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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bildung der Töchter höherer Stände.

nicht klar werden könnten, daß die Mädchen berufen seien, nicht bloß nach der
sittlichen Seite und der des Gemüts, sondern auch nach der geistigen gefördert
zu werden. Andernteils seien die Erwerbsverhältnisse so schwierig geworden,
daß die Frage: Was wird aus unsern Töchtern? in der That eine solche sei,
welche die Herzen der Eltern und der Freunde des Volkes aufs tiefste bewege.
Das sind und bleiben goldne Worte.

Scheint sonach die Töchterschulfrage sich etwas mit der früher viel erörterten
Frauenfrage zu berühren, so müssen beide doch scharf von einander geschieden
werden. Die Frauenfrage hat einen mehr negativen, die Töchterschulfrage einen
durchaus positiven Charakter. Während die Frauenfrage -- sofern überhaupt
noch von ihr die Rede ist, denn das Interesse an ihr als solcher mit dem Schweif
der Frauenemanzipationsgelüste hat doch erheblich abgenommen -- in erster Linie
auf die Hinwegräumung der Schwierigkeiten bedacht ist, welche sich dem in der
Neuzeit ohne Zweifel ausgedehnteren Frauenwirken entgegen stellen, hat die
Töchterschulfrage nichts niederzureißen, sondern nur aufzubauen. Auf Grund
wohlerwogener Unterrichts- und Erziehungsgrundsütze, die in keine Tagesströ¬
mung tauchen, soll dem weiblichen Geschlechte eine höhere allgemeine Bildung
übermittelt werden, wie sie ihm nach der Natur des Weibes, aber gewiß auch
deshalb zukommt, weil die Frau die ebenbürtige Gefährtin des Mannes zu sein
bestimmt ist. "Wir dürfen niemals verkennen -- so äußerte sich ebenfalls der
doch gewiß maßvoll gesinnte Minister --, daß in physiologischer Hinsicht zwar
das Weib wesentlich anders gestaltet ist als der Mann; dagegen müssen wir
auf Grund unsrer germanischen und christlichen Weltanschauung daran festhalten,
daß das Weib dem Manne gleichwertig ist."

Nicht länger soll also das bekannte Wort Goethes: "Dienen lerne das
Weib bei Zeiten nach seiner Bestimmung" in der Weise mißverstanden werden,
daß die Frau als Aschenbrödel ihre eigentliche Lebensaufgabe erfülle, sodciß ihr
Beruf kein andrer wäre, als die Magd des Mannes abzugeben. Goethe
ist überhaupt kein maßgebender Beurteiler über den wahren Frauenberuf.
Wo sollte er auch die richtigen Anschauungen darüber herhaben? Weder
eine Charlotte von Stein noch eine Christiane Vulpius konnten sie ihm
beibringen.

Zudem war er von dem pädagogischen Windmacher Basedow und seiner
Schule beeinflußt. Denn alles, was Goethe über Umfang und Inhalt der weib¬
lichen Bildung gesagt hat -- wir nehmen sogar die oft zitirten und recht schönen
Worte der Prinzessin im "Tasso" nicht aus --, ist kaum etwas andres oder
mehr als der in Verse gebrachte Basedow. Die relative Gleichheit der Bildung
von Mann und Frau ausdrücklich betonen -- und wir möchten dies -- ist
entschieden, wenn auch noch nicht eine Errungenschaft, so doch ein Streben erst
unsers Jahrhunderts. Es war keine geringere als die Königin Luise, die, indem
sie handelnd und leidend ihrem königlichen Gemahl zur Seite stand, auch für


Die Bildung der Töchter höherer Stände.

nicht klar werden könnten, daß die Mädchen berufen seien, nicht bloß nach der
sittlichen Seite und der des Gemüts, sondern auch nach der geistigen gefördert
zu werden. Andernteils seien die Erwerbsverhältnisse so schwierig geworden,
daß die Frage: Was wird aus unsern Töchtern? in der That eine solche sei,
welche die Herzen der Eltern und der Freunde des Volkes aufs tiefste bewege.
Das sind und bleiben goldne Worte.

Scheint sonach die Töchterschulfrage sich etwas mit der früher viel erörterten
Frauenfrage zu berühren, so müssen beide doch scharf von einander geschieden
werden. Die Frauenfrage hat einen mehr negativen, die Töchterschulfrage einen
durchaus positiven Charakter. Während die Frauenfrage — sofern überhaupt
noch von ihr die Rede ist, denn das Interesse an ihr als solcher mit dem Schweif
der Frauenemanzipationsgelüste hat doch erheblich abgenommen — in erster Linie
auf die Hinwegräumung der Schwierigkeiten bedacht ist, welche sich dem in der
Neuzeit ohne Zweifel ausgedehnteren Frauenwirken entgegen stellen, hat die
Töchterschulfrage nichts niederzureißen, sondern nur aufzubauen. Auf Grund
wohlerwogener Unterrichts- und Erziehungsgrundsütze, die in keine Tagesströ¬
mung tauchen, soll dem weiblichen Geschlechte eine höhere allgemeine Bildung
übermittelt werden, wie sie ihm nach der Natur des Weibes, aber gewiß auch
deshalb zukommt, weil die Frau die ebenbürtige Gefährtin des Mannes zu sein
bestimmt ist. „Wir dürfen niemals verkennen — so äußerte sich ebenfalls der
doch gewiß maßvoll gesinnte Minister —, daß in physiologischer Hinsicht zwar
das Weib wesentlich anders gestaltet ist als der Mann; dagegen müssen wir
auf Grund unsrer germanischen und christlichen Weltanschauung daran festhalten,
daß das Weib dem Manne gleichwertig ist."

