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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Glsaß-Lothringen und die Paßverordnung.

u Anfang des Sommers hat die deutsche Negierung an der reichs-
ländischen Grenze die Paßvflicht eingeführt. Es geschah dies als eine
Schutzmaßregel gegen die landesverrätherischen Umtriebe, von deren
bedauerlichen Umfang die letzten Jahre so ernste Proben gebracht
haben; ferner als Abwehrmaßregel gegen die französische Agitation,
die sich im Lande mehr und mehr breit machte, endlich als Antwort auf die
Gehässigkeiten und Feindseligkeiten gegen die Deutschen in Frankreich, um den
Franzosen mit ihrer eigenen Münze heimzuzahlen. Es war notwendig ge¬
worden, sowohl den Franzosen und den in Frankreich lebenden Elsaß-Lothringern
als auch der eigenen Bevölkerung im Reichslande zum vollen Bewußtsein zu
bringen, daß die Grenze eben eine Grenze ist, und den Mißbrauch der nach¬
barlichen Verkehrserleichterung durch Vertiefung des Grenzgrabens wenn nicht
zu verhindern, so doch möglichst zu erschweren.

Die Maßregel, deren Bedeutung und Tragweite man wohl nicht sofort
erkannte, rief -- wie jede derartige Anordnung zu thun pflegt -- namentlich
im Anfange lebhafte Klagen hervor. Bemerkenswerther Weise viel weniger bei
den eigentlich Betroffenen, den Franzosen, die allerdings nach ihrer Fremden¬
gesetzgebung und der von ihnen eingeführten Grenzkontrolle zu Beschwerden keinen
Grund hatten, wohl aber Klagen, namentlich in der Presse, von altdeutscher
und elsässischer Seite über schwere wirtschaftliche Störungen, Belästigungen durch
ungeschickte Beamte, Rückgang des Personenverkehrs der Eisenbahn u. s. w.
Die letztere Klage ist nicht unbegründet, sie kommt auch in den Einnahmen der
Reichsbahnen im Reichshaushalt-Etat für 1889/90 mit einer Mindereinnahme
von 400 000 M. zum Ausdruck. Allein der Umstand, daß die Paßvorschrift
erst am 1. Juni in Kraft getreten ist und die Eisenbahn ihren Voranschlag


Grenzboten IV. 1833. 37


Glsaß-Lothringen und die Paßverordnung.

u Anfang des Sommers hat die deutsche Negierung an der reichs-
ländischen Grenze die Paßvflicht eingeführt. Es geschah dies als eine
Schutzmaßregel gegen die landesverrätherischen Umtriebe, von deren
bedauerlichen Umfang die letzten Jahre so ernste Proben gebracht
haben; ferner als Abwehrmaßregel gegen die französische Agitation,
die sich im Lande mehr und mehr breit machte, endlich als Antwort auf die
Gehässigkeiten und Feindseligkeiten gegen die Deutschen in Frankreich, um den
Franzosen mit ihrer eigenen Münze heimzuzahlen. Es war notwendig ge¬
worden, sowohl den Franzosen und den in Frankreich lebenden Elsaß-Lothringern
als auch der eigenen Bevölkerung im Reichslande zum vollen Bewußtsein zu
bringen, daß die Grenze eben eine Grenze ist, und den Mißbrauch der nach¬
barlichen Verkehrserleichterung durch Vertiefung des Grenzgrabens wenn nicht
zu verhindern, so doch möglichst zu erschweren.

Die Maßregel, deren Bedeutung und Tragweite man wohl nicht sofort
erkannte, rief — wie jede derartige Anordnung zu thun pflegt — namentlich
im Anfange lebhafte Klagen hervor. Bemerkenswerther Weise viel weniger bei
den eigentlich Betroffenen, den Franzosen, die allerdings nach ihrer Fremden¬
gesetzgebung und der von ihnen eingeführten Grenzkontrolle zu Beschwerden keinen
Grund hatten, wohl aber Klagen, namentlich in der Presse, von altdeutscher
und elsässischer Seite über schwere wirtschaftliche Störungen, Belästigungen durch
ungeschickte Beamte, Rückgang des Personenverkehrs der Eisenbahn u. s. w.
Die letztere Klage ist nicht unbegründet, sie kommt auch in den Einnahmen der
Reichsbahnen im Reichshaushalt-Etat für 1889/90 mit einer Mindereinnahme
von 400 000 M. zum Ausdruck. Allein der Umstand, daß die Paßvorschrift
erst am 1. Juni in Kraft getreten ist und die Eisenbahn ihren Voranschlag


Grenzboten IV. 1833. 37
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[0297] [Abbildung] Glsaß-Lothringen und die Paßverordnung. u Anfang des Sommers hat die deutsche Negierung an der reichs- ländischen Grenze die Paßvflicht eingeführt. Es geschah dies als eine Schutzmaßregel gegen die landesverrätherischen Umtriebe, von deren bedauerlichen Umfang die letzten Jahre so ernste Proben gebracht haben; ferner als Abwehrmaßregel gegen die französische Agitation, die sich im Lande mehr und mehr breit machte, endlich als Antwort auf die Gehässigkeiten und Feindseligkeiten gegen die Deutschen in Frankreich, um den Franzosen mit ihrer eigenen Münze heimzuzahlen. Es war notwendig ge¬ worden, sowohl den Franzosen und den in Frankreich lebenden Elsaß-Lothringern als auch der eigenen Bevölkerung im Reichslande zum vollen Bewußtsein zu bringen, daß die Grenze eben eine Grenze ist, und den Mißbrauch der nach¬ barlichen Verkehrserleichterung durch Vertiefung des Grenzgrabens wenn nicht zu verhindern, so doch möglichst zu erschweren. Die Maßregel, deren Bedeutung und Tragweite man wohl nicht sofort erkannte, rief — wie jede derartige Anordnung zu thun pflegt — namentlich im Anfange lebhafte Klagen hervor. Bemerkenswerther Weise viel weniger bei den eigentlich Betroffenen, den Franzosen, die allerdings nach ihrer Fremden¬ gesetzgebung und der von ihnen eingeführten Grenzkontrolle zu Beschwerden keinen Grund hatten, wohl aber Klagen, namentlich in der Presse, von altdeutscher und elsässischer Seite über schwere wirtschaftliche Störungen, Belästigungen durch ungeschickte Beamte, Rückgang des Personenverkehrs der Eisenbahn u. s. w. Die letztere Klage ist nicht unbegründet, sie kommt auch in den Einnahmen der Reichsbahnen im Reichshaushalt-Etat für 1889/90 mit einer Mindereinnahme von 400 000 M. zum Ausdruck. Allein der Umstand, daß die Paßvorschrift erst am 1. Juni in Kraft getreten ist und die Eisenbahn ihren Voranschlag Grenzboten IV. 1833. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/297>, abgerufen am 09.06.2024.