Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne.

zu schaffen, eine Sehnsucht, wenigstens einen Teil seines Ichs durch die Arbeit
befreit zu sehen, und ganze Tage lang kann sich sein Wesen gehoben fühlen
durch frohe, titanische Anstrengungen, den Thon zusammenzufahren, aus dem
er seinen Adam bilden will; aber es gelingt ihm nie, ihn nach seinem Bilde
zu schaffen; er hat nicht Ausdauer genug, um die Selbstkonzentrirung, die hierzu
erforderlich ist, aufrecht zu erhalten. Er trägt sich wochenlang mit dem Ge¬
danken umher, die Arbeit aufzugeben, und schließlich giebt er sie wirklich auf
und fragt sich gereizt, weshalb er sie denn auch fortsetzen solle, was er denn
im Grunde dabei gewinnen könne? Er hat das Glück der Empfängnis ge¬
nossen, die Beschwerden des Großziehens stehen ihm noch bevor, dies Hegen und
nähren, dies bis zur Vollendung in sich Herumtragen. Und wozu? für wen?
Er ist kein Pelikan, sagt er sich selber. Aber er mag nun sagen, was er will,
er ist doch unbefriedigt und fühlt, daß er sich nicht den Forderungen gegenüber,
die er an sich selber stellen muß, verantworten kann, und es hilft ihm nichts,
daß er mit diesen Forderungen ins Gericht geht und sich bemüht, die Berech¬
tigung der Ansprüche an ihn in Zweifel zu ziehen. Er sieht sich vor eine
Wahl gestellt, und er muß wählen; denn das ist ja nun einmal so, daß, wenn
die erste Jugend vorüber ist, früher oder später, je nachdem der Naturboden
in einem Menschen ein früher oder ein später ist, daß dann ein Tag herein¬
bricht, wo der Verzicht wie ein Versucher an uns herantritt und uns dazu
verleiten will, dem Unmöglichen Lebewohl zu sagen und uns zu begnügen. Und
solche Resignation hat so viel für sich; denn wie oft sind nicht die idealen
Forderungen der Jugend zurückgewiesen, ihre Begeisterung beschämt und ihre
Hoffnung vernichtet worden! Die Ideale, die lichten, lieblichen, haben zwar
noch nichts von ihrem Glanz eingebüßt, aber sie weilen nicht mehr auf der
Erde milde" unter uns wie in den ersten Tagen unsrer Jugend; auf der breit
angelegten Treppe der Weltklugheit sind sie Stufe um Stufe zurückgeführt
worden in den Himmel, aus welchem unser einfältiger Glaube sie herunter¬
geholt hatte, und dort sitzen sie, strahlend aber fern, lächelnd aber müde in
göttlicher Unthätigkeit, während der Weihrauch einer thatenloser Anbetung in
festlichen Windungen zu ihrem Throne aufwirbelt.

Ricks Lyhne war müde; diese eifrigen Anläufe zu einem Sprunge, der
niemals ausgeführt wurde, hatten ihn ermattet. Alles war ihm hohl und
wertlos geworden, verdreht und verwirrt und auch so kleinlich; es schien ihm
so natürlich, seine Ohren und seinen Mund zu verstopfen und sich in Studien
zu versenken, die nichts mit dem Staube der Erde zu schaffen hatten, die ab¬
gesondert für sich selber waren, gleich einer stillen Meerestiefe mit friedlichen
Tangwäldern und merkwürdigem Getier.

Er war müde, und um die vernichteten Liebeshoffnungen schlangen sich die
Wurzeln dieser Müdigkeit; von dort aus hatte sie sich schnell und sicher seinem
ganzen Wesen mitgeteilt, hatte sie alle Fähigkeiten, alle seine Gedanken ergriffen.


