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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen,

Verhältnis, gegen welches vom wirtschaftlichen Standpunkte aus der Einwand
erhoben werden kann, daß das Kapital der Unternehmer nicht groß genug ist,
um der Obligationsanlage genügende Sicherheit zu gewähren. Die vom Staate
mit fünf Prozent Minimaldividende und entsprechender Tilgungsquote ver¬
bürgten Aktien können als besonders privilegirte Anlagewertc angesehen werden,
da unter günstigen Vetriebsergebnissm die Dividende unbegrenzt wachsen kann,
während der Staat die Gefahr des Unternehmens zum größten Teile auf sich
genommen hat, ohne einen Gewinnanteil für sich zu beanspruchen. Die so ver¬
bürgten Eisenbahnaktien sind, wie der Kurszettel der Berliner Börse ausweist,
nur in geringer Zahl in Deutschland vertreten. Eine solche vorteilhafte Kapital¬
anlage ins Ausland abzugeben, hatten die Gründer in der Regel kein Interesse.

Eine staatliche Kontrole über die finanzielle Wirtschaft der Privateisen¬
bahnen hat bis in die neueste Zeit fast gar nicht bestanden. Sie beschränkte
sich im allgemeinen auf die formale rechnungsmäßige Prüfung der von den
einzelnen Bahnen erbetenen Bürgschaftszuschüsse. Selbst diese Prüfung scheint
sehr oberflächlich gewesen zu sein, wie u. a. die jüngst aufgedeckten Mißbräuche
beweisen, welche bei der Großen Russischen Eisenbahngesellschaft vorgekommen
sind, wobei nachgewiesen worden ist, daß bei dieser Gesellschaft der Staat im
Laufe der Jahre um mehr als 30000000 Rudel geschädigt worden ist.

Bei Festsetzung der Gütertarife war den Bahnen bisher volle Freiheit ge¬
lassen worden. Es ist nicht zu leugnen, daß die Bahnen, um sich gegenseitig
auszustechen, teilweise die Tarife weiter herabgesetzt hatten, als vom wirtschaft¬
lichen Standpunkte aus gerechtfertigt erschien. Den Verlust hatte wegen der
dadurch veranlaßten vermehrten Bürgschaftszahlung der Staat zu tragen. Erst
in neuester Zeit ist eine schärfere Prüfung der Finanzwirtschaft der Eisenbahnen
eingetreten.




Das Ergebnis dieser Untersuchungen liegt auf der Hand. Selbst im
günstigsten Falle haben die russischen Eiscnbahnpapiere das Schicksal der rus¬
sischen Staatsfinanzen zu teilen, die bekanntlich nicht in dem Ruhe der Sicher¬
heit stehen. Was in andern Staaten als Sicherheit der Gläubiger von Privat-
eisenbahncn gilt, ein Pfandrecht an deren Vermögen, besteht nach russischem
Rechte nicht, ebenso wenig bietet die Staatsaufsicht die Bürgschaft einer ge¬
ordneten Verwaltung. Das Verhältnis zwischen Aktionären und Obligativnen-
inhabern zu den Gesellschaften und dem Staate ist ein zweifelhaftes, die Kon¬
zessionsurkunde ist nach Willkür der Staatsverwaltung abänderlich, kurz, das
ganze Eisenbahnwesen Rußlands bietet ein Bild juristischer und finanzieller
Unsicherheit und Zerfahrenheit, wie es nicht verwirrender gedacht werden kann.
Der vorstehende Aufsatz hat versucht, sich aus diesem Labyrinth herauszuwinden,
und bei allem Bewußtsein getreuer Studien will der Verfasser nicht mit
dem Bekenntnis zurückhalten, daß ihm an einzelnen Stellen der Ariadnefaden


Grenzboten I. 1SL8. 11
Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen,

Verhältnis, gegen welches vom wirtschaftlichen Standpunkte aus der Einwand
erhoben werden kann, daß das Kapital der Unternehmer nicht groß genug ist,
um der Obligationsanlage genügende Sicherheit zu gewähren. Die vom Staate
mit fünf Prozent Minimaldividende und entsprechender Tilgungsquote ver¬
bürgten Aktien können als besonders privilegirte Anlagewertc angesehen werden,
da unter günstigen Vetriebsergebnissm die Dividende unbegrenzt wachsen kann,
während der Staat die Gefahr des Unternehmens zum größten Teile auf sich
genommen hat, ohne einen Gewinnanteil für sich zu beanspruchen. Die so ver¬
bürgten Eisenbahnaktien sind, wie der Kurszettel der Berliner Börse ausweist,
nur in geringer Zahl in Deutschland vertreten. Eine solche vorteilhafte Kapital¬
anlage ins Ausland abzugeben, hatten die Gründer in der Regel kein Interesse.

Eine staatliche Kontrole über die finanzielle Wirtschaft der Privateisen¬
bahnen hat bis in die neueste Zeit fast gar nicht bestanden. Sie beschränkte
sich im allgemeinen auf die formale rechnungsmäßige Prüfung der von den
einzelnen Bahnen erbetenen Bürgschaftszuschüsse. Selbst diese Prüfung scheint
sehr oberflächlich gewesen zu sein, wie u. a. die jüngst aufgedeckten Mißbräuche
beweisen, welche bei der Großen Russischen Eisenbahngesellschaft vorgekommen
sind, wobei nachgewiesen worden ist, daß bei dieser Gesellschaft der Staat im
Laufe der Jahre um mehr als 30000000 Rudel geschädigt worden ist.

