Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

partes seinen großen Platz in der Weltlitteratur durch die "Numancia" und
"Die Reise zum Parnaß" hätte gewinnen können, oder daß die paar Rondos
Rousseaus den Briefen der "Neuen Heloise" vorzuziehen wären. Aber er be¬
wahrt seine Sympathie ausschließlich für diejenigen poetischen Schöpfungen,
welche eine dichterische Form im engern Sinne erfordert oder erhalten haben.

Im Grunde ist die Einseitigkeit, welche der Dichter zahlreicher poe¬
tischer Erzählungen und einiger Romane in Versen hier offenbart, natur¬
gemäß aus dem Verhalten der Tendenz- und Tageskritik erwachsen. Schacks
Dichterjugend fiel in die Zeiten des jungen Deutschlands, in denen mit dünkel¬
hafter Rohheit der Untergang nicht nur des Verses, sondern aller poetischen
Form, jeder reinen Gliederung und Gestaltung zu Gunsten eines verwaschnen,
angeblich zeitgemäßen Stiles verkündet wurde, und in seinem Alter wiederholt die
Ästhetik des Naturalismus mit einigen Abweichungen die Predigt vom Ende
der "künstlichen" Poesie, worunter sie alle künstlerische, alle Poesie überhaupt
versteht. Daß Maler und Bildner von jeher wenig Neigung gehabt haben,
sich den Bilderstürmern anzuschließen, liegt in der Natur der Sache. Wenn
Graf Schack volle Befriedigung nur bei Gedichten findet, wenn der Vers für
ihn Vorbedingung des poetischen Eindruckes ist, so steht er als Kämpfer für
das gute alte Lebensrecht der Kunst, für ein in aller Litteratur unentbehrliches
Element den unbedingten Verfechtern der modernen Prosa gegenüber. Aber
gefördert wird mit der Ausschließlichkeit nach der einen und der andern Seite
nichts. Die tiefere Erkenntnis wie die freiere Genußfähigkeit müssen sich gegen
beide Einseitigkeiten sträuben, und das ist freilich nicht leicht in einer Zeit und
gegenüber einem Publikum, welches fast verlernt hat, edlere Formen der Poesie
zu beachten, auch wo diese Formen in der Natur der Stoffe begründet und
schlechthin unentbehrlich sind. Schacks "Erinnerungen" werden den Gegnern
in diesem Punkte lediglich als eine oratio pro äoino gelten -- und sind auch
im Grunde eine solche. Doch giebt es mancherlei Reden dieser Art, die we¬
nigstens ein Stück Wahrheit in sich einschließen. Schacks Überzeugung von der
Unentbehrlichkeit der gebundncn Rede für beinahe alle (er sagt alle) höchsten
dichterischen Aufgaben darf sich auf eine Erfahrung von Jahrtausenden, die
moderne, von den Propheten Zolas und Ibsens vertretene, kaum auf die einiger
Jahrzehnte berufen. Leider fängt für die "Modernen" die Litteratur immer
erst mit dem neuesten Modeschriftsteller an und macht sie gegen historische
Erwägungen dieser Art unzugänglich.

Der Mißmut, welchen Graf Schack über einen gewissen Ton in unsrer
Kritik auf vielen Blättern seiner "Erinnerungen" an den Tag legt, ist wohl¬
berechtigt. Es ist und bleibt ein Elend, daß die Kritik der Litteratur und Kunst
zu einem Teile in Händen von Schriftstellern ruht, denen Kunst und Litteratur
die gleichgiltigsten Dinge von der Welt sind. Die Berichterstatter nach der
Elle, welche nicht nach Maßgabe der beurteilten Schöpfungen und eignen An-


Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

partes seinen großen Platz in der Weltlitteratur durch die „Numancia" und
„Die Reise zum Parnaß" hätte gewinnen können, oder daß die paar Rondos
Rousseaus den Briefen der „Neuen Heloise" vorzuziehen wären. Aber er be¬
wahrt seine Sympathie ausschließlich für diejenigen poetischen Schöpfungen,
welche eine dichterische Form im engern Sinne erfordert oder erhalten haben.

