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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

Außer in Berlin, wo die Persönlichkeit Stöckers jeden heilsamen Kompromiß hindert,
kann das auch nicht so schwer fallen. Je mehr die Negierung auf deu Bestand
des Kartells dringt, desto mehr ist sie im Recht, und das Gefühl des einfachen
Wählers geht mit ihr. Ein Glück, daß es eine Frage giebt, wo alle Parteien
zuletzt gegen die Ultramontanen stehen, und daß diese Frage gerade mitten in
dem Kampfe der Konservativen und Nationalliberalen aufgerührt wurde, v. Hume
erklärte auf der Generalversammlung der Katholiken in Beuthen, daß der Windt-
horstsche Antrag auf Verkirchlichung der preußischen Volksschule wieder eingebracht
werden solle. Windthorst war schlau genug gewesen, im vorigen Landtage den
bereits angekündigten Antrag wieder fallen zu lassen; die Temperatur war zu
ungünstig gewesen. Im neuen Landtage hoffen nun die Ultramontciuen die
Herrschaft der Kirche über die Schule durchzusetzen. Bereits hat der Erzbischof
von Köln feinen Klerus verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß nur solche Abge¬
ordnete gewählt werden, die diese Herrschaft begünstigen. Es ist gut, daß
sie damit herauskommen. Sie werden erfahren, daß Preußen nicht Osterreich
ist, und daß bet uns die Hoheit des Staates eine von allen Parteien mit
Ausnahme der Römlinge anerkanntes und unantastbares Axiom ist. Kein
Mensch in Preußen, der den preußischen Staat will, will belgische Zu¬
stände. Und darum will kein Mensch die kirchliche Leitung der Schule.
Gegen klerikale Bevormundung erhebt sich das preußische Gewissen. Das
werden Windthorst und seine Eideshelfer erfahren. Wenn Herr v. Hume
von Windthorsts Antrag mit echt jesuitischer Schlauheit sagte: "Er ist nicht
allein für die katholische Kirche gestellt, sondern für die christliche Kirche über¬
haupt, so wird er wohl sehen, wie wenig Hände die seinen erfassen, in denen
er so freundlich die Gabe einer Toleranz zeigt, von der sonst die Römlinge
gar nichts wissen. Was die Staatsschule angeht, da steht alles, was nicht
geradezu antimodern, d. h. antipreußisch ist, zusammen, "alles, was nicht ka¬
tholisch werden will." Unsre protestantische Geistlichkeit enthält allerdings eine
Anzahl Klerikalgesinnter, denen das römische Papsttum imponirt und die auch
für uus Evangelische gern einen Oberbischof mit Unterbischöfen haben möchten.
So z. B. der Divisionspfarrer R. Köhler in Danzig, der damit "die Volks¬
tümlichkeit der Kirche" zu erzielen denkt, daß das Land "mit Geistlichen über¬
schwemmt" werde, deren Stand aristokratisch werden und feste Besoldung em¬
pfangen soll, allerdings aber auch noch "Geschenke annehmen darf." Aber diese
Bestrebungen haben keine Gemeinden hinter sich. Was aus solchen "über¬
schwemmten" Ländern wird, das weiß das protestantische Volk ganz wohl, und
darum wird für diejenigen unsrer Herren Geistlichen, die dies Ideal auf¬
stellen, jedenfalls die Verwirklichung fehlen. Als Spanien ein so überschwemmtes
Land war, daß auf 76 Einwohner ein Geistlicher kam und auf 912 Köpfe eine
Schule, da war seine traurigste Zeit; als 1869 im Kirchenstaat auf 33 Ein¬
wohner eine geistliche Person kam und von 100 Laien nur ein einziger lesen


von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

Außer in Berlin, wo die Persönlichkeit Stöckers jeden heilsamen Kompromiß hindert,
kann das auch nicht so schwer fallen. Je mehr die Negierung auf deu Bestand
des Kartells dringt, desto mehr ist sie im Recht, und das Gefühl des einfachen
Wählers geht mit ihr. Ein Glück, daß es eine Frage giebt, wo alle Parteien
zuletzt gegen die Ultramontanen stehen, und daß diese Frage gerade mitten in
dem Kampfe der Konservativen und Nationalliberalen aufgerührt wurde, v. Hume
erklärte auf der Generalversammlung der Katholiken in Beuthen, daß der Windt-
horstsche Antrag auf Verkirchlichung der preußischen Volksschule wieder eingebracht
werden solle. Windthorst war schlau genug gewesen, im vorigen Landtage den
bereits angekündigten Antrag wieder fallen zu lassen; die Temperatur war zu
ungünstig gewesen. Im neuen Landtage hoffen nun die Ultramontciuen die
Herrschaft der Kirche über die Schule durchzusetzen. Bereits hat der Erzbischof
von Köln feinen Klerus verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß nur solche Abge¬
ordnete gewählt werden, die diese Herrschaft begünstigen. Es ist gut, daß
sie damit herauskommen. Sie werden erfahren, daß Preußen nicht Osterreich
ist, und daß bet uns die Hoheit des Staates eine von allen Parteien mit
Ausnahme der Römlinge anerkanntes und unantastbares Axiom ist. Kein
Mensch in Preußen, der den preußischen Staat will, will belgische Zu¬
stände. Und darum will kein Mensch die kirchliche Leitung der Schule.
Gegen klerikale Bevormundung erhebt sich das preußische Gewissen. Das
werden Windthorst und seine Eideshelfer erfahren. Wenn Herr v. Hume
von Windthorsts Antrag mit echt jesuitischer Schlauheit sagte: „Er ist nicht
allein für die katholische Kirche gestellt, sondern für die christliche Kirche über¬
haupt, so wird er wohl sehen, wie wenig Hände die seinen erfassen, in denen
er so freundlich die Gabe einer Toleranz zeigt, von der sonst die Römlinge
gar nichts wissen. Was die Staatsschule angeht, da steht alles, was nicht
geradezu antimodern, d. h. antipreußisch ist, zusammen, „alles, was nicht ka¬
tholisch werden will." Unsre protestantische Geistlichkeit enthält allerdings eine
Anzahl Klerikalgesinnter, denen das römische Papsttum imponirt und die auch
für uus Evangelische gern einen Oberbischof mit Unterbischöfen haben möchten.
So z. B. der Divisionspfarrer R. Köhler in Danzig, der damit „die Volks¬
tümlichkeit der Kirche" zu erzielen denkt, daß das Land „mit Geistlichen über¬
schwemmt" werde, deren Stand aristokratisch werden und feste Besoldung em¬
pfangen soll, allerdings aber auch noch „Geschenke annehmen darf." Aber diese
Bestrebungen haben keine Gemeinden hinter sich. Was aus solchen „über¬
schwemmten" Ländern wird, das weiß das protestantische Volk ganz wohl, und
darum wird für diejenigen unsrer Herren Geistlichen, die dies Ideal auf¬
stellen, jedenfalls die Verwirklichung fehlen. Als Spanien ein so überschwemmtes
Land war, daß auf 76 Einwohner ein Geistlicher kam und auf 912 Köpfe eine
Schule, da war seine traurigste Zeit; als 1869 im Kirchenstaat auf 33 Ein¬
wohner eine geistliche Person kam und von 100 Laien nur ein einziger lesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/203>, abgerufen am 17.06.2024.