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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kultur und Technik.

beweist und das Dubois-Neymonds eins der Gegenseite. Joseph Popper macht
in dieser Beziehung eine Ausnahme. Nicht daß er selbst Poet wäre, bewahre!
oder poetisch angehaucht schriebe -- dies gleich gar nicht! Aber er hat einen
merkwürdig empfänglichen Sinn für alles künstlerische Empfinden, er fühlt
sich selbst als eine Art von Künstler und hat aus diesem Gefühle heraus die
genannte Abhandlung geschrieben, die überhaupt eine künstlerische Weltan¬
schauung verkündet. Und dies ist Wohl eine Seltenheit bei Mathematikern.
Er ist aber auch in den Geisteswissenschaften, in der Geschichte der Philosophie,
in der schönen Litteratur wohl bewandert; nach einer Stelle in seiner Schrift
zu urteilen, in der er Confucius, den chinesischen Moralisten, für den bedeu¬
tendsten Ethiker der Welt erklärt, muß er sogar Sinologie getrieben haben.
Seine ganze Schrift ist demnach das Bekenntnis eines echten Humanisten, was
um so merkwürdiger ist, als sie sich in geradem Gegensatze zu Dubois-Reymond,
diesem sonst verwandten Geiste befind.t. Denn alle jene technischen Fortschritte
Her Menschheit, die so viele MensuM mit dem Gefühle erfüllen, als schritten
wir auf schwindelnder Höhe einem unglaublich schönen Zustande entgegen, nach
allen Seiten Glück und Segen aus dampfpustendem Füllhorn spendend, weiß
Popper auf ihren wahren Wert zurückzuführen, und in letzter Linie sieht er
darin nichts anders, als eine -- Spielerei der Menschheit. Nicht wie die alten
Ethiker und Ästhetiker gelangt er von apriorischen Sätzen zu seinen Ergebnissen
-- wie sollte auch ein moderner Mann der Wissenschaft so "theologisch" denken!
vielmehr hat er sich in ganz eigner Weise den Weg dahin gebahnt, hat in oft sehr
schwieriger, von physikalisch-mathematischen Gleichnissen durchflochtener Form
seine gedankenreiche Anschauung dargestellt, und wenn sich zuweilen in seiner
nichts weniger als schönen Prosa ein dichterisches Gefühl offenbart, so wird dies
dem strengen Originaldcnker wohl kaum selbst zum Bewußtsein gekommen sein.

Also der Famulus Wagner hat vollkommen Recht, auch für sich, für das
Leben und Treiben des Büchermenschen die Gefühle der reinen Freude, der
Erhebung, des von jedem eigennützigen Gedanken vollkommen freien Genusses
der Schönheit in Anspruch zu nehmen. Von dieser psychologischen Thatsache,
das; ästhetische Gefühle nicht allein von den bekannten Objekten der lyrischen
und epischen Poesie angeregt, sondern auch in der wissenschaftlichen Thätigkeit,
ja sogar bei den so abstrakten Arbeiten der Mathematiker empfunden werden,
geht Popper aus. Auch eine Abhandlung von Euler, eine Rechnung von Gauß,
ein Buch von Lagrange haben neben ihrem wissenschaftlichen Werte ihre eigne
Schönheit, und es war ein Fehler aller Ästhetiker, daß sie diese Erscheinung
des ästhetischen Gefühles bisher mit Schweigen übergangen haben. Joseph Popper
geht noch weiter, indem er dasselbe Gefühl nicht bloß als ein passiv zuschauendes,
sondern auch als ein in der Wissenschaft schöpferisches bezeichnet. Er sagt:
"Diejenigen Männer der Wissenschaft, die mit abstrakteren Aufgaben sich ab¬
mühen, sind gewöhnlich nicht wenig empört darüber, wenn man ihnen die Be-


Kultur und Technik.

beweist und das Dubois-Neymonds eins der Gegenseite. Joseph Popper macht
in dieser Beziehung eine Ausnahme. Nicht daß er selbst Poet wäre, bewahre!
oder poetisch angehaucht schriebe — dies gleich gar nicht! Aber er hat einen
merkwürdig empfänglichen Sinn für alles künstlerische Empfinden, er fühlt
sich selbst als eine Art von Künstler und hat aus diesem Gefühle heraus die
genannte Abhandlung geschrieben, die überhaupt eine künstlerische Weltan¬
schauung verkündet. Und dies ist Wohl eine Seltenheit bei Mathematikern.
Er ist aber auch in den Geisteswissenschaften, in der Geschichte der Philosophie,
in der schönen Litteratur wohl bewandert; nach einer Stelle in seiner Schrift
zu urteilen, in der er Confucius, den chinesischen Moralisten, für den bedeu¬
tendsten Ethiker der Welt erklärt, muß er sogar Sinologie getrieben haben.
Seine ganze Schrift ist demnach das Bekenntnis eines echten Humanisten, was
um so merkwürdiger ist, als sie sich in geradem Gegensatze zu Dubois-Reymond,
diesem sonst verwandten Geiste befind.t. Denn alle jene technischen Fortschritte
Her Menschheit, die so viele MensuM mit dem Gefühle erfüllen, als schritten
wir auf schwindelnder Höhe einem unglaublich schönen Zustande entgegen, nach
allen Seiten Glück und Segen aus dampfpustendem Füllhorn spendend, weiß
Popper auf ihren wahren Wert zurückzuführen, und in letzter Linie sieht er
darin nichts anders, als eine — Spielerei der Menschheit. Nicht wie die alten
Ethiker und Ästhetiker gelangt er von apriorischen Sätzen zu seinen Ergebnissen
— wie sollte auch ein moderner Mann der Wissenschaft so „theologisch" denken!
vielmehr hat er sich in ganz eigner Weise den Weg dahin gebahnt, hat in oft sehr
schwieriger, von physikalisch-mathematischen Gleichnissen durchflochtener Form
seine gedankenreiche Anschauung dargestellt, und wenn sich zuweilen in seiner
nichts weniger als schönen Prosa ein dichterisches Gefühl offenbart, so wird dies
dem strengen Originaldcnker wohl kaum selbst zum Bewußtsein gekommen sein.

Also der Famulus Wagner hat vollkommen Recht, auch für sich, für das
Leben und Treiben des Büchermenschen die Gefühle der reinen Freude, der
Erhebung, des von jedem eigennützigen Gedanken vollkommen freien Genusses
der Schönheit in Anspruch zu nehmen. Von dieser psychologischen Thatsache,
das; ästhetische Gefühle nicht allein von den bekannten Objekten der lyrischen
und epischen Poesie angeregt, sondern auch in der wissenschaftlichen Thätigkeit,
ja sogar bei den so abstrakten Arbeiten der Mathematiker empfunden werden,
geht Popper aus. Auch eine Abhandlung von Euler, eine Rechnung von Gauß,
ein Buch von Lagrange haben neben ihrem wissenschaftlichen Werte ihre eigne
Schönheit, und es war ein Fehler aller Ästhetiker, daß sie diese Erscheinung
des ästhetischen Gefühles bisher mit Schweigen übergangen haben. Joseph Popper
geht noch weiter, indem er dasselbe Gefühl nicht bloß als ein passiv zuschauendes,
sondern auch als ein in der Wissenschaft schöpferisches bezeichnet. Er sagt:
„Diejenigen Männer der Wissenschaft, die mit abstrakteren Aufgaben sich ab¬
mühen, sind gewöhnlich nicht wenig empört darüber, wenn man ihnen die Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/173>, abgerufen am 26.05.2024.