Im Grunde ist die Einseitigkeit, welche der Dichter zahlreicher poe¬
tischer Erzählungen und einiger Romane in Versen hier offenbart, natur¬
gemäß aus dem Verhalten der Tendenz- und Tageskritik erwachsen. Schacks
Dichterjugend fiel in die Zeiten des jungen Deutschlands, in denen mit dünkel¬
hafter Rohheit der Untergang nicht nur des Verses, sondern aller poetischen
Form, jeder reinen Gliederung und Gestaltung zu Gunsten eines verwaschnen,
angeblich zeitgemäßen Stiles verkündet wurde, und in seinem Alter wiederholt die
Ästhetik des Naturalismus mit einigen Abweichungen die Predigt vom Ende
der „künstlichen" Poesie, worunter sie alle künstlerische, alle Poesie überhaupt
versteht. Daß Maler und Bildner von jeher wenig Neigung gehabt haben,
sich den Bilderstürmern anzuschließen, liegt in der Natur der Sache. Wenn
Graf Schack volle Befriedigung nur bei Gedichten findet, wenn der Vers für
ihn Vorbedingung des poetischen Eindruckes ist, so steht er als Kämpfer für
das gute alte Lebensrecht der Kunst, für ein in aller Litteratur unentbehrliches
Element den unbedingten Verfechtern der modernen Prosa gegenüber. Aber
gefördert wird mit der Ausschließlichkeit nach der einen und der andern Seite
nichts. Die tiefere Erkenntnis wie die freiere Genußfähigkeit müssen sich gegen
beide Einseitigkeiten sträuben, und das ist freilich nicht leicht in einer Zeit und
gegenüber einem Publikum, welches fast verlernt hat, edlere Formen der Poesie
zu beachten, auch wo diese Formen in der Natur der Stoffe begründet und
schlechthin unentbehrlich sind. Schacks „Erinnerungen" werden den Gegnern
in diesem Punkte lediglich als eine oratio pro äoino gelten — und sind auch
im Grunde eine solche. Doch giebt es mancherlei Reden dieser Art, die we¬
nigstens ein Stück Wahrheit in sich einschließen. Schacks Überzeugung von der
Unentbehrlichkeit der gebundncn Rede für beinahe alle (er sagt alle) höchsten
dichterischen Aufgaben darf sich auf eine Erfahrung von Jahrtausenden, die
moderne, von den Propheten Zolas und Ibsens vertretene, kaum auf die einiger
Jahrzehnte berufen. Leider fängt für die „Modernen" die Litteratur immer
erst mit dem neuesten Modeschriftsteller an und macht sie gegen historische
Erwägungen dieser Art unzugänglich.

