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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis.

Industrie ÜI der Herstellung von Massenartikeln zu wetteifern. Nicht gegen da"
große Kapital richtet sich die Bewegung, sondern gegen eine bestimmte, gemein¬
schädliche Verwendung desselben.

Die ganze Verhandlung zeugte wieder für den gesunden Gedanken der Ein¬
richtung eines Vvlkswirtschaftsrates. In einer Versammlung von Sachverstän¬
digen würde manche Äußerung sofort berichtigt worden sein, welche dort, wie
es scheint, ohne Widerspruch geblieben ist. Was zunächst die Erfahrungen mit
dem Befähigungsnachweise in Österreich betrifft, widerlegten sich allerdings die
im Reichstage abgegebenen ungünstigen Urteile gegenseitig. Einmal hieß es
es "sei wohl natürlich, daß Leute, die sich in die Zunft bereits hübsch eingelebt
haben und ihr geneigt sind," ihren Standpunkt verteidigen, und dann hörte
man, daß in Österreich die Handwerker gegen den Befähigungsnachweis seien.
Beides ist bedingt richtig, wie jedermann weiß, der den Entwicklungsgang dieser
Angelegenheit aufmerksam und ohne Voreingenommenheit verfolgt hat. Die
grundsätzlichen Gegner haben in Österreich ihren Standpunkt nicht aufgegeben;
da aber neuerdings nicht mehr von lächerlichen oder ärgerlichen Grenzstreitig-
keiten zwischen verschiednen Gewerben verlautet, scheint es in der That, daß sich
die Einrichtung in dem kurzen Zeiträume von fünf Jahren so ziemlich "ein¬
gelebt" habe; denn man würde nicht verfehlt haben, wie anfangs, aus jedem
solchen Falle Kapital zu schlagen. Anderseits wird mancher enttäuscht sein,
weil die erwarteten goldnen Berge ausgeblieben sind.

Mehrfach wurde Vergangenheit und Gegenwart des Kunsthandwerkes gegen
die Zunft und für die Gewerbefreiheit ausgespielt, und namentlich der bereits
genannte Redner ließ sich dabei handgreifliche Unrichtigkeiten zu Schulden kommen.
"Das alte Kunsthandwerk -- sagte er -- hatte eine bequemere Arbeit, man
arbeitete für die reichen Leute, allenfalls für Kirchen und Klöster. Heute machen
wir das Kunsthandwerk für breite Schichte" der Bevölkerung nutzbar, wir ver¬
suchen, der größten Mehrzahl unsrer Mitbürger ihr Dasein angenehm und be¬
quem zu machen. Das Kunsthandwerk steht heute in allen Zweigen so gehoben,
daß wir beinahe von jedem Handwerke als einem Kunsthandwerk sprechen
können." Das sind so viel Irrtümer wie Sätze, wenn auch jeder den Beifall
der linken Seite des Hauses gefunden hat. Eine große Anzahl von Hand¬
werken können niemals Kunsthandwerk werden, mögen ihre Leistungen noch so
vortrefflich sein. Nehmen wir die Aufzählung in Z 14 a, so finden wir da
Barbiere, Friseure, Bäcker, Bandagistcn, Böttcher, Brunnenmacher, Bürstenbinder,
Konditoren, Pfefferküchler, Feilenhauer, Perückenmacher, Gerber, Hutmacher,
Maurer, Mechaniker, Optiker, Fleischer. Müller. Mühlenbauer, Nadler. Sieb¬
macher, Sonnen- und Negenschirmmachcr, Schieferdecker, Schneider. Schornstein¬
feger. Schuhmacher, Schiffsbauer. Seifensieder, Seiler, Uhrmacher, Zimmerleute:
lauter Gewerbe, von denen einzelne gelegentlich in den Dienst einer Kunst treten
oder sich den Luxus einer Beihilfe eines Kunsthandwerks gestatten können, ii:


Der Befähigungsnachweis.

