel beim Baume. Sie entspringen unbewußt den Gefühlen übel
verhehlten, halb mit Verachtung verwandten Mißfallens, welches ein Mann, der
seine Existenz und die seines Souveräns und seines Volkes auf den Ausgang
einer Schlacht gesetzt hat, gegenüber einer plutokratischen Klasse fühlen muß,
die Geschlechter hindurch nur Leben und Gut andrer Leute gewagt und bei dem
Verfahren immer profitirt und sich bereichert hat. Daß ein Mann von der Art
Bismarcks mehr Sympathie mit der herrschenden Klasse in Österreich, Frankreich
und Nußland empfinden muß, welche wie seine eigne in unsrer Zeit mit dem
Schwerte in der Hand ihr Leben auf den Fall der eisernen Würfel gesetzt
haben, heißt nur sagen, daß Blut dicker als Wasser ist. Aber es ist nicht bloß
der Mangel einer gemeinsamen Bluttaufe, welcher die oben erwähnte Abneigung
des Fürsten Bismarck erklärt, es kommt noch der pharisäische Hochmut hinzu,
mit welchem bis auf die neueste Zeit unsre Führer fremde Behörden, politische
wie soziale, behandelt haben. Bismarck ist nicht rachsüchtig, besitzt aber ein
treffliches Gedächtnis, und seine Erfahrungen in Petersburg, Frankfurt u. dergl.
könnten ohne Zweifel zu vielem, was wir an ihm für unerklärlich halten, den
Schlüssel liefern. Natürlich ist unsre Täuscherpresse bereit, schon über den
bloßen Gedanken spöttisch zu lächeln, daß ein so hervorragender Mann von
persönlichen Beweggründen bestimmt werde, aber es ist ganz einerlei, da an¬
zunehmen ist, daß sie es uicht um nichts thun, wenn es sich trifft, daß sie
Hand in Hand mit den vermutlichen Interessen seiner Politik gehen. Er ist


Gin böser Geist im heutigen England.

nur eine pharisäische Überzeugung von der hoch erhabenen Stellung Englands
erklären kann. „Dieses Beispiel von Pharisäertum wird doppelt interessant,
wenn wir den merklichen Kontrast der damaligen Stellung Preußens mit seiner
jetzigen ins Auge fassen. Denn heutzutage macht die bei der Ernennung
des Prinzen von Wales zum preußischen Feldmarschall die Entdeckung, daß es
eine Ehre für England ist, wenn der Thronerbe preußischer Offizier ist."
Whitman kommt dann im weitern Verlaufe auf den Antagonismus zu sprechen,
der zwischen dem Fürsten Bismarck und gewissen englischen Staatsmännern
vermutet wird — „dem Fürsten Bismarck, dem ernsten, starken Manne nach
Carlyles innerstem Herzen, und unsern Kniffe liebenden, geschwätzigen, Pharisäischen
Nachtischrednern. Läßt sich ein größerer 'Kontrast denken? Es ist wahr, Fürst
Bismarck soll eine gebieterische Natur sein, und den britischen Pharisäismus
könnte es wohl verdrießen, daß sein Name in eine Betrachtung rein englischer
Tugend eingeführt wird, wenn nicht beide Parteien im Staate sich neuerdings
so viel Mühe gegeben hätten, ihn zu versöhnen, daß die Erwähnung seines
Namens beinahe sicher gestellt wurde. Nun denn, so wie er ist, läßt er nicht
vermuten, daß er sich in den Durchschnittstypus kasuistischer Geschwätzigkeit
oder geschwätziger Kasuistik verlieben wird, welche bei uns oft für staatsmän¬
nische Eigenschaften Dienst thut. Die Gründe für die bei ihm vermutete Ab¬
neigung müssen tiefer gesucht werden. Sie liegen so dicht beim Pharisäismus,
wie der Apfel beim Baume. Sie entspringen unbewußt den Gefühlen übel
verhehlten, halb mit Verachtung verwandten Mißfallens, welches ein Mann, der
seine Existenz und die seines Souveräns und seines Volkes auf den Ausgang
einer Schlacht gesetzt hat, gegenüber einer plutokratischen Klasse fühlen muß,
die Geschlechter hindurch nur Leben und Gut andrer Leute gewagt und bei dem
Verfahren immer profitirt und sich bereichert hat. Daß ein Mann von der Art
Bismarcks mehr Sympathie mit der herrschenden Klasse in Österreich, Frankreich
und Nußland empfinden muß, welche wie seine eigne in unsrer Zeit mit dem
Schwerte in der Hand ihr Leben auf den Fall der eisernen Würfel gesetzt
haben, heißt nur sagen, daß Blut dicker als Wasser ist. Aber es ist nicht bloß
der Mangel einer gemeinsamen Bluttaufe, welcher die oben erwähnte Abneigung
des Fürsten Bismarck erklärt, es kommt noch der pharisäische Hochmut hinzu,
mit welchem bis auf die neueste Zeit unsre Führer fremde Behörden, politische
wie soziale, behandelt haben. Bismarck ist nicht rachsüchtig, besitzt aber ein
treffliches Gedächtnis, und seine Erfahrungen in Petersburg, Frankfurt u. dergl.
könnten ohne Zweifel zu vielem, was wir an ihm für unerklärlich halten, den
Schlüssel liefern. Natürlich ist unsre Täuscherpresse bereit, schon über den
bloßen Gedanken spöttisch zu lächeln, daß ein so hervorragender Mann von
persönlichen Beweggründen bestimmt werde, aber es ist ganz einerlei, da an¬
zunehmen ist, daß sie es uicht um nichts thun, wenn es sich trifft, daß sie
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/390>, abgerufen am 04.06.2024.