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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit
Kaiser Friedrichs.

is Kaiser Wilhelm der Erste noch auf der Bahre lag, ließen
bereits die Nachtvögel aller Art ihre krächzenden Stimmen hören.
So schrieb das Bairische Vaterland: "Wir glauben, daß der Augen¬
blick nahe ist, wo gewisse deutsche Bundesstaaten ihre ehemalige
Selbständigkeit wieder gewinnen werden." Wie wollte man es
da den Pariser Blättern verargen, wenn sie bereits ein Wiedererwachen des
Partikularismus sahen und die Hoffnung hegten, unter Kaiser Friedrich, der
selbst ein Gegner der Abtrennung von Elsaß-Lothringen von Frankreich gewesen
sei, werde die Wiedergewinnung bald und leicht vor sich gehen!

Es wäre merkwürdig gewesen, wenn sich in diesem Chorus nicht gleich von
Anfang an auch die Stimme des "Fortschritts" bemerklich gemacht hätte. Und
richtig, die Volkszeitung fing gleich in derselben Nummer, in der sie den Tod
des Kaisers meldete, im zweiten Blatte zu kreischen an. Puttkamer hatte als
Vizepräsident des Ministeriums die Mitteilung an den preußischen Landtag
über den Tod des Kaisers gemacht, worin er am Schlüsse sagte, daß, je tiefer
der allgemeine Schmerz über den Hintritt des unvergeßlichen Königs sei, umso
fester und unzerreißbarer sich das Band erweisen werde, welches Preußens
Herrscherhaus und Preußens Volk in guten und bösen Tagen verbinde. Bei
den letzten Worten konnte kein wohlmeinender Hörer an etwas andres denken
als an den neuen Herrn und König Friedrich. Aber mag es immerhin ein
Versehen gewesen sein, daß der Minister das vivs 1s roi nicht ausdrücklich aus¬
sprach, so war das Versehen verständlich genug bei einem Redner, der vom
tiefsten Schmerz über den Hingang dessen erfüllt war, der in Wahrheit der


Grenzboten III. 1338. 13


Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit
Kaiser Friedrichs.

is Kaiser Wilhelm der Erste noch auf der Bahre lag, ließen
bereits die Nachtvögel aller Art ihre krächzenden Stimmen hören.
So schrieb das Bairische Vaterland: „Wir glauben, daß der Augen¬
blick nahe ist, wo gewisse deutsche Bundesstaaten ihre ehemalige
Selbständigkeit wieder gewinnen werden." Wie wollte man es
da den Pariser Blättern verargen, wenn sie bereits ein Wiedererwachen des
Partikularismus sahen und die Hoffnung hegten, unter Kaiser Friedrich, der
selbst ein Gegner der Abtrennung von Elsaß-Lothringen von Frankreich gewesen
sei, werde die Wiedergewinnung bald und leicht vor sich gehen!

Es wäre merkwürdig gewesen, wenn sich in diesem Chorus nicht gleich von
Anfang an auch die Stimme des „Fortschritts" bemerklich gemacht hätte. Und
richtig, die Volkszeitung fing gleich in derselben Nummer, in der sie den Tod
des Kaisers meldete, im zweiten Blatte zu kreischen an. Puttkamer hatte als
Vizepräsident des Ministeriums die Mitteilung an den preußischen Landtag
über den Tod des Kaisers gemacht, worin er am Schlüsse sagte, daß, je tiefer
der allgemeine Schmerz über den Hintritt des unvergeßlichen Königs sei, umso
fester und unzerreißbarer sich das Band erweisen werde, welches Preußens
Herrscherhaus und Preußens Volk in guten und bösen Tagen verbinde. Bei
den letzten Worten konnte kein wohlmeinender Hörer an etwas andres denken
als an den neuen Herrn und König Friedrich. Aber mag es immerhin ein
Versehen gewesen sein, daß der Minister das vivs 1s roi nicht ausdrücklich aus¬
sprach, so war das Versehen verständlich genug bei einem Redner, der vom
tiefsten Schmerz über den Hingang dessen erfüllt war, der in Wahrheit der


Grenzboten III. 1338. 13
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[0105] [Abbildung] Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs. is Kaiser Wilhelm der Erste noch auf der Bahre lag, ließen bereits die Nachtvögel aller Art ihre krächzenden Stimmen hören. So schrieb das Bairische Vaterland: „Wir glauben, daß der Augen¬ blick nahe ist, wo gewisse deutsche Bundesstaaten ihre ehemalige Selbständigkeit wieder gewinnen werden." Wie wollte man es da den Pariser Blättern verargen, wenn sie bereits ein Wiedererwachen des Partikularismus sahen und die Hoffnung hegten, unter Kaiser Friedrich, der selbst ein Gegner der Abtrennung von Elsaß-Lothringen von Frankreich gewesen sei, werde die Wiedergewinnung bald und leicht vor sich gehen! Es wäre merkwürdig gewesen, wenn sich in diesem Chorus nicht gleich von Anfang an auch die Stimme des „Fortschritts" bemerklich gemacht hätte. Und richtig, die Volkszeitung fing gleich in derselben Nummer, in der sie den Tod des Kaisers meldete, im zweiten Blatte zu kreischen an. Puttkamer hatte als Vizepräsident des Ministeriums die Mitteilung an den preußischen Landtag über den Tod des Kaisers gemacht, worin er am Schlüsse sagte, daß, je tiefer der allgemeine Schmerz über den Hintritt des unvergeßlichen Königs sei, umso fester und unzerreißbarer sich das Band erweisen werde, welches Preußens Herrscherhaus und Preußens Volk in guten und bösen Tagen verbinde. Bei den letzten Worten konnte kein wohlmeinender Hörer an etwas andres denken als an den neuen Herrn und König Friedrich. Aber mag es immerhin ein Versehen gewesen sein, daß der Minister das vivs 1s roi nicht ausdrücklich aus¬ sprach, so war das Versehen verständlich genug bei einem Redner, der vom tiefsten Schmerz über den Hingang dessen erfüllt war, der in Wahrheit der Grenzboten III. 1338. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/105>, abgerufen am 26.05.2024.