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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Wirklichkeit und ihren Erscheinungsformen festgehalten, zu sehr mit der prak¬
tischen Ordnung des wirklichen Lebens beschäftigt, um sich in jene Höhen zu
schwingen, wohin nur gesammelte Kraft trägt, und sich darein zu versenken, wo
dem alles zu verschwimmen droht und vor den Augen schwindelt, dessen Auge
bisher immer ruhte an dem, was die Hände greifen können.

Am ernstesten, will mir scheinen, wird gesucht nach dem geeignetsten Aus¬
druck für unsre religiösen Wahrheiten und Erlebnisse. Die gegebenen Ver¬
körperungen dafür sind da, die Hauptereignisse des Lebens Jesu. Wir deuteten
die Schwierigkeiten an, die sich der Kunst zur Zeit bei der Verwendung derselben
entgegenstellen. Wir sehen, wie sie sich bemüht, für Jesus selbst einen, wie sie
hofft, treffenderen Typus, als den überlieferten, zu finden. Ohne Zweifel ein
vergebliches Bemühen. Denn die Religion ist konservativ in den Formen, so¬
lange irgend darin ihr Leben zum Ausdruck kommen kann. Und jene Künstler,
die an Stelle der harmonischen, einen höheren Frieden und eine über das
Menschlich-Individuelle erhobene Verklärung an sich tragenden Züge des über¬
kommenen Christusbildes einen hageren, abgezehrten, weltflüchtigen Mönchs¬
typus mit Anlage zum Fanatiker setzen wollen, werden nicht behaupten können,
daß der hergebrachte Christustypus wirklich zur Darstellung des in der Gestalt
Jesu für uns verkörperten Menschheitsideals oder aller jener menschlichen
Stimmungen, deren wir ihn fähig wissen und die wir in jener idealen Ab¬
klärung in ihm zum Ausdruck bringen möchten, ungeeignet sei. Für die religiöse
Andachtsstimmung, für welche Einzeldarstellungen aus dem Leben Jesu ein
nicht genügend konzentrirter Ausdruck schienen, hat das Mittelalter neben den
Bildern des Gekreuzigten die Darstellung der heiligen Familie ausgebildet.
In München sah man derer sieben neben nur einem Doos tiomo. Aber keines
dieser Bilder atmet Andacht. An ihrer keinem wird sich christliche Frömmigkeit
entzünden können. Die eigenartigsten, die mit dem tiefsten Ernst ersonnen sind,
verdanken wir G. Max und von Abbe. Wenn aber Max seine Madonna nur
als Altarbild, vor dem er brennende Kerzen und wächserne Weihgeschenke malt,
darzustellen wagt, so bekennt er damit, daß die Madonna, als dem Glauben
gegenwärtige Wirklichkeit, wie sie die alten katholischen Maler auffaßten, für
ihn nicht mehr faßbar ist, sondern nur als wund erwirkendes Bild. Und wenn
anderseits Abbe die Mutter Jesu nur als ein armes Bauernweib, also nicht
als Andachts-, sondern als Geschichtsbild, wenn auch nach seiner Art in
modernster Verkleidung, wiederzugeben vermag, so giebt er zu verstehen, daß
er. echt protestantisch, die Verkörperungen unsers religiösen Glaubens nur in der
Form der Geschichte zu fassen im stände ist. Beides giebt zu denken, wie
es seinerseits auf ernstem Denken beruht und keineswegs das leichte achselzuckende
Absprechen über Absonderlichkeiten verdient, das sich vor diesen beiden merk¬
würdigen und, wie mich dünkt, in ihrer Art tiefbedeutsamen Bildern dem rasch
Vorübergehenden nahe lead. So spiegelt unsre Kunst das ernste Suchen unsrer


Wirklichkeit und ihren Erscheinungsformen festgehalten, zu sehr mit der prak¬
tischen Ordnung des wirklichen Lebens beschäftigt, um sich in jene Höhen zu
schwingen, wohin nur gesammelte Kraft trägt, und sich darein zu versenken, wo
dem alles zu verschwimmen droht und vor den Augen schwindelt, dessen Auge
bisher immer ruhte an dem, was die Hände greifen können.

