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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bamberger.

Wenn es ihnen auch gar nicht einfällt, Deutschland zu verachten, so lassen sie
sichs doch gern gefallen, wenn ein Mann, welcher die Ehre genießt, im deutschen
Reichstage zu sitzen, ohne Erröten ihnen diese Empfindung andichtet.

Und weshalb soll Deutschland demi Auslande verächtlich erscheinen? Weil
es so unglücklich ist, nicht parlamentarisch regiert zu werden. Mau weiß in
Wahrheit nicht, ob da ein Mann mit gesunden Sinnen spricht! Wenn vor
Jahrzehnten der Deutsche lüstern über die Mauern blickte, jenseits deren Ver¬
fassung, Preßfreiheit und andre verbotene Früchte zu sehen waren, so ließ sich
das begreifen. Aber in diesem Augenblicke, wo nur diejenigen parlamentarisch
regierten Staaten nicht das Bild völliger Zerrüttung gewahren, in welchen das
gute Glück einen entschlossenen Staatsmann, der sich nicht führen läßt, sondern
selbst führt, und im Falle der Not sich eine Mehrheit zu macheu versteht, an
das Ruder gebracht hat; in diesem Augenblicke, wo Frankreich, soeben glatt an
einem Ministerium Clemencean vorübergeglitten, unmittelbar vor einem Mini¬
sterium Flvquet steht, und in den nächsten Monaten das Glück erleben kann,
zu sehen, wie Nevillon, Felix Phat oder Nochefort mit oder ohne Boulanger
sich auf einem Ministerstuhl ausnehmen, wo selbst der Mann, welchen die dortige
Radicaille am meisten haßt, weil sie ihm Energie zutraut, Jules Fcrry, glaubt,
durch Nevauchephrasen dem Blödsinn der Masse schmeicheln zu müssen; in dem
Augenblicke, wo England weder im Innern noch nach außen zu einer konse¬
quenten Politik kommen kann, weil die erste beste Abstimmung oder die Zufällig¬
keiten eines Wahlganges es bald auf die eine, bald auf die entgegengesetzte
Seite werfen: in diesem Augenblicke noch die alte Leier anstimmen, das kann
nur jemand leisten, der Schenklappen trägt so groß wie Scheunthorflügel.

Und in dieser wenig beneidenswerten Lage befindet sich offenbar Herr
Bamberger. Wir bleiben bei ihm, obwohl sein Schüler, Herr Hamel, die "Ver¬
achtung" seines Meisters noch durch "Abscheu und Ekel der Bevölkerung" über¬
trumpft, und damit den Verdacht hervorgerufen hat, der unverfälschte "Freisinn"
sei am 6. Februar nicht von patriotischer Regung ergriffen gewesen, sondern
habe nur aus dem Scptenucitsfeldzuge eine Lehre gezogen. Wir bleiben bei
Herrn Bamberger, schon weil dieser weiß, was er will, was bei dem Kieler
Professor des Staatsrechts mindestens sehr zweifelhaft ist, denn der einst so
naiv zum Besten gegebenen Hoffnung auf ein Ministerportefenille dürfte er in¬
zwischen wohl entsagt haben. Herr Bamberger will den Freihandel zu unserm
eigentlichen Staatsgrundgesetze machen. Er war regierungsfreundlich, so lange
in wirtschaftlichen Fragen seine Gesinnungsgenossen das entscheidende Wort zu
sprechen hatten, und ließ damals über andre Dinge leicht mit sich reden, aber
er versteht keinen Spaß, seitdem dem Gesetz und den Propheten der Gehorsam
versagt wird. Das Gesetz ist nicht diskutabel, der wahre Glaube darf keiner
Kritik unterzogen werden, wogegen es erlaubt ist, Argumente für ihn anzu¬
führen, und die "Irrlehren" für Dinge verantwortlich zu machen, mit welchen


Die Bamberger.

Wenn es ihnen auch gar nicht einfällt, Deutschland zu verachten, so lassen sie
sichs doch gern gefallen, wenn ein Mann, welcher die Ehre genießt, im deutschen
Reichstage zu sitzen, ohne Erröten ihnen diese Empfindung andichtet.

Und weshalb soll Deutschland demi Auslande verächtlich erscheinen? Weil
es so unglücklich ist, nicht parlamentarisch regiert zu werden. Mau weiß in
Wahrheit nicht, ob da ein Mann mit gesunden Sinnen spricht! Wenn vor
Jahrzehnten der Deutsche lüstern über die Mauern blickte, jenseits deren Ver¬
fassung, Preßfreiheit und andre verbotene Früchte zu sehen waren, so ließ sich
das begreifen. Aber in diesem Augenblicke, wo nur diejenigen parlamentarisch
regierten Staaten nicht das Bild völliger Zerrüttung gewahren, in welchen das
gute Glück einen entschlossenen Staatsmann, der sich nicht führen läßt, sondern
selbst führt, und im Falle der Not sich eine Mehrheit zu macheu versteht, an
das Ruder gebracht hat; in diesem Augenblicke, wo Frankreich, soeben glatt an
einem Ministerium Clemencean vorübergeglitten, unmittelbar vor einem Mini¬
sterium Flvquet steht, und in den nächsten Monaten das Glück erleben kann,
zu sehen, wie Nevillon, Felix Phat oder Nochefort mit oder ohne Boulanger
sich auf einem Ministerstuhl ausnehmen, wo selbst der Mann, welchen die dortige
Radicaille am meisten haßt, weil sie ihm Energie zutraut, Jules Fcrry, glaubt,
durch Nevauchephrasen dem Blödsinn der Masse schmeicheln zu müssen; in dem
Augenblicke, wo England weder im Innern noch nach außen zu einer konse¬
quenten Politik kommen kann, weil die erste beste Abstimmung oder die Zufällig¬
keiten eines Wahlganges es bald auf die eine, bald auf die entgegengesetzte
Seite werfen: in diesem Augenblicke noch die alte Leier anstimmen, das kann
nur jemand leisten, der Schenklappen trägt so groß wie Scheunthorflügel.

