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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis.

stünde groß gewordene Werkstelle. Die Leute, die darin arbeiten, sind eine Art
von Handwerkern, und fragen Sie nach, wie viele in größer" Fabriken beschäf¬
tigte Leute besser stehen, als alle die kleinen Meister, die aus traurigen Um¬
ständen ein knappes Handwerk selbst treiben müssen." Ebenso passend und un¬
passend könnte man das Rittergut einen groß gewordenen Bauernhof nennen,
und daraus Folgerungen ziehen, welche den Anhängern des freien Spiels der
Kräfte sehr wenig in das Konzept passen würden. Außerdem kommt es darauf
an, was unter Gunst der Umstände verstanden werden soll. Heutzutage giebt
es sehr viele Fabriken, welche nie eine Werkstatt gewesen, sondern gleich auf
Fabrikfuß eingerichtet worden sind, obwohl die Waaren, die sie liefern, durchaus
nicht nur in großen Massen, unter Anwendung der Maschinen und der Arbeits¬
teilung u. s. w., gemacht werden können, auch in der Fabrik nicht besser werden
als in der Werkstatt, sondern nur wohlfeiler; es giebt auch sehr viele Fabri¬
kanten, welche gar keine Fabrik besitzen, sondern nur arme Handwerker, Nähte¬
rinnen u. a. in. für einen Hungerlohn arbeiten lasten. Dergleichen Fabriken, die
in den meisten Fällen von Personen unternommen werden, welche von demi
Handwerke gar nichts, desto mehr aber vom Vertriebe verstehen und sich in
"günstigen Umständen" befinden, d. h. hier: Vermögen haben, bedrohen aber
wirklich den Bestand eines unabhängigen Handwerks, dergleichen Fabrikanten
sind begreiflicherweise die erbitterten Feinde aller Bemühungen um Erhaltung
des Gewerbestandes. Aus solchen Kreisen gehen die eifrigsten Verbreiter der
Lehre hervor: nicht in der Werkstatt, sondern in der Gewerbeschule müsse der
künftige Arbeiter herangebildet werden, Staaten, Gemeinden, Korporationen
müßten alle erdenklichen Opfer bringen, dem Knaben müsse Unterricht in der
Mathematik, im Zeichnen, in der Naturlehre, in der Technologie :c. erteilt werden,
damit er in der Fabrik jahraus, jahrein und Tag für Tag einen und denselben
Handgriff machen könne! Gegen die Übermacht dieser Art von Industrie müssen
Bollwerke aufgeführt werden, und man darf sich nicht abschrecken lassen, falls
eines die gehegten Erwartungen nicht erfüllt. Nicht die Frage ist die entschei¬
dende, ob ein Gewerbe fabrikmäßig betrieben wird oder nicht, sondern ob der Be¬
trieb fabrikmäßig sein muß; und ist das nicht der Fall, dann kann auch die gro߬
artigste Anlage, die Menge der Hände und die Massenhaftigkeit der Produktion
keinen Grund abgeben, die "Fabrik" der Beobachtung gesetzlicher Bestimmungen
für das Gewerbe zu entheben. Die Sozialdemokraten aber wissen recht gut,
weshalb sie mit dieser Gattung vou Industriellen an einem Strange ziehen,
aus den Werkstätten derselben strömen ihnen die meisten Rekruten zu. Und um¬
gekehrt braucht, wer Schutz des Handwerks gegen derartige Konkurrenz verlangt,
noch kein grundsätzlicher Gegner des großen Kapitals oder des Fabrikwesens
überhaupt zu sein. Das Handwerk, insbesondre das Kunsthandwerk, sollte nur
selbst beherzigen, daß es ein aussichtsloses, selbstmörderisches Beginnen ist, sein
eignes Gebiet, das der individuellen Arbeit, zu verlassen und mit der Groß-
'


Grenzboten I. 1S88. 76
Der Befähigungsnachweis.

