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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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"Llsaß-Lothringen und die Paßverordnung.

allerdings im Juni und Juli die Käufer zum Teil weggeblieben sein, die
um diese Jahreszeit beträchtliche Nachkäufe, namentlich in inzwischen fertig ge¬
wordenen Neuheiten vorzunehmen pflegen, und die nun diesmal ihren Bedarf in
französischen Fabriken gedeckt haben. Aber man darf wohl annehmen, daß dies
nur unter dem ersten Eindrucke der Paßborschrift geschehen ist. Die Vorzüg¬
lichkeit der oberelsässischen Fabrikation wird die Käufer schon wieder ins Land
ziehen. Der Handelsstand findet, auch in schwierigsten Lagen, doch immer die
für ihn billigsten und bequemsten Wege, und unsre oberelsässischen Industriellen,
die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges Blokadebrecher zu chartern
wußten, um ihre Baumwolle aus den blokirten südstaatlichen Häfen nach Havre
zu bekommen, werden sich auch mit dem Paßzwang einzurichten wissen.

Im Unter-Elsaß sind die Franzosen weit mehr Verkäufer als Käufer
gewesen, ihr Fernbleiben ist daher gerade vom wirtschaftlichen deutschen
Standpunkte um so erwünschter. Die meisten Bedürfnisse des Konsums können
auch von Deutschland her gedeckt werden, und wer aus besonderen Gründen
dennoch aus Frankreich kaufen will, wird darin durch den Paßzwang nicht ge¬
hindert. Auch in Straßburg und namentlich in den Vogesen-Sommerfrischen
ist das Ausbleiben französischer Gäste stark empfunden worden, aber daran
hatte der ungünstige Sommer einen mindestens ebenso großen Anteil wie das
Paßedikt. In der Schweiz waren ja bis zum Herbst hin die Gasthäuser gleich¬
falls leer, und die vom Elsaß ferngebliebenen Franzosen haben nicht einmal in
den Schweizer Sommerfrischen Ersatz gesucht. Als im Spätsommer das Wetter
sich besserte, hat es anch in den Straßburger Hotels viel Reisende nach der
Schweiz und Italien gegeben, ebenso wie die Vogesen-Gasthciuser Ersatz durch
deutsche und holländische Gäste gefunden haben. Allerdings wird es französirenden
Elsäfsern jetzt nicht mehr möglich sein, dort uuter dem Schutze der Franzosen
die Marseillaise zu singen und allerlei Ungebühr gegen vereinzelte deutsche
Touristen oder Familien zu unternehmen. Das ist vielleicht eine Beeinträch¬
tigung der "Gefühle", schmerlich aber eine solche des wirtschaftlichen Gedeihens.
Wohl aber ist zu wünschen, daß aus dem ganzen Vaterlande sich im nächsten
Sommer recht viele in die herrlichen Vogesenwälder aufmachen, von deren
landschaftlichen Reizen in Nord- und Süddeutschland leider viel zu wenig be¬
kannt ist. Vortreffliche Reisehandbücher weisen die Wege und geben nach jeder
Richtung ausreichend Rat. Hoffentlich entschließen sich die preußischen Staats¬
bahnen, auch die Vogesen den deutschen Gebirgen einzureihen, zu denen, wie nach
dem Schwarzwald, Thüringen, dem Harz und Riesengebirge, dem Publikum
der Zugang mit Vier- und Sechswochenbillets erleichtert wird. Gleichviel aus
welchen Gründen wir das Land wieder unser gemacht haben, denn je gründlicher
wir es von Frankreich trennen, desto mehr haben wir die Pflicht, für sein Ge¬
deihen zu sorgen.

Was uns im Elsaß entgegensteht, ist eine Mischung von allemanischem


Grenzvotcn IV. 1838. 38
«Llsaß-Lothringen und die Paßverordnung.

allerdings im Juni und Juli die Käufer zum Teil weggeblieben sein, die
um diese Jahreszeit beträchtliche Nachkäufe, namentlich in inzwischen fertig ge¬
wordenen Neuheiten vorzunehmen pflegen, und die nun diesmal ihren Bedarf in
französischen Fabriken gedeckt haben. Aber man darf wohl annehmen, daß dies
nur unter dem ersten Eindrucke der Paßborschrift geschehen ist. Die Vorzüg¬
lichkeit der oberelsässischen Fabrikation wird die Käufer schon wieder ins Land
ziehen. Der Handelsstand findet, auch in schwierigsten Lagen, doch immer die
für ihn billigsten und bequemsten Wege, und unsre oberelsässischen Industriellen,
die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges Blokadebrecher zu chartern
wußten, um ihre Baumwolle aus den blokirten südstaatlichen Häfen nach Havre
zu bekommen, werden sich auch mit dem Paßzwang einzurichten wissen.