Ricks Lyhne.

zu schaffen, eine Sehnsucht, wenigstens einen Teil seines Ichs durch die Arbeit
befreit zu sehen, und ganze Tage lang kann sich sein Wesen gehoben fühlen
durch frohe, titanische Anstrengungen, den Thon zusammenzufahren, aus dem
er seinen Adam bilden will; aber es gelingt ihm nie, ihn nach seinem Bilde
zu schaffen; er hat nicht Ausdauer genug, um die Selbstkonzentrirung, die hierzu
erforderlich ist, aufrecht zu erhalten. Er trägt sich wochenlang mit dem Ge¬
danken umher, die Arbeit aufzugeben, und schließlich giebt er sie wirklich auf
und fragt sich gereizt, weshalb er sie denn auch fortsetzen solle, was er denn
im Grunde dabei gewinnen könne? Er hat das Glück der Empfängnis ge¬
nossen, die Beschwerden des Großziehens stehen ihm noch bevor, dies Hegen und
nähren, dies bis zur Vollendung in sich Herumtragen. Und wozu? für wen?
Er ist kein Pelikan, sagt er sich selber. Aber er mag nun sagen, was er will,
er ist doch unbefriedigt und fühlt, daß er sich nicht den Forderungen gegenüber,
die er an sich selber stellen muß, verantworten kann, und es hilft ihm nichts,
daß er mit diesen Forderungen ins Gericht geht und sich bemüht, die Berech¬
tigung der Ansprüche an ihn in Zweifel zu ziehen. Er sieht sich vor eine
Wahl gestellt, und er muß wählen; denn das ist ja nun einmal so, daß, wenn
die erste Jugend vorüber ist, früher oder später, je nachdem der Naturboden
in einem Menschen ein früher oder ein später ist, daß dann ein Tag herein¬
bricht, wo der Verzicht wie ein Versucher an uns herantritt und uns dazu
verleiten will, dem Unmöglichen Lebewohl zu sagen und uns zu begnügen. Und
solche Resignation hat so viel für sich; denn wie oft sind nicht die idealen
Forderungen der Jugend zurückgewiesen, ihre Begeisterung beschämt und ihre
Hoffnung vernichtet worden! Die Ideale, die lichten, lieblichen, haben zwar
noch nichts von ihrem Glanz eingebüßt, aber sie weilen nicht mehr auf der
Erde milde» unter uns wie in den ersten Tagen unsrer Jugend; auf der breit
angelegten Treppe der Weltklugheit sind sie Stufe um Stufe zurückgeführt
worden in den Himmel, aus welchem unser einfältiger Glaube sie herunter¬
geholt hatte, und dort sitzen sie, strahlend aber fern, lächelnd aber müde in
göttlicher Unthätigkeit, während der Weihrauch einer thatenloser Anbetung in
festlichen Windungen zu ihrem Throne aufwirbelt.

Ricks Lyhne war müde; diese eifrigen Anläufe zu einem Sprunge, der
niemals ausgeführt wurde, hatten ihn ermattet. Alles war ihm hohl und
wertlos geworden, verdreht und verwirrt und auch so kleinlich; es schien ihm
so natürlich, seine Ohren und seinen Mund zu verstopfen und sich in Studien
zu versenken, die nichts mit dem Staube der Erde zu schaffen hatten, die ab¬
gesondert für sich selber waren, gleich einer stillen Meerestiefe mit friedlichen
Tangwäldern und merkwürdigem Getier.