stünde groß gewordene Werkstelle. Die Leute, die darin arbeiten, sind eine Art
von Handwerkern, und fragen Sie nach, wie viele in größer» Fabriken beschäf¬
tigte Leute besser stehen, als alle die kleinen Meister, die aus traurigen Um¬
ständen ein knappes Handwerk selbst treiben müssen." Ebenso passend und un¬
passend könnte man das Rittergut einen groß gewordenen Bauernhof nennen,
und daraus Folgerungen ziehen, welche den Anhängern des freien Spiels der
Kräfte sehr wenig in das Konzept passen würden. Außerdem kommt es darauf
an, was unter Gunst der Umstände verstanden werden soll. Heutzutage giebt
es sehr viele Fabriken, welche nie eine Werkstatt gewesen, sondern gleich auf
Fabrikfuß eingerichtet worden sind, obwohl die Waaren, die sie liefern, durchaus
nicht nur in großen Massen, unter Anwendung der Maschinen und der Arbeits¬
teilung u. s. w., gemacht werden können, auch in der Fabrik nicht besser werden
als in der Werkstatt, sondern nur wohlfeiler; es giebt auch sehr viele Fabri¬
kanten, welche gar keine Fabrik besitzen, sondern nur arme Handwerker, Nähte¬
rinnen u. a. in. für einen Hungerlohn arbeiten lasten. Dergleichen Fabriken, die
in den meisten Fällen von Personen unternommen werden, welche von demi
Handwerke gar nichts, desto mehr aber vom Vertriebe verstehen und sich in
„günstigen Umständen" befinden, d. h. hier: Vermögen haben, bedrohen aber
wirklich den Bestand eines unabhängigen Handwerks, dergleichen Fabrikanten
sind begreiflicherweise die erbitterten Feinde aller Bemühungen um Erhaltung
des Gewerbestandes. Aus solchen Kreisen gehen die eifrigsten Verbreiter der
Lehre hervor: nicht in der Werkstatt, sondern in der Gewerbeschule müsse der
künftige Arbeiter herangebildet werden, Staaten, Gemeinden, Korporationen
müßten alle erdenklichen Opfer bringen, dem Knaben müsse Unterricht in der
Mathematik, im Zeichnen, in der Naturlehre, in der Technologie :c. erteilt werden,
damit er in der Fabrik jahraus, jahrein und Tag für Tag einen und denselben
Handgriff machen könne! Gegen die Übermacht dieser Art von Industrie müssen
Bollwerke aufgeführt werden, und man darf sich nicht abschrecken lassen, falls
eines die gehegten Erwartungen nicht erfüllt. Nicht die Frage ist die entschei¬
dende, ob ein Gewerbe fabrikmäßig betrieben wird oder nicht, sondern ob der Be¬
trieb fabrikmäßig sein muß; und ist das nicht der Fall, dann kann auch die gro߬
artigste Anlage, die Menge der Hände und die Massenhaftigkeit der Produktion
keinen Grund abgeben, die „Fabrik" der Beobachtung gesetzlicher Bestimmungen
für das Gewerbe zu entheben. Die Sozialdemokraten aber wissen recht gut,
weshalb sie mit dieser Gattung vou Industriellen an einem Strange ziehen,
aus den Werkstätten derselben strömen ihnen die meisten Rekruten zu. Und um¬
gekehrt braucht, wer Schutz des Handwerks gegen derartige Konkurrenz verlangt,
noch kein grundsätzlicher Gegner des großen Kapitals oder des Fabrikwesens
überhaupt zu sein. Das Handwerk, insbesondre das Kunsthandwerk, sollte nur
selbst beherzigen, daß es ein aussichtsloses, selbstmörderisches Beginnen ist, sein
eignes Gebiet, das der individuellen Arbeit, zu verlassen und mit der Groß-
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Grenzboten I. 1S88. 76