Im Unter-Elsaß sind die Franzosen weit mehr Verkäufer als Käufer
gewesen, ihr Fernbleiben ist daher gerade vom wirtschaftlichen deutschen
Standpunkte um so erwünschter. Die meisten Bedürfnisse des Konsums können
auch von Deutschland her gedeckt werden, und wer aus besonderen Gründen
dennoch aus Frankreich kaufen will, wird darin durch den Paßzwang nicht ge¬
hindert. Auch in Straßburg und namentlich in den Vogesen-Sommerfrischen
ist das Ausbleiben französischer Gäste stark empfunden worden, aber daran
hatte der ungünstige Sommer einen mindestens ebenso großen Anteil wie das
Paßedikt. In der Schweiz waren ja bis zum Herbst hin die Gasthäuser gleich¬
falls leer, und die vom Elsaß ferngebliebenen Franzosen haben nicht einmal in
den Schweizer Sommerfrischen Ersatz gesucht. Als im Spätsommer das Wetter
sich besserte, hat es anch in den Straßburger Hotels viel Reisende nach der
Schweiz und Italien gegeben, ebenso wie die Vogesen-Gasthciuser Ersatz durch
deutsche und holländische Gäste gefunden haben. Allerdings wird es französirenden
Elsäfsern jetzt nicht mehr möglich sein, dort uuter dem Schutze der Franzosen
die Marseillaise zu singen und allerlei Ungebühr gegen vereinzelte deutsche
Touristen oder Familien zu unternehmen. Das ist vielleicht eine Beeinträch¬
tigung der „Gefühle", schmerlich aber eine solche des wirtschaftlichen Gedeihens.
Wohl aber ist zu wünschen, daß aus dem ganzen Vaterlande sich im nächsten
Sommer recht viele in die herrlichen Vogesenwälder aufmachen, von deren
landschaftlichen Reizen in Nord- und Süddeutschland leider viel zu wenig be¬
kannt ist. Vortreffliche Reisehandbücher weisen die Wege und geben nach jeder
Richtung ausreichend Rat. Hoffentlich entschließen sich die preußischen Staats¬
bahnen, auch die Vogesen den deutschen Gebirgen einzureihen, zu denen, wie nach
dem Schwarzwald, Thüringen, dem Harz und Riesengebirge, dem Publikum
der Zugang mit Vier- und Sechswochenbillets erleichtert wird. Gleichviel aus
welchen Gründen wir das Land wieder unser gemacht haben, denn je gründlicher
wir es von Frankreich trennen, desto mehr haben wir die Pflicht, für sein Ge¬
deihen zu sorgen.

Was uns im Elsaß entgegensteht, ist eine Mischung von allemanischem


Grenzvotcn IV. 1838. 38
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[0305] «Llsaß-Lothringen und die Paßverordnung. allerdings im Juni und Juli die Käufer zum Teil weggeblieben sein, die um diese Jahreszeit beträchtliche Nachkäufe, namentlich in inzwischen fertig ge¬ wordenen Neuheiten vorzunehmen pflegen, und die nun diesmal ihren Bedarf in französischen Fabriken gedeckt haben. Aber man darf wohl annehmen, daß dies nur unter dem ersten Eindrucke der Paßborschrift geschehen ist. Die Vorzüg¬ lichkeit der oberelsässischen Fabrikation wird die Käufer schon wieder ins Land ziehen. Der Handelsstand findet, auch in schwierigsten Lagen, doch immer die für ihn billigsten und bequemsten Wege, und unsre oberelsässischen Industriellen, die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges Blokadebrecher zu chartern wußten, um ihre Baumwolle aus den blokirten südstaatlichen Häfen nach Havre zu bekommen, werden sich auch mit dem Paßzwang einzurichten wissen. Im Unter-Elsaß sind die Franzosen weit mehr Verkäufer als Käufer gewesen, ihr Fernbleiben ist daher gerade vom wirtschaftlichen deutschen Standpunkte um so erwünschter. Die meisten Bedürfnisse des Konsums können auch von Deutschland her gedeckt werden, und wer aus besonderen Gründen dennoch aus Frankreich kaufen will, wird darin durch den Paßzwang nicht ge¬ hindert. Auch in Straßburg und namentlich in den Vogesen-Sommerfrischen ist das Ausbleiben französischer Gäste stark empfunden worden, aber daran hatte der ungünstige Sommer einen mindestens ebenso großen Anteil wie das Paßedikt. In der Schweiz waren ja bis zum Herbst hin die Gasthäuser gleich¬ falls leer, und die vom Elsaß ferngebliebenen Franzosen haben nicht einmal in den Schweizer Sommerfrischen Ersatz gesucht. Als im Spätsommer das Wetter sich besserte, hat es anch in den Straßburger Hotels viel Reisende nach der Schweiz und Italien gegeben, ebenso wie die Vogesen-Gasthciuser Ersatz durch deutsche und holländische Gäste gefunden haben. Allerdings wird es französirenden Elsäfsern jetzt nicht mehr möglich sein, dort uuter dem Schutze der Franzosen die Marseillaise zu singen und allerlei Ungebühr gegen vereinzelte deutsche Touristen oder Familien zu unternehmen. Das ist vielleicht eine Beeinträch¬ tigung der „Gefühle", schmerlich aber eine solche des wirtschaftlichen Gedeihens. Wohl aber ist zu wünschen, daß aus dem ganzen Vaterlande sich im nächsten Sommer recht viele in die herrlichen Vogesenwälder aufmachen, von deren landschaftlichen Reizen in Nord- und Süddeutschland leider viel zu wenig be¬ kannt ist. Vortreffliche Reisehandbücher weisen die Wege und geben nach jeder Richtung ausreichend Rat. Hoffentlich entschließen sich die preußischen Staats¬ bahnen, auch die Vogesen den deutschen Gebirgen einzureihen, zu denen, wie nach dem Schwarzwald, Thüringen, dem Harz und Riesengebirge, dem Publikum der Zugang mit Vier- und Sechswochenbillets erleichtert wird. Gleichviel aus welchen Gründen wir das Land wieder unser gemacht haben, denn je gründlicher wir es von Frankreich trennen, desto mehr haben wir die Pflicht, für sein Ge¬ deihen zu sorgen. Was uns im Elsaß entgegensteht, ist eine Mischung von allemanischem Grenzvotcn IV. 1838. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/305>, abgerufen am 16.06.2024.