Und in dieser wenig beneidenswerten Lage befindet sich offenbar Herr
Bamberger. Wir bleiben bei ihm, obwohl sein Schüler, Herr Hamel, die „Ver¬
achtung" seines Meisters noch durch „Abscheu und Ekel der Bevölkerung" über¬
trumpft, und damit den Verdacht hervorgerufen hat, der unverfälschte „Freisinn"
sei am 6. Februar nicht von patriotischer Regung ergriffen gewesen, sondern
habe nur aus dem Scptenucitsfeldzuge eine Lehre gezogen. Wir bleiben bei
Herrn Bamberger, schon weil dieser weiß, was er will, was bei dem Kieler
Professor des Staatsrechts mindestens sehr zweifelhaft ist, denn der einst so
naiv zum Besten gegebenen Hoffnung auf ein Ministerportefenille dürfte er in¬
zwischen wohl entsagt haben. Herr Bamberger will den Freihandel zu unserm
eigentlichen Staatsgrundgesetze machen. Er war regierungsfreundlich, so lange
in wirtschaftlichen Fragen seine Gesinnungsgenossen das entscheidende Wort zu
sprechen hatten, und ließ damals über andre Dinge leicht mit sich reden, aber
er versteht keinen Spaß, seitdem dem Gesetz und den Propheten der Gehorsam
versagt wird. Das Gesetz ist nicht diskutabel, der wahre Glaube darf keiner
Kritik unterzogen werden, wogegen es erlaubt ist, Argumente für ihn anzu¬
führen, und die „Irrlehren" für Dinge verantwortlich zu machen, mit welchen


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[0435] Die Bamberger. Wenn es ihnen auch gar nicht einfällt, Deutschland zu verachten, so lassen sie sichs doch gern gefallen, wenn ein Mann, welcher die Ehre genießt, im deutschen Reichstage zu sitzen, ohne Erröten ihnen diese Empfindung andichtet. Und weshalb soll Deutschland demi Auslande verächtlich erscheinen? Weil es so unglücklich ist, nicht parlamentarisch regiert zu werden. Mau weiß in Wahrheit nicht, ob da ein Mann mit gesunden Sinnen spricht! Wenn vor Jahrzehnten der Deutsche lüstern über die Mauern blickte, jenseits deren Ver¬ fassung, Preßfreiheit und andre verbotene Früchte zu sehen waren, so ließ sich das begreifen. Aber in diesem Augenblicke, wo nur diejenigen parlamentarisch regierten Staaten nicht das Bild völliger Zerrüttung gewahren, in welchen das gute Glück einen entschlossenen Staatsmann, der sich nicht führen läßt, sondern selbst führt, und im Falle der Not sich eine Mehrheit zu macheu versteht, an das Ruder gebracht hat; in diesem Augenblicke, wo Frankreich, soeben glatt an einem Ministerium Clemencean vorübergeglitten, unmittelbar vor einem Mini¬ sterium Flvquet steht, und in den nächsten Monaten das Glück erleben kann, zu sehen, wie Nevillon, Felix Phat oder Nochefort mit oder ohne Boulanger sich auf einem Ministerstuhl ausnehmen, wo selbst der Mann, welchen die dortige Radicaille am meisten haßt, weil sie ihm Energie zutraut, Jules Fcrry, glaubt, durch Nevauchephrasen dem Blödsinn der Masse schmeicheln zu müssen; in dem Augenblicke, wo England weder im Innern noch nach außen zu einer konse¬ quenten Politik kommen kann, weil die erste beste Abstimmung oder die Zufällig¬ keiten eines Wahlganges es bald auf die eine, bald auf die entgegengesetzte Seite werfen: in diesem Augenblicke noch die alte Leier anstimmen, das kann nur jemand leisten, der Schenklappen trägt so groß wie Scheunthorflügel. Und in dieser wenig beneidenswerten Lage befindet sich offenbar Herr Bamberger. Wir bleiben bei ihm, obwohl sein Schüler, Herr Hamel, die „Ver¬ achtung" seines Meisters noch durch „Abscheu und Ekel der Bevölkerung" über¬ trumpft, und damit den Verdacht hervorgerufen hat, der unverfälschte „Freisinn" sei am 6. Februar nicht von patriotischer Regung ergriffen gewesen, sondern habe nur aus dem Scptenucitsfeldzuge eine Lehre gezogen. Wir bleiben bei Herrn Bamberger, schon weil dieser weiß, was er will, was bei dem Kieler Professor des Staatsrechts mindestens sehr zweifelhaft ist, denn der einst so naiv zum Besten gegebenen Hoffnung auf ein Ministerportefenille dürfte er in¬ zwischen wohl entsagt haben. Herr Bamberger will den Freihandel zu unserm eigentlichen Staatsgrundgesetze machen. Er war regierungsfreundlich, so lange in wirtschaftlichen Fragen seine Gesinnungsgenossen das entscheidende Wort zu sprechen hatten, und ließ damals über andre Dinge leicht mit sich reden, aber er versteht keinen Spaß, seitdem dem Gesetz und den Propheten der Gehorsam versagt wird. Das Gesetz ist nicht diskutabel, der wahre Glaube darf keiner Kritik unterzogen werden, wogegen es erlaubt ist, Argumente für ihn anzu¬ führen, und die „Irrlehren" für Dinge verantwortlich zu machen, mit welchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/435>, abgerufen am 15.06.2024.