Nicht länger soll also das bekannte Wort Goethes: „Dienen lerne das
Weib bei Zeiten nach seiner Bestimmung" in der Weise mißverstanden werden,
daß die Frau als Aschenbrödel ihre eigentliche Lebensaufgabe erfülle, sodciß ihr
Beruf kein andrer wäre, als die Magd des Mannes abzugeben. Goethe
ist überhaupt kein maßgebender Beurteiler über den wahren Frauenberuf.
Wo sollte er auch die richtigen Anschauungen darüber herhaben? Weder
eine Charlotte von Stein noch eine Christiane Vulpius konnten sie ihm
beibringen.

Zudem war er von dem pädagogischen Windmacher Basedow und seiner
Schule beeinflußt. Denn alles, was Goethe über Umfang und Inhalt der weib¬
lichen Bildung gesagt hat — wir nehmen sogar die oft zitirten und recht schönen
Worte der Prinzessin im „Tasso" nicht aus —, ist kaum etwas andres oder
mehr als der in Verse gebrachte Basedow. Die relative Gleichheit der Bildung
von Mann und Frau ausdrücklich betonen — und wir möchten dies — ist
entschieden, wenn auch noch nicht eine Errungenschaft, so doch ein Streben erst
unsers Jahrhunderts. Es war keine geringere als die Königin Luise, die, indem
sie handelnd und leidend ihrem königlichen Gemahl zur Seite stand, auch für


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[0554] Die Bildung der Töchter höherer Stände. nicht klar werden könnten, daß die Mädchen berufen seien, nicht bloß nach der sittlichen Seite und der des Gemüts, sondern auch nach der geistigen gefördert zu werden. Andernteils seien die Erwerbsverhältnisse so schwierig geworden, daß die Frage: Was wird aus unsern Töchtern? in der That eine solche sei, welche die Herzen der Eltern und der Freunde des Volkes aufs tiefste bewege. Das sind und bleiben goldne Worte. Scheint sonach die Töchterschulfrage sich etwas mit der früher viel erörterten Frauenfrage zu berühren, so müssen beide doch scharf von einander geschieden werden. Die Frauenfrage hat einen mehr negativen, die Töchterschulfrage einen durchaus positiven Charakter. Während die Frauenfrage — sofern überhaupt noch von ihr die Rede ist, denn das Interesse an ihr als solcher mit dem Schweif der Frauenemanzipationsgelüste hat doch erheblich abgenommen — in erster Linie auf die Hinwegräumung der Schwierigkeiten bedacht ist, welche sich dem in der Neuzeit ohne Zweifel ausgedehnteren Frauenwirken entgegen stellen, hat die Töchterschulfrage nichts niederzureißen, sondern nur aufzubauen. Auf Grund wohlerwogener Unterrichts- und Erziehungsgrundsütze, die in keine Tagesströ¬ mung tauchen, soll dem weiblichen Geschlechte eine höhere allgemeine Bildung übermittelt werden, wie sie ihm nach der Natur des Weibes, aber gewiß auch deshalb zukommt, weil die Frau die ebenbürtige Gefährtin des Mannes zu sein bestimmt ist. „Wir dürfen niemals verkennen — so äußerte sich ebenfalls der doch gewiß maßvoll gesinnte Minister —, daß in physiologischer Hinsicht zwar das Weib wesentlich anders gestaltet ist als der Mann; dagegen müssen wir auf Grund unsrer germanischen und christlichen Weltanschauung daran festhalten, daß das Weib dem Manne gleichwertig ist." Nicht länger soll also das bekannte Wort Goethes: „Dienen lerne das Weib bei Zeiten nach seiner Bestimmung" in der Weise mißverstanden werden, daß die Frau als Aschenbrödel ihre eigentliche Lebensaufgabe erfülle, sodciß ihr Beruf kein andrer wäre, als die Magd des Mannes abzugeben. Goethe ist überhaupt kein maßgebender Beurteiler über den wahren Frauenberuf. Wo sollte er auch die richtigen Anschauungen darüber herhaben? Weder eine Charlotte von Stein noch eine Christiane Vulpius konnten sie ihm beibringen. Zudem war er von dem pädagogischen Windmacher Basedow und seiner Schule beeinflußt. Denn alles, was Goethe über Umfang und Inhalt der weib¬ lichen Bildung gesagt hat — wir nehmen sogar die oft zitirten und recht schönen Worte der Prinzessin im „Tasso" nicht aus —, ist kaum etwas andres oder mehr als der in Verse gebrachte Basedow. Die relative Gleichheit der Bildung von Mann und Frau ausdrücklich betonen — und wir möchten dies — ist entschieden, wenn auch noch nicht eine Errungenschaft, so doch ein Streben erst unsers Jahrhunderts. Es war keine geringere als die Königin Luise, die, indem sie handelnd und leidend ihrem königlichen Gemahl zur Seite stand, auch für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/554>, abgerufen am 05.06.2024.