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[0609] Der Befähigungsnachweis. stünde groß gewordene Werkstelle. Die Leute, die darin arbeiten, sind eine Art von Handwerkern, und fragen Sie nach, wie viele in größer» Fabriken beschäf¬ tigte Leute besser stehen, als alle die kleinen Meister, die aus traurigen Um¬ ständen ein knappes Handwerk selbst treiben müssen." Ebenso passend und un¬ passend könnte man das Rittergut einen groß gewordenen Bauernhof nennen, und daraus Folgerungen ziehen, welche den Anhängern des freien Spiels der Kräfte sehr wenig in das Konzept passen würden. Außerdem kommt es darauf an, was unter Gunst der Umstände verstanden werden soll. Heutzutage giebt es sehr viele Fabriken, welche nie eine Werkstatt gewesen, sondern gleich auf Fabrikfuß eingerichtet worden sind, obwohl die Waaren, die sie liefern, durchaus nicht nur in großen Massen, unter Anwendung der Maschinen und der Arbeits¬ teilung u. s. w., gemacht werden können, auch in der Fabrik nicht besser werden als in der Werkstatt, sondern nur wohlfeiler; es giebt auch sehr viele Fabri¬ kanten, welche gar keine Fabrik besitzen, sondern nur arme Handwerker, Nähte¬ rinnen u. a. in. für einen Hungerlohn arbeiten lasten. Dergleichen Fabriken, die in den meisten Fällen von Personen unternommen werden, welche von demi Handwerke gar nichts, desto mehr aber vom Vertriebe verstehen und sich in „günstigen Umständen" befinden, d. h. hier: Vermögen haben, bedrohen aber wirklich den Bestand eines unabhängigen Handwerks, dergleichen Fabrikanten sind begreiflicherweise die erbitterten Feinde aller Bemühungen um Erhaltung des Gewerbestandes. Aus solchen Kreisen gehen die eifrigsten Verbreiter der Lehre hervor: nicht in der Werkstatt, sondern in der Gewerbeschule müsse der künftige Arbeiter herangebildet werden, Staaten, Gemeinden, Korporationen müßten alle erdenklichen Opfer bringen, dem Knaben müsse Unterricht in der Mathematik, im Zeichnen, in der Naturlehre, in der Technologie :c. erteilt werden, damit er in der Fabrik jahraus, jahrein und Tag für Tag einen und denselben Handgriff machen könne! Gegen die Übermacht dieser Art von Industrie müssen Bollwerke aufgeführt werden, und man darf sich nicht abschrecken lassen, falls eines die gehegten Erwartungen nicht erfüllt. Nicht die Frage ist die entschei¬ dende, ob ein Gewerbe fabrikmäßig betrieben wird oder nicht, sondern ob der Be¬ trieb fabrikmäßig sein muß; und ist das nicht der Fall, dann kann auch die gro߬ artigste Anlage, die Menge der Hände und die Massenhaftigkeit der Produktion keinen Grund abgeben, die „Fabrik" der Beobachtung gesetzlicher Bestimmungen für das Gewerbe zu entheben. Die Sozialdemokraten aber wissen recht gut, weshalb sie mit dieser Gattung vou Industriellen an einem Strange ziehen, aus den Werkstätten derselben strömen ihnen die meisten Rekruten zu. Und um¬ gekehrt braucht, wer Schutz des Handwerks gegen derartige Konkurrenz verlangt, noch kein grundsätzlicher Gegner des großen Kapitals oder des Fabrikwesens überhaupt zu sein. Das Handwerk, insbesondre das Kunsthandwerk, sollte nur selbst beherzigen, daß es ein aussichtsloses, selbstmörderisches Beginnen ist, sein eignes Gebiet, das der individuellen Arbeit, zu verlassen und mit der Groß- ' Grenzboten I. 1S88. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/609>, abgerufen am 16.05.2024.