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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Reichsverfassung und Unitarismus.

s ist ein häßlich u
ndeutsches Wort, zu dem uns der Sprach¬
gebrauch nötigt, wenn wir mit einer allgemeinen Bezeichnung
die Kurzsichtigen und Kurzsinuigen zusammenfassen wollen, die
den tiefinnern Zusammenhang unsers nationalen Lebens verkennen
und, so weit sie es irgend vermögen, dem staatlichen Ausdruck
desselben fremd zu bleiben suchen. Wir benennen die Leute, die sich immer
noch sträuben, dem Reiche zu geben, was des Reiches ist, mit dem Namen
Partikularisteu. Diese erwidern den Vorwurf, der in dem Worte liegt, mit
einem eben so übel klingenden Fremdwort, indem sie jede ausgeprägte nationale
Gesinnung Unitarismus schelten. Daß partikularistische Bestrebungen noch hie
und da im deutschen Reiche spuken, dürfte kaum von jemand ernstlich in
Zweifel gezogen werden; aber ist es eben so gewiß, daß es noch Unitarier giebt?

Vor der im Jahre 1866 gefallenen großen Entscheidung, die durch Be¬
seitigung des österreichischen Anspruchs, in deutschen Verfassungsangelegen¬
heiten das große Wort zu führen, die bundesstaatliche Neugestaltung Deutsch¬
lands thatsächlich ermöglichte, hat es namhafte Publizisten gegeben, die ohne
Bedenken sich selbst als Unitarier bezeichneten. Sie bekannten sich zu der Partei¬
überzeugung, daß eine den nationalen Bedürfnissen entsprechende staatliche
Einigung des deutschen Volkes mir durch VerzichtlÄstung der bestehenden deut¬
schen Staaten wenigstens auf ihre wesentlichsten Hoheitsrechte und Abtretung
derselben an die preußische Monarchie zu erreichen sei. Meinungen zu klären
und zu berichtigen, ist keine Belehrung so sehr geeignet wie die der Thatsachen.
Das deutsche Reich steht vor uns festgegründet, unerschütterlich, hoheitsvoll. Seit
die Wissenschaft des deutschen Staatsrechts ihre erfolgreichen Bemühungen
darauf richtet, Wesen und Inhalt der gewaltigen geschichtlichen Errungenschaft


Grenzboten IV. 1883. 31


Reichsverfassung und Unitarismus.

s ist ein häßlich u
ndeutsches Wort, zu dem uns der Sprach¬
gebrauch nötigt, wenn wir mit einer allgemeinen Bezeichnung
die Kurzsichtigen und Kurzsinuigen zusammenfassen wollen, die
den tiefinnern Zusammenhang unsers nationalen Lebens verkennen
und, so weit sie es irgend vermögen, dem staatlichen Ausdruck
desselben fremd zu bleiben suchen. Wir benennen die Leute, die sich immer
noch sträuben, dem Reiche zu geben, was des Reiches ist, mit dem Namen
Partikularisteu. Diese erwidern den Vorwurf, der in dem Worte liegt, mit
einem eben so übel klingenden Fremdwort, indem sie jede ausgeprägte nationale
Gesinnung Unitarismus schelten. Daß partikularistische Bestrebungen noch hie
und da im deutschen Reiche spuken, dürfte kaum von jemand ernstlich in
Zweifel gezogen werden; aber ist es eben so gewiß, daß es noch Unitarier giebt?

Vor der im Jahre 1866 gefallenen großen Entscheidung, die durch Be¬
seitigung des österreichischen Anspruchs, in deutschen Verfassungsangelegen¬
heiten das große Wort zu führen, die bundesstaatliche Neugestaltung Deutsch¬
lands thatsächlich ermöglichte, hat es namhafte Publizisten gegeben, die ohne
Bedenken sich selbst als Unitarier bezeichneten. Sie bekannten sich zu der Partei¬
überzeugung, daß eine den nationalen Bedürfnissen entsprechende staatliche
Einigung des deutschen Volkes mir durch VerzichtlÄstung der bestehenden deut¬
schen Staaten wenigstens auf ihre wesentlichsten Hoheitsrechte und Abtretung
derselben an die preußische Monarchie zu erreichen sei. Meinungen zu klären
und zu berichtigen, ist keine Belehrung so sehr geeignet wie die der Thatsachen.
Das deutsche Reich steht vor uns festgegründet, unerschütterlich, hoheitsvoll. Seit
die Wissenschaft des deutschen Staatsrechts ihre erfolgreichen Bemühungen
darauf richtet, Wesen und Inhalt der gewaltigen geschichtlichen Errungenschaft


Grenzboten IV. 1883. 31
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[0249] [Abbildung] Reichsverfassung und Unitarismus. s ist ein häßlich u ndeutsches Wort, zu dem uns der Sprach¬ gebrauch nötigt, wenn wir mit einer allgemeinen Bezeichnung die Kurzsichtigen und Kurzsinuigen zusammenfassen wollen, die den tiefinnern Zusammenhang unsers nationalen Lebens verkennen und, so weit sie es irgend vermögen, dem staatlichen Ausdruck desselben fremd zu bleiben suchen. Wir benennen die Leute, die sich immer noch sträuben, dem Reiche zu geben, was des Reiches ist, mit dem Namen Partikularisteu. Diese erwidern den Vorwurf, der in dem Worte liegt, mit einem eben so übel klingenden Fremdwort, indem sie jede ausgeprägte nationale Gesinnung Unitarismus schelten. Daß partikularistische Bestrebungen noch hie und da im deutschen Reiche spuken, dürfte kaum von jemand ernstlich in Zweifel gezogen werden; aber ist es eben so gewiß, daß es noch Unitarier giebt? Vor der im Jahre 1866 gefallenen großen Entscheidung, die durch Be¬ seitigung des österreichischen Anspruchs, in deutschen Verfassungsangelegen¬ heiten das große Wort zu führen, die bundesstaatliche Neugestaltung Deutsch¬ lands thatsächlich ermöglichte, hat es namhafte Publizisten gegeben, die ohne Bedenken sich selbst als Unitarier bezeichneten. Sie bekannten sich zu der Partei¬ überzeugung, daß eine den nationalen Bedürfnissen entsprechende staatliche Einigung des deutschen Volkes mir durch VerzichtlÄstung der bestehenden deut¬ schen Staaten wenigstens auf ihre wesentlichsten Hoheitsrechte und Abtretung derselben an die preußische Monarchie zu erreichen sei. Meinungen zu klären und zu berichtigen, ist keine Belehrung so sehr geeignet wie die der Thatsachen. Das deutsche Reich steht vor uns festgegründet, unerschütterlich, hoheitsvoll. Seit die Wissenschaft des deutschen Staatsrechts ihre erfolgreichen Bemühungen darauf richtet, Wesen und Inhalt der gewaltigen geschichtlichen Errungenschaft Grenzboten IV. 1883. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/249>, abgerufen am 16.06.2024.