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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bildung der Töchter höherer Stände.

Anleihe, wenn ihnen der Stoff ausgegangen ist. Aber sagt nicht vielleicht auch
der ernste Mann: Was kann aus der Töchtererziehung gutes kommen? Nun,
besitzt die Bildungsfrage der deutschen Töchter keinen bessern Ruf als den, daß
schon bei der bloßen Erwähnung der Mund sich boshaft oder auch nur schalk¬
haft verzieht, so ist, scheint uns, eine gewisse Ritterlichkeit erforderlich, nicht
sowohl, für diese Angelegenheit des zarten Geschlechts das Wort zu ergreifen,
als vorurteilsfrei zuzuhören.

Der Ausdruck "höhere Töchter" wird natürlich immer im spöttischen
Sinne gebraucht. Aber man könnte eine Anwendung wie bei den "Geusen"
vorschlagen und ihn, auch der Kürze halber, wählen, um mit einem Schlag¬
worte zu bezeichnen, von welcher Bildungsanstalt heutzutage hauptsächlich und
zunächst gesprochen werden muß, wenn die Frage über die Bildung der Töchter
unsrer bessern Stände erörtert werden soll.

Das ist ohne Zweifel die "höhere Töchterschule," welche in unsern Tagen
ihre Bedeutung, aber auch ihre Frage ebenso gut hat wie irgend ein andres,
in den Augen der Leute noch nicht gelöstes Problem. Es giebt eine bulgarische,
eine orientalische, eine soziale, eine Arbeiter-, eine Frauenfrage, es giebt
mie Nealschulfragc, warum sollte es nicht auch eine Töchterschulfrage
geben? Und für deu töchterreichen Vater und nachdenklichen Menschenfreund
ist sie um kein Haar unwichtiger als manche durch Zufälligkeiten aufgebauschte
Tagesfrage.

Eins der merkwürdigsten Zeichen der Zeit ist gewiß, daß man alles in
Frage stellt. Wäre darum vielleicht unsre ganze Gegenwart eine fragwürdige
oder sehe" wir hier eine Frucht der immer weiter um sich greifenden Zweifel¬
sucht? Weder das eine noch das andre. Der Deutsche ist viel zu gemütvoll
und zu gemütlich, um ein eingefleischter Zweifler werden zu können, und unsre
Zeit ist auch nicht so verderbt und verkracht, wie der Pessimismus will. Wohl
aber steckt in dem Volke der Dichter und Denker die Forschernatur. Alles soll
auf den letzten Grund zurückgeführt, nach den Regeln der Wissenschaft unter¬
sucht, in ein "System" gebracht werden! Daher die vielen Fragen, die der
Deutsche erst umständlich theoretisch beleuchte" muß, ehe er an ihre praktische
Lösung geht. Der Engländer macht es meistens umgekehrt.

Nicht nur das Vorhandensein, sondern auch die Wichtigkeit der Töchter¬
schulfrage ist wiederholt von der berufensten Stelle, den deutschen Unterrichts¬
verwaltungen, anerkannt worden.

Sehr beachtenswert waren die Worte des preußischen Kultusministers bei
Gelegenheit der zehnten Hauptversammlung der Lehrenden an deutschen höhern
Mädchenschulen, welche Anfang Oktober 1836 zu Berlin stattfand. Herr
von Goßler, ein warmer Freund und Förderer geistiger und leiblicher Gesund¬
heit bei der männlichen wie bei der weiblichen Jugend, sagte damals, daß es
"och immer eine große Zahl von Männern und Frauen gebe, die sich darüber


Gmizl'owl I. 1833. 69
Die Bildung der Töchter höherer Stände.

Anleihe, wenn ihnen der Stoff ausgegangen ist. Aber sagt nicht vielleicht auch
der ernste Mann: Was kann aus der Töchtererziehung gutes kommen? Nun,
besitzt die Bildungsfrage der deutschen Töchter keinen bessern Ruf als den, daß
schon bei der bloßen Erwähnung der Mund sich boshaft oder auch nur schalk¬
haft verzieht, so ist, scheint uns, eine gewisse Ritterlichkeit erforderlich, nicht
sowohl, für diese Angelegenheit des zarten Geschlechts das Wort zu ergreifen,
als vorurteilsfrei zuzuhören.

Der Ausdruck „höhere Töchter" wird natürlich immer im spöttischen
Sinne gebraucht. Aber man könnte eine Anwendung wie bei den „Geusen"
vorschlagen und ihn, auch der Kürze halber, wählen, um mit einem Schlag¬
worte zu bezeichnen, von welcher Bildungsanstalt heutzutage hauptsächlich und
zunächst gesprochen werden muß, wenn die Frage über die Bildung der Töchter
unsrer bessern Stände erörtert werden soll.

Das ist ohne Zweifel die „höhere Töchterschule," welche in unsern Tagen
ihre Bedeutung, aber auch ihre Frage ebenso gut hat wie irgend ein andres,
in den Augen der Leute noch nicht gelöstes Problem. Es giebt eine bulgarische,
eine orientalische, eine soziale, eine Arbeiter-, eine Frauenfrage, es giebt
mie Nealschulfragc, warum sollte es nicht auch eine Töchterschulfrage
geben? Und für deu töchterreichen Vater und nachdenklichen Menschenfreund
ist sie um kein Haar unwichtiger als manche durch Zufälligkeiten aufgebauschte
Tagesfrage.