Der Mißmut, welchen Graf Schack über einen gewissen Ton in unsrer
Kritik auf vielen Blättern seiner „Erinnerungen" an den Tag legt, ist wohl¬
berechtigt. Es ist und bleibt ein Elend, daß die Kritik der Litteratur und Kunst
zu einem Teile in Händen von Schriftstellern ruht, denen Kunst und Litteratur
die gleichgiltigsten Dinge von der Welt sind. Die Berichterstatter nach der
Elle, welche nicht nach Maßgabe der beurteilten Schöpfungen und eignen An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0607" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202706"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2180"> partes seinen großen Platz in der Weltlitteratur durch die &#x201E;Numancia" und<lb/>
&#x201E;Die Reise zum Parnaß" hätte gewinnen können, oder daß die paar Rondos<lb/>
Rousseaus den Briefen der &#x201E;Neuen Heloise" vorzuziehen wären. Aber er be¬<lb/>
wahrt seine Sympathie ausschließlich für diejenigen poetischen Schöpfungen,<lb/>
welche eine dichterische Form im engern Sinne erfordert oder erhalten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2181"> Im Grunde ist die Einseitigkeit, welche der Dichter zahlreicher poe¬<lb/>
tischer Erzählungen und einiger Romane in Versen hier offenbart, natur¬<lb/>
gemäß aus dem Verhalten der Tendenz- und Tageskritik erwachsen. Schacks<lb/>
Dichterjugend fiel in die Zeiten des jungen Deutschlands, in denen mit dünkel¬<lb/>
hafter Rohheit der Untergang nicht nur des Verses, sondern aller poetischen<lb/>
Form, jeder reinen Gliederung und Gestaltung zu Gunsten eines verwaschnen,<lb/>
angeblich zeitgemäßen Stiles verkündet wurde, und in seinem Alter wiederholt die<lb/>
Ästhetik des Naturalismus mit einigen Abweichungen die Predigt vom Ende<lb/>
der &#x201E;künstlichen" Poesie, worunter sie alle künstlerische, alle Poesie überhaupt<lb/>
versteht. Daß Maler und Bildner von jeher wenig Neigung gehabt haben,<lb/>
sich den Bilderstürmern anzuschließen, liegt in der Natur der Sache. Wenn<lb/>
Graf Schack volle Befriedigung nur bei Gedichten findet, wenn der Vers für<lb/>
ihn Vorbedingung des poetischen Eindruckes ist, so steht er als Kämpfer für<lb/>
das gute alte Lebensrecht der Kunst, für ein in aller Litteratur unentbehrliches<lb/>
Element den unbedingten Verfechtern der modernen Prosa gegenüber. Aber<lb/>
gefördert wird mit der Ausschließlichkeit nach der einen und der andern Seite<lb/>
nichts. Die tiefere Erkenntnis wie die freiere Genußfähigkeit müssen sich gegen<lb/>
beide Einseitigkeiten sträuben, und das ist freilich nicht leicht in einer Zeit und<lb/>
gegenüber einem Publikum, welches fast verlernt hat, edlere Formen der Poesie<lb/>
zu beachten, auch wo diese Formen in der Natur der Stoffe begründet und<lb/>
schlechthin unentbehrlich sind. Schacks &#x201E;Erinnerungen" werden den Gegnern<lb/>
in diesem Punkte lediglich als eine oratio pro äoino gelten &#x2014; und sind auch<lb/>
im Grunde eine solche. Doch giebt es mancherlei Reden dieser Art, die we¬<lb/>
nigstens ein Stück Wahrheit in sich einschließen. Schacks Überzeugung von der<lb/>
Unentbehrlichkeit der gebundncn Rede für beinahe alle (er sagt alle) höchsten<lb/>
dichterischen Aufgaben darf sich auf eine Erfahrung von Jahrtausenden, die<lb/>
moderne, von den Propheten Zolas und Ibsens vertretene, kaum auf die einiger<lb/>
Jahrzehnte berufen. Leider fängt für die &#x201E;Modernen" die Litteratur immer<lb/>
erst mit dem neuesten Modeschriftsteller an und macht sie gegen historische<lb/>
Erwägungen dieser Art unzugänglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2182" next="#ID_2183"> Der Mißmut, welchen Graf Schack über einen gewissen Ton in unsrer<lb/>
Kritik auf vielen Blättern seiner &#x201E;Erinnerungen" an den Tag legt, ist wohl¬<lb/>
berechtigt. Es ist und bleibt ein Elend, daß die Kritik der Litteratur und Kunst<lb/>
zu einem Teile in Händen von Schriftstellern ruht, denen Kunst und Litteratur<lb/>
die gleichgiltigsten Dinge von der Welt sind. Die Berichterstatter nach der<lb/>
Elle, welche nicht nach Maßgabe der beurteilten Schöpfungen und eignen An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0607] Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. partes seinen großen Platz in der Weltlitteratur durch die „Numancia" und „Die Reise zum Parnaß" hätte gewinnen können, oder daß die paar Rondos Rousseaus den Briefen der „Neuen Heloise" vorzuziehen wären. Aber er be¬ wahrt seine Sympathie ausschließlich für diejenigen poetischen Schöpfungen, welche eine dichterische Form im engern Sinne erfordert oder erhalten haben. Im Grunde ist die Einseitigkeit, welche der Dichter zahlreicher poe¬ tischer Erzählungen und einiger Romane in Versen hier offenbart, natur¬ gemäß aus dem Verhalten der Tendenz- und Tageskritik erwachsen. Schacks Dichterjugend fiel in die Zeiten des jungen Deutschlands, in denen mit dünkel¬ hafter Rohheit der Untergang nicht nur des Verses, sondern aller poetischen Form, jeder reinen Gliederung und Gestaltung zu Gunsten eines verwaschnen, angeblich zeitgemäßen Stiles verkündet wurde, und in seinem Alter wiederholt die Ästhetik des Naturalismus mit einigen Abweichungen die Predigt vom Ende der „künstlichen" Poesie, worunter sie alle künstlerische, alle Poesie überhaupt versteht. Daß Maler und Bildner von jeher wenig Neigung gehabt haben, sich den Bilderstürmern anzuschließen, liegt in der Natur der Sache. Wenn Graf Schack volle Befriedigung nur bei Gedichten findet, wenn der Vers für ihn Vorbedingung des poetischen Eindruckes ist, so steht er als Kämpfer für das gute alte Lebensrecht der Kunst, für ein in aller Litteratur unentbehrliches Element den unbedingten Verfechtern der modernen Prosa gegenüber. Aber gefördert wird mit der Ausschließlichkeit nach der einen und der andern Seite nichts. Die tiefere Erkenntnis wie die freiere Genußfähigkeit müssen sich gegen beide Einseitigkeiten sträuben, und das ist freilich nicht leicht in einer Zeit und gegenüber einem Publikum, welches fast verlernt hat, edlere Formen der Poesie zu beachten, auch wo diese Formen in der Natur der Stoffe begründet und schlechthin unentbehrlich sind. Schacks „Erinnerungen" werden den Gegnern in diesem Punkte lediglich als eine oratio pro äoino gelten — und sind auch im Grunde eine solche. Doch giebt es mancherlei Reden dieser Art, die we¬ nigstens ein Stück Wahrheit in sich einschließen. Schacks Überzeugung von der Unentbehrlichkeit der gebundncn Rede für beinahe alle (er sagt alle) höchsten dichterischen Aufgaben darf sich auf eine Erfahrung von Jahrtausenden, die moderne, von den Propheten Zolas und Ibsens vertretene, kaum auf die einiger Jahrzehnte berufen. Leider fängt für die „Modernen" die Litteratur immer erst mit dem neuesten Modeschriftsteller an und macht sie gegen historische Erwägungen dieser Art unzugänglich. Der Mißmut, welchen Graf Schack über einen gewissen Ton in unsrer Kritik auf vielen Blättern seiner „Erinnerungen" an den Tag legt, ist wohl¬ berechtigt. Es ist und bleibt ein Elend, daß die Kritik der Litteratur und Kunst zu einem Teile in Händen von Schriftstellern ruht, denen Kunst und Litteratur die gleichgiltigsten Dinge von der Welt sind. Die Berichterstatter nach der Elle, welche nicht nach Maßgabe der beurteilten Schöpfungen und eignen An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/607
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/607>, abgerufen am 22.05.2024.