Am ernstesten, will mir scheinen, wird gesucht nach dem geeignetsten Aus¬
druck für unsre religiösen Wahrheiten und Erlebnisse. Die gegebenen Ver¬
körperungen dafür sind da, die Hauptereignisse des Lebens Jesu. Wir deuteten
die Schwierigkeiten an, die sich der Kunst zur Zeit bei der Verwendung derselben
entgegenstellen. Wir sehen, wie sie sich bemüht, für Jesus selbst einen, wie sie
hofft, treffenderen Typus, als den überlieferten, zu finden. Ohne Zweifel ein
vergebliches Bemühen. Denn die Religion ist konservativ in den Formen, so¬
lange irgend darin ihr Leben zum Ausdruck kommen kann. Und jene Künstler,
die an Stelle der harmonischen, einen höheren Frieden und eine über das
Menschlich-Individuelle erhobene Verklärung an sich tragenden Züge des über¬
kommenen Christusbildes einen hageren, abgezehrten, weltflüchtigen Mönchs¬
typus mit Anlage zum Fanatiker setzen wollen, werden nicht behaupten können,
daß der hergebrachte Christustypus wirklich zur Darstellung des in der Gestalt
Jesu für uns verkörperten Menschheitsideals oder aller jener menschlichen
Stimmungen, deren wir ihn fähig wissen und die wir in jener idealen Ab¬
klärung in ihm zum Ausdruck bringen möchten, ungeeignet sei. Für die religiöse
Andachtsstimmung, für welche Einzeldarstellungen aus dem Leben Jesu ein
nicht genügend konzentrirter Ausdruck schienen, hat das Mittelalter neben den
Bildern des Gekreuzigten die Darstellung der heiligen Familie ausgebildet.
In München sah man derer sieben neben nur einem Doos tiomo. Aber keines
dieser Bilder atmet Andacht. An ihrer keinem wird sich christliche Frömmigkeit
entzünden können. Die eigenartigsten, die mit dem tiefsten Ernst ersonnen sind,
verdanken wir G. Max und von Abbe. Wenn aber Max seine Madonna nur
als Altarbild, vor dem er brennende Kerzen und wächserne Weihgeschenke malt,
darzustellen wagt, so bekennt er damit, daß die Madonna, als dem Glauben
gegenwärtige Wirklichkeit, wie sie die alten katholischen Maler auffaßten, für
ihn nicht mehr faßbar ist, sondern nur als wund erwirkendes Bild. Und wenn
anderseits Abbe die Mutter Jesu nur als ein armes Bauernweib, also nicht
als Andachts-, sondern als Geschichtsbild, wenn auch nach seiner Art in
modernster Verkleidung, wiederzugeben vermag, so giebt er zu verstehen, daß
er. echt protestantisch, die Verkörperungen unsers religiösen Glaubens nur in der
Form der Geschichte zu fassen im stände ist. Beides giebt zu denken, wie
es seinerseits auf ernstem Denken beruht und keineswegs das leichte achselzuckende
Absprechen über Absonderlichkeiten verdient, das sich vor diesen beiden merk¬
würdigen und, wie mich dünkt, in ihrer Art tiefbedeutsamen Bildern dem rasch
Vorübergehenden nahe lead. So spiegelt unsre Kunst das ernste Suchen unsrer


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[0573] Wirklichkeit und ihren Erscheinungsformen festgehalten, zu sehr mit der prak¬ tischen Ordnung des wirklichen Lebens beschäftigt, um sich in jene Höhen zu schwingen, wohin nur gesammelte Kraft trägt, und sich darein zu versenken, wo dem alles zu verschwimmen droht und vor den Augen schwindelt, dessen Auge bisher immer ruhte an dem, was die Hände greifen können. Am ernstesten, will mir scheinen, wird gesucht nach dem geeignetsten Aus¬ druck für unsre religiösen Wahrheiten und Erlebnisse. Die gegebenen Ver¬ körperungen dafür sind da, die Hauptereignisse des Lebens Jesu. Wir deuteten die Schwierigkeiten an, die sich der Kunst zur Zeit bei der Verwendung derselben entgegenstellen. Wir sehen, wie sie sich bemüht, für Jesus selbst einen, wie sie hofft, treffenderen Typus, als den überlieferten, zu finden. Ohne Zweifel ein vergebliches Bemühen. Denn die Religion ist konservativ in den Formen, so¬ lange irgend darin ihr Leben zum Ausdruck kommen kann. Und jene Künstler, die an Stelle der harmonischen, einen höheren Frieden und eine über das Menschlich-Individuelle erhobene Verklärung an sich tragenden Züge des über¬ kommenen Christusbildes einen hageren, abgezehrten, weltflüchtigen Mönchs¬ typus mit Anlage zum Fanatiker setzen wollen, werden nicht behaupten können, daß der hergebrachte Christustypus wirklich zur Darstellung des in der Gestalt Jesu für uns verkörperten Menschheitsideals oder aller jener menschlichen Stimmungen, deren wir ihn fähig wissen und die wir in jener idealen Ab¬ klärung in ihm zum Ausdruck bringen möchten, ungeeignet sei. Für die religiöse Andachtsstimmung, für welche Einzeldarstellungen aus dem Leben Jesu ein nicht genügend konzentrirter Ausdruck schienen, hat das Mittelalter neben den Bildern des Gekreuzigten die Darstellung der heiligen Familie ausgebildet. In München sah man derer sieben neben nur einem Doos tiomo. Aber keines dieser Bilder atmet Andacht. An ihrer keinem wird sich christliche Frömmigkeit entzünden können. Die eigenartigsten, die mit dem tiefsten Ernst ersonnen sind, verdanken wir G. Max und von Abbe. Wenn aber Max seine Madonna nur als Altarbild, vor dem er brennende Kerzen und wächserne Weihgeschenke malt, darzustellen wagt, so bekennt er damit, daß die Madonna, als dem Glauben gegenwärtige Wirklichkeit, wie sie die alten katholischen Maler auffaßten, für ihn nicht mehr faßbar ist, sondern nur als wund erwirkendes Bild. Und wenn anderseits Abbe die Mutter Jesu nur als ein armes Bauernweib, also nicht als Andachts-, sondern als Geschichtsbild, wenn auch nach seiner Art in modernster Verkleidung, wiederzugeben vermag, so giebt er zu verstehen, daß er. echt protestantisch, die Verkörperungen unsers religiösen Glaubens nur in der Form der Geschichte zu fassen im stände ist. Beides giebt zu denken, wie es seinerseits auf ernstem Denken beruht und keineswegs das leichte achselzuckende Absprechen über Absonderlichkeiten verdient, das sich vor diesen beiden merk¬ würdigen und, wie mich dünkt, in ihrer Art tiefbedeutsamen Bildern dem rasch Vorübergehenden nahe lead. So spiegelt unsre Kunst das ernste Suchen unsrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/573>, abgerufen am 24.05.2024.