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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kultur und Technik.

merkung hinwirft: das nützt zu nichts, das hat keinen praktischen Wert, ja es
hat kaum je einen Einfluß auf die andern theoretischen Wissenszweige und noch
weniger auf die geistige oder moralische Entwicklung der Menschen. Gewöhnlich
erwidert der Gelehrte in solchem Falle mit verachtenden Schweigen; mitunter,
jedoch selten, bemüht er sich nachzuweisen, daß man nie wissen könne, wozu
irgend etwas einmal, sei es in noch so später Zeit, nützen würde. Nur die
eine richtige, schlagende, nicht zu widerlegende Antwort wird nicht gegeben:
"Es macht mir und manchem andern Vergnügen und mag zu ebensoviel gut
und nützlich sein, wie das Komponiren oder Anhören einer Symphonie oder
wie die Lektüre eines Romans." Der ästhetische Spieltrieb" also, der in
Schillers "Erziehung des Menschengeschlechts" eine so bedeutsame Stellung
einnimmt, besteht demnach auch in den rein wissenschaftlichen Bestrebungen der
Menschheit.

Aber nicht bloß in den Gemütern und Studirstuben der gelehrten. Mathe¬
matiker und Physiker offenbart sich ein ästhetisches Interesse, sondern auch die
praktischen Arbeiten und Erzeugnisse derselben auf dem Gebiete der technischen
Künste im großen und kleinen werden von ästhetischen Gefühlen begleitet. In
einer Reihe von Beispielen beweist Popper diese Thatsache. Die Wunder der
technischen Werkstätten werden ästhetisch empfunden. Was hat, fragt Popper,
die weitaus überwiegende Mehrzahl von Menschen davon, daß z. B. Europa
mit Amerika durch ein Kabel verbunden wurde? Wie wenige kommen überhaupt
jemals in die Lage, das Kabel zu benutzen oder auch nur seiner zu bedürfen?
Und doch hat ganz Europa mit der größten Teilnahme den Plan, den Fort¬
schritt und das Gelingen des Unternehmens verfolgt! Und wie groß war diese
Teilnahme bei den Arbeiten am Durchstich des Suezkanals! Wie groß ist sie
für alle Nachrichten aus den Werkstätten bekannter Erfinder, z. B. eines Edison!
Ganz gleichgiltig, ob die Erfindung von größerer oder geringerer Bedeutung ist,
ob sie sich als brauchbar oder als unbrauchbar erweist! Wenn nur geschaffen
wird! Das alles, sagt Popper, sind ästhetische Gefühle. Aber auch der schaffende
Techniker ist vorwiegend von solchen erfüllt. "Er lebt in einer gewissen Be¬
ziehung, ganz wie der Künstler, in einer höhern Sphäre. Mit ausdauernder
Liebe zu einer Idee, erscheine diese jedem andern auch noch so geringfügig, durch¬
arbeitet er seinen Gedanken, um ihn zu verwirklichen. Eine scheinbar unbedeu¬
tende Verbesserung seines Handwerkszeuges, einer Werkzeugmaschine, ist schon
im stände, ihm anhaltende Anregung zu geben, sein ganzes Innere zu erfüllen
und zu beleben. Lange vor dem Gelingen seines Projektes ist er schon durch
die bloße Beschäftigung mit demselben zwar beunruhigt und aufgestört, aber doch
beglückt. Und diese lange währende und nicht abnehmende Heiterkeit und Lebens¬
erhöhung, eine Folge seiner unverwüstlichen Hoffnungsfähigkeit, ist für ihn ein
bleibender Gewinn, ganz gleichgültig, ob er sein vorgestecktes Ziel erreicht oder
nicht."


Kultur und Technik.

merkung hinwirft: das nützt zu nichts, das hat keinen praktischen Wert, ja es
hat kaum je einen Einfluß auf die andern theoretischen Wissenszweige und noch
weniger auf die geistige oder moralische Entwicklung der Menschen. Gewöhnlich
erwidert der Gelehrte in solchem Falle mit verachtenden Schweigen; mitunter,
jedoch selten, bemüht er sich nachzuweisen, daß man nie wissen könne, wozu
irgend etwas einmal, sei es in noch so später Zeit, nützen würde. Nur die
eine richtige, schlagende, nicht zu widerlegende Antwort wird nicht gegeben:
„Es macht mir und manchem andern Vergnügen und mag zu ebensoviel gut
und nützlich sein, wie das Komponiren oder Anhören einer Symphonie oder
wie die Lektüre eines Romans." Der ästhetische Spieltrieb" also, der in
Schillers „Erziehung des Menschengeschlechts" eine so bedeutsame Stellung
einnimmt, besteht demnach auch in den rein wissenschaftlichen Bestrebungen der
Menschheit.

