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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die ventschfreisinnigen während der Regienmgszeit Aaiser Friedrichs.

Vater des Vaterlandes gewesen war. Diesen Grund konnten freilich die nicht
verstehen, denen die Abschiedsstunde des großen Kaisers keine Trauerstunde ge¬
wesen war. Sofort klagten die Liberale Korrespondenz und die Volkszeitung
Puttkamer an, daß er die Pflicht verletzt habe, die "monarchische Tradition vor
dem Lande und vor Europa anzuerkennen." Es war, als ob sich die deutsche
Welt plötzlich auf den Kopf gestellt hätte, die Minister Republikaner und die
Demokraten Königsverteidiger geworden wären! Es sollte "peinliches Aufsehen
im Abgeordnetenhause erregt haben, den Übergang der Krone Preußens auf den
bisherigen Kronprinzen Friedrich nicht zu erwähnen." Das peinliche Aufsehen
fand sich nur bei den Herren Fortschrittlern, die Stoff zu einer Demonstration
gesucht hatten. Derselbe Artikel erzählte denn auch: "In Abgeordnetenkreisen
^d. h. bei den Deutschfreisinnigen) wurde sofort die Frage aufgeworfen, was zu
thun sei, wenn etwa im Reichstage in gleicher Weise verfahren werden sollte.
Für diesen Fall war die Rede davon, ein Hoch auf Kaiser Friedrich III. aus¬
zubringen." Der Reichskanzler that ihnen nun freilich nicht den Gefallen, der
das Hoch ermöglicht hätte, man sah aber, wie selbst der Heimgang des großen
Kaisers von diesen Patrioten vorwiegend unter dem Gesichtspunkte des Partei¬
interesses betrachtet wurde. Niemand konnte es freilich anders von ihnen er¬
warten, der die Geschichte dieser Partei kennt. Nimmt doch nach dem oft
wiederholten Urteil der fortschrittlichen Blätter das deutsche Reich "den niedrigsten
sittlichen und freiheitlichen Stand unter den zivilisirten Nationen" ein. Eine
dieser zivilisirten Nationen, Italien, erklärte durch die Sprache der das Freiheits¬
banner, aber auch die patriotische Fahne hoch haltenden Ritoring, beim Tode
Kaiser Wilhelms: "Das durch die Hohenzollern geeinigte Deutschland und das
durch das Haus von Savoyen geeinigte Italien vertreten in der Welt die
Freiheit des Geistes und die Unabhängigkeit der Nationen. Daher müssen beide
über den Tod Kaiser Wilhelms zusammen weinen und zusammen ruhig der
Zukunft entgegengehen."

Wie die Fortschrittler bei uns der Zukunft entgegenzugehen gedachten, davon
bekam man einen Begriff, wenn man sich die Folgerungen ansah, die sie aus
dem ersten Erlaß Kaiser Friedrichs zogen, dem Erlaß aus San Remo: "Hin¬
sichtlich der bisher üblich gewesenen Landestrauer wollen Wir keine Bestimmungen
treffen, vielmehr es einem jeden Deutschen selbst überlassen" u. s. w. Dazu
sagte die Volkszeitung: "Dieses erste Wort Kaiser Friedrichs an sein Volk ist
ganz dazu angethan, freudige Genugthuung und Hoffnung zu erwecken; denn
der neue Kaiser bricht dadurch mit einem alten Brauche, von dem der Bruch
mehr ehrt als die Gewöhnung." Sie sieht den neuen Kaiser mit ähnlichen
Vorsätzen die Regierung antreten wie Kaiser Josef den Zweiten. Die Berliner
Zeitung schrieb sogar: "Wir mußten diesen Passus ftaß es jedem überlassen
bleibe, seiner Betrübnis nach seiner Weise einen passenden Ausdruck zu geben)
drei, vier, fünf mal lesen, ehe wir es erfaßten, daß noch je einmal irgend etwas


Die ventschfreisinnigen während der Regienmgszeit Aaiser Friedrichs.