Bei Festsetzung der Gütertarife war den Bahnen bisher volle Freiheit ge¬
lassen worden. Es ist nicht zu leugnen, daß die Bahnen, um sich gegenseitig
auszustechen, teilweise die Tarife weiter herabgesetzt hatten, als vom wirtschaft¬
lichen Standpunkte aus gerechtfertigt erschien. Den Verlust hatte wegen der
dadurch veranlaßten vermehrten Bürgschaftszahlung der Staat zu tragen. Erst
in neuester Zeit ist eine schärfere Prüfung der Finanzwirtschaft der Eisenbahnen
eingetreten.




Das Ergebnis dieser Untersuchungen liegt auf der Hand. Selbst im
günstigsten Falle haben die russischen Eiscnbahnpapiere das Schicksal der rus¬
sischen Staatsfinanzen zu teilen, die bekanntlich nicht in dem Ruhe der Sicher¬
heit stehen. Was in andern Staaten als Sicherheit der Gläubiger von Privat-
eisenbahncn gilt, ein Pfandrecht an deren Vermögen, besteht nach russischem
Rechte nicht, ebenso wenig bietet die Staatsaufsicht die Bürgschaft einer ge¬
ordneten Verwaltung. Das Verhältnis zwischen Aktionären und Obligativnen-
inhabern zu den Gesellschaften und dem Staate ist ein zweifelhaftes, die Kon¬
zessionsurkunde ist nach Willkür der Staatsverwaltung abänderlich, kurz, das
ganze Eisenbahnwesen Rußlands bietet ein Bild juristischer und finanzieller
Unsicherheit und Zerfahrenheit, wie es nicht verwirrender gedacht werden kann.
Der vorstehende Aufsatz hat versucht, sich aus diesem Labyrinth herauszuwinden,
und bei allem Bewußtsein getreuer Studien will der Verfasser nicht mit
dem Bekenntnis zurückhalten, daß ihm an einzelnen Stellen der Ariadnefaden


Grenzboten I. 1SL8. 11
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[0089] Die Finanzlage der russischen Eisenbahnen, Verhältnis, gegen welches vom wirtschaftlichen Standpunkte aus der Einwand erhoben werden kann, daß das Kapital der Unternehmer nicht groß genug ist, um der Obligationsanlage genügende Sicherheit zu gewähren. Die vom Staate mit fünf Prozent Minimaldividende und entsprechender Tilgungsquote ver¬ bürgten Aktien können als besonders privilegirte Anlagewertc angesehen werden, da unter günstigen Vetriebsergebnissm die Dividende unbegrenzt wachsen kann, während der Staat die Gefahr des Unternehmens zum größten Teile auf sich genommen hat, ohne einen Gewinnanteil für sich zu beanspruchen. Die so ver¬ bürgten Eisenbahnaktien sind, wie der Kurszettel der Berliner Börse ausweist, nur in geringer Zahl in Deutschland vertreten. Eine solche vorteilhafte Kapital¬ anlage ins Ausland abzugeben, hatten die Gründer in der Regel kein Interesse. Eine staatliche Kontrole über die finanzielle Wirtschaft der Privateisen¬ bahnen hat bis in die neueste Zeit fast gar nicht bestanden. Sie beschränkte sich im allgemeinen auf die formale rechnungsmäßige Prüfung der von den einzelnen Bahnen erbetenen Bürgschaftszuschüsse. Selbst diese Prüfung scheint sehr oberflächlich gewesen zu sein, wie u. a. die jüngst aufgedeckten Mißbräuche beweisen, welche bei der Großen Russischen Eisenbahngesellschaft vorgekommen sind, wobei nachgewiesen worden ist, daß bei dieser Gesellschaft der Staat im Laufe der Jahre um mehr als 30000000 Rudel geschädigt worden ist. Bei Festsetzung der Gütertarife war den Bahnen bisher volle Freiheit ge¬ lassen worden. Es ist nicht zu leugnen, daß die Bahnen, um sich gegenseitig auszustechen, teilweise die Tarife weiter herabgesetzt hatten, als vom wirtschaft¬ lichen Standpunkte aus gerechtfertigt erschien. Den Verlust hatte wegen der dadurch veranlaßten vermehrten Bürgschaftszahlung der Staat zu tragen. Erst in neuester Zeit ist eine schärfere Prüfung der Finanzwirtschaft der Eisenbahnen eingetreten. Das Ergebnis dieser Untersuchungen liegt auf der Hand. Selbst im günstigsten Falle haben die russischen Eiscnbahnpapiere das Schicksal der rus¬ sischen Staatsfinanzen zu teilen, die bekanntlich nicht in dem Ruhe der Sicher¬ heit stehen. Was in andern Staaten als Sicherheit der Gläubiger von Privat- eisenbahncn gilt, ein Pfandrecht an deren Vermögen, besteht nach russischem Rechte nicht, ebenso wenig bietet die Staatsaufsicht die Bürgschaft einer ge¬ ordneten Verwaltung. Das Verhältnis zwischen Aktionären und Obligativnen- inhabern zu den Gesellschaften und dem Staate ist ein zweifelhaftes, die Kon¬ zessionsurkunde ist nach Willkür der Staatsverwaltung abänderlich, kurz, das ganze Eisenbahnwesen Rußlands bietet ein Bild juristischer und finanzieller Unsicherheit und Zerfahrenheit, wie es nicht verwirrender gedacht werden kann. Der vorstehende Aufsatz hat versucht, sich aus diesem Labyrinth herauszuwinden, und bei allem Bewußtsein getreuer Studien will der Verfasser nicht mit dem Bekenntnis zurückhalten, daß ihm an einzelnen Stellen der Ariadnefaden Grenzboten I. 1SL8. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/89>, abgerufen am 22.05.2024.