Eins der merkwürdigsten Zeichen der Zeit ist gewiß, daß man alles in
Frage stellt. Wäre darum vielleicht unsre ganze Gegenwart eine fragwürdige
oder sehe» wir hier eine Frucht der immer weiter um sich greifenden Zweifel¬
sucht? Weder das eine noch das andre. Der Deutsche ist viel zu gemütvoll
und zu gemütlich, um ein eingefleischter Zweifler werden zu können, und unsre
Zeit ist auch nicht so verderbt und verkracht, wie der Pessimismus will. Wohl
aber steckt in dem Volke der Dichter und Denker die Forschernatur. Alles soll
auf den letzten Grund zurückgeführt, nach den Regeln der Wissenschaft unter¬
sucht, in ein „System" gebracht werden! Daher die vielen Fragen, die der
Deutsche erst umständlich theoretisch beleuchte» muß, ehe er an ihre praktische
Lösung geht. Der Engländer macht es meistens umgekehrt.

Nicht nur das Vorhandensein, sondern auch die Wichtigkeit der Töchter¬
schulfrage ist wiederholt von der berufensten Stelle, den deutschen Unterrichts¬
verwaltungen, anerkannt worden.

Sehr beachtenswert waren die Worte des preußischen Kultusministers bei
Gelegenheit der zehnten Hauptversammlung der Lehrenden an deutschen höhern
Mädchenschulen, welche Anfang Oktober 1836 zu Berlin stattfand. Herr
von Goßler, ein warmer Freund und Förderer geistiger und leiblicher Gesund¬
heit bei der männlichen wie bei der weiblichen Jugend, sagte damals, daß es
"och immer eine große Zahl von Männern und Frauen gebe, die sich darüber


Gmizl'owl I. 1833. 69
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[0553] Die Bildung der Töchter höherer Stände. Anleihe, wenn ihnen der Stoff ausgegangen ist. Aber sagt nicht vielleicht auch der ernste Mann: Was kann aus der Töchtererziehung gutes kommen? Nun, besitzt die Bildungsfrage der deutschen Töchter keinen bessern Ruf als den, daß schon bei der bloßen Erwähnung der Mund sich boshaft oder auch nur schalk¬ haft verzieht, so ist, scheint uns, eine gewisse Ritterlichkeit erforderlich, nicht sowohl, für diese Angelegenheit des zarten Geschlechts das Wort zu ergreifen, als vorurteilsfrei zuzuhören. Der Ausdruck „höhere Töchter" wird natürlich immer im spöttischen Sinne gebraucht. Aber man könnte eine Anwendung wie bei den „Geusen" vorschlagen und ihn, auch der Kürze halber, wählen, um mit einem Schlag¬ worte zu bezeichnen, von welcher Bildungsanstalt heutzutage hauptsächlich und zunächst gesprochen werden muß, wenn die Frage über die Bildung der Töchter unsrer bessern Stände erörtert werden soll. Das ist ohne Zweifel die „höhere Töchterschule," welche in unsern Tagen ihre Bedeutung, aber auch ihre Frage ebenso gut hat wie irgend ein andres, in den Augen der Leute noch nicht gelöstes Problem. Es giebt eine bulgarische, eine orientalische, eine soziale, eine Arbeiter-, eine Frauenfrage, es giebt mie Nealschulfragc, warum sollte es nicht auch eine Töchterschulfrage geben? Und für deu töchterreichen Vater und nachdenklichen Menschenfreund ist sie um kein Haar unwichtiger als manche durch Zufälligkeiten aufgebauschte Tagesfrage. Eins der merkwürdigsten Zeichen der Zeit ist gewiß, daß man alles in Frage stellt. Wäre darum vielleicht unsre ganze Gegenwart eine fragwürdige oder sehe» wir hier eine Frucht der immer weiter um sich greifenden Zweifel¬ sucht? Weder das eine noch das andre. Der Deutsche ist viel zu gemütvoll und zu gemütlich, um ein eingefleischter Zweifler werden zu können, und unsre Zeit ist auch nicht so verderbt und verkracht, wie der Pessimismus will. Wohl aber steckt in dem Volke der Dichter und Denker die Forschernatur. Alles soll auf den letzten Grund zurückgeführt, nach den Regeln der Wissenschaft unter¬ sucht, in ein „System" gebracht werden! Daher die vielen Fragen, die der Deutsche erst umständlich theoretisch beleuchte» muß, ehe er an ihre praktische Lösung geht. Der Engländer macht es meistens umgekehrt. Nicht nur das Vorhandensein, sondern auch die Wichtigkeit der Töchter¬ schulfrage ist wiederholt von der berufensten Stelle, den deutschen Unterrichts¬ verwaltungen, anerkannt worden. Sehr beachtenswert waren die Worte des preußischen Kultusministers bei Gelegenheit der zehnten Hauptversammlung der Lehrenden an deutschen höhern Mädchenschulen, welche Anfang Oktober 1836 zu Berlin stattfand. Herr von Goßler, ein warmer Freund und Förderer geistiger und leiblicher Gesund¬ heit bei der männlichen wie bei der weiblichen Jugend, sagte damals, daß es "och immer eine große Zahl von Männern und Frauen gebe, die sich darüber Gmizl'owl I. 1833. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/553>, abgerufen am 16.05.2024.