Vater des Vaterlandes gewesen war. Diesen Grund konnten freilich die nicht
verstehen, denen die Abschiedsstunde des großen Kaisers keine Trauerstunde ge¬
wesen war. Sofort klagten die Liberale Korrespondenz und die Volkszeitung
Puttkamer an, daß er die Pflicht verletzt habe, die „monarchische Tradition vor
dem Lande und vor Europa anzuerkennen." Es war, als ob sich die deutsche
Welt plötzlich auf den Kopf gestellt hätte, die Minister Republikaner und die
Demokraten Königsverteidiger geworden wären! Es sollte „peinliches Aufsehen
im Abgeordnetenhause erregt haben, den Übergang der Krone Preußens auf den
bisherigen Kronprinzen Friedrich nicht zu erwähnen." Das peinliche Aufsehen
fand sich nur bei den Herren Fortschrittlern, die Stoff zu einer Demonstration
gesucht hatten. Derselbe Artikel erzählte denn auch: „In Abgeordnetenkreisen
^d. h. bei den Deutschfreisinnigen) wurde sofort die Frage aufgeworfen, was zu
thun sei, wenn etwa im Reichstage in gleicher Weise verfahren werden sollte.
Für diesen Fall war die Rede davon, ein Hoch auf Kaiser Friedrich III. aus¬
zubringen." Der Reichskanzler that ihnen nun freilich nicht den Gefallen, der
das Hoch ermöglicht hätte, man sah aber, wie selbst der Heimgang des großen
Kaisers von diesen Patrioten vorwiegend unter dem Gesichtspunkte des Partei¬
interesses betrachtet wurde. Niemand konnte es freilich anders von ihnen er¬
warten, der die Geschichte dieser Partei kennt. Nimmt doch nach dem oft
wiederholten Urteil der fortschrittlichen Blätter das deutsche Reich „den niedrigsten
sittlichen und freiheitlichen Stand unter den zivilisirten Nationen" ein. Eine
dieser zivilisirten Nationen, Italien, erklärte durch die Sprache der das Freiheits¬
banner, aber auch die patriotische Fahne hoch haltenden Ritoring, beim Tode
Kaiser Wilhelms: „Das durch die Hohenzollern geeinigte Deutschland und das
durch das Haus von Savoyen geeinigte Italien vertreten in der Welt die
Freiheit des Geistes und die Unabhängigkeit der Nationen. Daher müssen beide
über den Tod Kaiser Wilhelms zusammen weinen und zusammen ruhig der
Zukunft entgegengehen."

Wie die Fortschrittler bei uns der Zukunft entgegenzugehen gedachten, davon
bekam man einen Begriff, wenn man sich die Folgerungen ansah, die sie aus
dem ersten Erlaß Kaiser Friedrichs zogen, dem Erlaß aus San Remo: „Hin¬
sichtlich der bisher üblich gewesenen Landestrauer wollen Wir keine Bestimmungen
treffen, vielmehr es einem jeden Deutschen selbst überlassen" u. s. w. Dazu
sagte die Volkszeitung: „Dieses erste Wort Kaiser Friedrichs an sein Volk ist
ganz dazu angethan, freudige Genugthuung und Hoffnung zu erwecken; denn
der neue Kaiser bricht dadurch mit einem alten Brauche, von dem der Bruch
mehr ehrt als die Gewöhnung." Sie sieht den neuen Kaiser mit ähnlichen
Vorsätzen die Regierung antreten wie Kaiser Josef den Zweiten. Die Berliner
Zeitung schrieb sogar: „Wir mußten diesen Passus ftaß es jedem überlassen
bleibe, seiner Betrübnis nach seiner Weise einen passenden Ausdruck zu geben)
drei, vier, fünf mal lesen, ehe wir es erfaßten, daß noch je einmal irgend etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/106>, abgerufen am 17.06.2024.