Aber nicht bloß in den Gemütern und Studirstuben der gelehrten. Mathe¬
matiker und Physiker offenbart sich ein ästhetisches Interesse, sondern auch die
praktischen Arbeiten und Erzeugnisse derselben auf dem Gebiete der technischen
Künste im großen und kleinen werden von ästhetischen Gefühlen begleitet. In
einer Reihe von Beispielen beweist Popper diese Thatsache. Die Wunder der
technischen Werkstätten werden ästhetisch empfunden. Was hat, fragt Popper,
die weitaus überwiegende Mehrzahl von Menschen davon, daß z. B. Europa
mit Amerika durch ein Kabel verbunden wurde? Wie wenige kommen überhaupt
jemals in die Lage, das Kabel zu benutzen oder auch nur seiner zu bedürfen?
Und doch hat ganz Europa mit der größten Teilnahme den Plan, den Fort¬
schritt und das Gelingen des Unternehmens verfolgt! Und wie groß war diese
Teilnahme bei den Arbeiten am Durchstich des Suezkanals! Wie groß ist sie
für alle Nachrichten aus den Werkstätten bekannter Erfinder, z. B. eines Edison!
Ganz gleichgiltig, ob die Erfindung von größerer oder geringerer Bedeutung ist,
ob sie sich als brauchbar oder als unbrauchbar erweist! Wenn nur geschaffen
wird! Das alles, sagt Popper, sind ästhetische Gefühle. Aber auch der schaffende
Techniker ist vorwiegend von solchen erfüllt. „Er lebt in einer gewissen Be¬
ziehung, ganz wie der Künstler, in einer höhern Sphäre. Mit ausdauernder
Liebe zu einer Idee, erscheine diese jedem andern auch noch so geringfügig, durch¬
arbeitet er seinen Gedanken, um ihn zu verwirklichen. Eine scheinbar unbedeu¬
tende Verbesserung seines Handwerkszeuges, einer Werkzeugmaschine, ist schon
im stände, ihm anhaltende Anregung zu geben, sein ganzes Innere zu erfüllen
und zu beleben. Lange vor dem Gelingen seines Projektes ist er schon durch
die bloße Beschäftigung mit demselben zwar beunruhigt und aufgestört, aber doch
beglückt. Und diese lange währende und nicht abnehmende Heiterkeit und Lebens¬
erhöhung, eine Folge seiner unverwüstlichen Hoffnungsfähigkeit, ist für ihn ein
bleibender Gewinn, ganz gleichgültig, ob er sein vorgestecktes Ziel erreicht oder
nicht."


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[0174] Kultur und Technik. merkung hinwirft: das nützt zu nichts, das hat keinen praktischen Wert, ja es hat kaum je einen Einfluß auf die andern theoretischen Wissenszweige und noch weniger auf die geistige oder moralische Entwicklung der Menschen. Gewöhnlich erwidert der Gelehrte in solchem Falle mit verachtenden Schweigen; mitunter, jedoch selten, bemüht er sich nachzuweisen, daß man nie wissen könne, wozu irgend etwas einmal, sei es in noch so später Zeit, nützen würde. Nur die eine richtige, schlagende, nicht zu widerlegende Antwort wird nicht gegeben: „Es macht mir und manchem andern Vergnügen und mag zu ebensoviel gut und nützlich sein, wie das Komponiren oder Anhören einer Symphonie oder wie die Lektüre eines Romans." Der ästhetische Spieltrieb" also, der in Schillers „Erziehung des Menschengeschlechts" eine so bedeutsame Stellung einnimmt, besteht demnach auch in den rein wissenschaftlichen Bestrebungen der Menschheit. Aber nicht bloß in den Gemütern und Studirstuben der gelehrten. Mathe¬ matiker und Physiker offenbart sich ein ästhetisches Interesse, sondern auch die praktischen Arbeiten und Erzeugnisse derselben auf dem Gebiete der technischen Künste im großen und kleinen werden von ästhetischen Gefühlen begleitet. In einer Reihe von Beispielen beweist Popper diese Thatsache. Die Wunder der technischen Werkstätten werden ästhetisch empfunden. Was hat, fragt Popper, die weitaus überwiegende Mehrzahl von Menschen davon, daß z. B. Europa mit Amerika durch ein Kabel verbunden wurde? Wie wenige kommen überhaupt jemals in die Lage, das Kabel zu benutzen oder auch nur seiner zu bedürfen? Und doch hat ganz Europa mit der größten Teilnahme den Plan, den Fort¬ schritt und das Gelingen des Unternehmens verfolgt! Und wie groß war diese Teilnahme bei den Arbeiten am Durchstich des Suezkanals! Wie groß ist sie für alle Nachrichten aus den Werkstätten bekannter Erfinder, z. B. eines Edison! Ganz gleichgiltig, ob die Erfindung von größerer oder geringerer Bedeutung ist, ob sie sich als brauchbar oder als unbrauchbar erweist! Wenn nur geschaffen wird! Das alles, sagt Popper, sind ästhetische Gefühle. Aber auch der schaffende Techniker ist vorwiegend von solchen erfüllt. „Er lebt in einer gewissen Be¬ ziehung, ganz wie der Künstler, in einer höhern Sphäre. Mit ausdauernder Liebe zu einer Idee, erscheine diese jedem andern auch noch so geringfügig, durch¬ arbeitet er seinen Gedanken, um ihn zu verwirklichen. Eine scheinbar unbedeu¬ tende Verbesserung seines Handwerkszeuges, einer Werkzeugmaschine, ist schon im stände, ihm anhaltende Anregung zu geben, sein ganzes Innere zu erfüllen und zu beleben. Lange vor dem Gelingen seines Projektes ist er schon durch die bloße Beschäftigung mit demselben zwar beunruhigt und aufgestört, aber doch beglückt. Und diese lange währende und nicht abnehmende Heiterkeit und Lebens¬ erhöhung, eine Folge seiner unverwüstlichen Hoffnungsfähigkeit, ist für ihn ein bleibender Gewinn, ganz gleichgültig, ob er sein vorgestecktes Ziel erreicht oder nicht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/174>, abgerufen am 17.06.2024.