Industrie ÜI der Herstellung von Massenartikeln zu wetteifern. Nicht gegen da»
große Kapital richtet sich die Bewegung, sondern gegen eine bestimmte, gemein¬
schädliche Verwendung desselben.

Die ganze Verhandlung zeugte wieder für den gesunden Gedanken der Ein¬
richtung eines Vvlkswirtschaftsrates. In einer Versammlung von Sachverstän¬
digen würde manche Äußerung sofort berichtigt worden sein, welche dort, wie
es scheint, ohne Widerspruch geblieben ist. Was zunächst die Erfahrungen mit
dem Befähigungsnachweise in Österreich betrifft, widerlegten sich allerdings die
im Reichstage abgegebenen ungünstigen Urteile gegenseitig. Einmal hieß es
es „sei wohl natürlich, daß Leute, die sich in die Zunft bereits hübsch eingelebt
haben und ihr geneigt sind," ihren Standpunkt verteidigen, und dann hörte
man, daß in Österreich die Handwerker gegen den Befähigungsnachweis seien.
Beides ist bedingt richtig, wie jedermann weiß, der den Entwicklungsgang dieser
Angelegenheit aufmerksam und ohne Voreingenommenheit verfolgt hat. Die
grundsätzlichen Gegner haben in Österreich ihren Standpunkt nicht aufgegeben;
da aber neuerdings nicht mehr von lächerlichen oder ärgerlichen Grenzstreitig-
keiten zwischen verschiednen Gewerben verlautet, scheint es in der That, daß sich
die Einrichtung in dem kurzen Zeiträume von fünf Jahren so ziemlich „ein¬
gelebt" habe; denn man würde nicht verfehlt haben, wie anfangs, aus jedem
solchen Falle Kapital zu schlagen. Anderseits wird mancher enttäuscht sein,
weil die erwarteten goldnen Berge ausgeblieben sind.

Mehrfach wurde Vergangenheit und Gegenwart des Kunsthandwerkes gegen
die Zunft und für die Gewerbefreiheit ausgespielt, und namentlich der bereits
genannte Redner ließ sich dabei handgreifliche Unrichtigkeiten zu Schulden kommen.
„Das alte Kunsthandwerk — sagte er — hatte eine bequemere Arbeit, man
arbeitete für die reichen Leute, allenfalls für Kirchen und Klöster. Heute machen
wir das Kunsthandwerk für breite Schichte« der Bevölkerung nutzbar, wir ver¬
suchen, der größten Mehrzahl unsrer Mitbürger ihr Dasein angenehm und be¬
quem zu machen. Das Kunsthandwerk steht heute in allen Zweigen so gehoben,
daß wir beinahe von jedem Handwerke als einem Kunsthandwerk sprechen
können." Das sind so viel Irrtümer wie Sätze, wenn auch jeder den Beifall
der linken Seite des Hauses gefunden hat. Eine große Anzahl von Hand¬
werken können niemals Kunsthandwerk werden, mögen ihre Leistungen noch so
vortrefflich sein. Nehmen wir die Aufzählung in Z 14 a, so finden wir da
Barbiere, Friseure, Bäcker, Bandagistcn, Böttcher, Brunnenmacher, Bürstenbinder,
Konditoren, Pfefferküchler, Feilenhauer, Perückenmacher, Gerber, Hutmacher,
Maurer, Mechaniker, Optiker, Fleischer. Müller. Mühlenbauer, Nadler. Sieb¬
macher, Sonnen- und Negenschirmmachcr, Schieferdecker, Schneider. Schornstein¬
feger. Schuhmacher, Schiffsbauer. Seifensieder, Seiler, Uhrmacher, Zimmerleute:
lauter Gewerbe, von denen einzelne gelegentlich in den Dienst einer Kunst treten
oder sich den Luxus einer Beihilfe eines Kunsthandwerks gestatten können, ii:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/610>, abgerufen am 11.06.2024.