Er war müde, und um die vernichteten Liebeshoffnungen schlangen sich die
Wurzeln dieser Müdigkeit; von dort aus hatte sie sich schnell und sicher seinem
ganzen Wesen mitgeteilt, hatte sie alle Fähigkeiten, alle seine Gedanken ergriffen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289402"/>
          <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_913" prev="#ID_912"> zu schaffen, eine Sehnsucht, wenigstens einen Teil seines Ichs durch die Arbeit<lb/>
befreit zu sehen, und ganze Tage lang kann sich sein Wesen gehoben fühlen<lb/>
durch frohe, titanische Anstrengungen, den Thon zusammenzufahren, aus dem<lb/>
er seinen Adam bilden will; aber es gelingt ihm nie, ihn nach seinem Bilde<lb/>
zu schaffen; er hat nicht Ausdauer genug, um die Selbstkonzentrirung, die hierzu<lb/>
erforderlich ist, aufrecht zu erhalten. Er trägt sich wochenlang mit dem Ge¬<lb/>
danken umher, die Arbeit aufzugeben, und schließlich giebt er sie wirklich auf<lb/>
und fragt sich gereizt, weshalb er sie denn auch fortsetzen solle, was er denn<lb/>
im Grunde dabei gewinnen könne? Er hat das Glück der Empfängnis ge¬<lb/>
nossen, die Beschwerden des Großziehens stehen ihm noch bevor, dies Hegen und<lb/>
nähren, dies bis zur Vollendung in sich Herumtragen. Und wozu? für wen?<lb/>
Er ist kein Pelikan, sagt er sich selber. Aber er mag nun sagen, was er will,<lb/>
er ist doch unbefriedigt und fühlt, daß er sich nicht den Forderungen gegenüber,<lb/>
die er an sich selber stellen muß, verantworten kann, und es hilft ihm nichts,<lb/>
daß er mit diesen Forderungen ins Gericht geht und sich bemüht, die Berech¬<lb/>
tigung der Ansprüche an ihn in Zweifel zu ziehen. Er sieht sich vor eine<lb/>
Wahl gestellt, und er muß wählen; denn das ist ja nun einmal so, daß, wenn<lb/>
die erste Jugend vorüber ist, früher oder später, je nachdem der Naturboden<lb/>
in einem Menschen ein früher oder ein später ist, daß dann ein Tag herein¬<lb/>
bricht, wo der Verzicht wie ein Versucher an uns herantritt und uns dazu<lb/>
verleiten will, dem Unmöglichen Lebewohl zu sagen und uns zu begnügen. Und<lb/>
solche Resignation hat so viel für sich; denn wie oft sind nicht die idealen<lb/>
Forderungen der Jugend zurückgewiesen, ihre Begeisterung beschämt und ihre<lb/>
Hoffnung vernichtet worden! Die Ideale, die lichten, lieblichen, haben zwar<lb/>
noch nichts von ihrem Glanz eingebüßt, aber sie weilen nicht mehr auf der<lb/>
Erde milde» unter uns wie in den ersten Tagen unsrer Jugend; auf der breit<lb/>
angelegten Treppe der Weltklugheit sind sie Stufe um Stufe zurückgeführt<lb/>
worden in den Himmel, aus welchem unser einfältiger Glaube sie herunter¬<lb/>
geholt hatte, und dort sitzen sie, strahlend aber fern, lächelnd aber müde in<lb/>
göttlicher Unthätigkeit, während der Weihrauch einer thatenloser Anbetung in<lb/>
festlichen Windungen zu ihrem Throne aufwirbelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_914"> Ricks Lyhne war müde; diese eifrigen Anläufe zu einem Sprunge, der<lb/>
niemals ausgeführt wurde, hatten ihn ermattet. Alles war ihm hohl und<lb/>
wertlos geworden, verdreht und verwirrt und auch so kleinlich; es schien ihm<lb/>
so natürlich, seine Ohren und seinen Mund zu verstopfen und sich in Studien<lb/>
zu versenken, die nichts mit dem Staube der Erde zu schaffen hatten, die ab¬<lb/>
gesondert für sich selber waren, gleich einer stillen Meerestiefe mit friedlichen<lb/>
Tangwäldern und merkwürdigem Getier.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_915" next="#ID_916"> Er war müde, und um die vernichteten Liebeshoffnungen schlangen sich die<lb/>
Wurzeln dieser Müdigkeit; von dort aus hatte sie sich schnell und sicher seinem<lb/>
ganzen Wesen mitgeteilt, hatte sie alle Fähigkeiten, alle seine Gedanken ergriffen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] Ricks Lyhne. zu schaffen, eine Sehnsucht, wenigstens einen Teil seines Ichs durch die Arbeit befreit zu sehen, und ganze Tage lang kann sich sein Wesen gehoben fühlen durch frohe, titanische Anstrengungen, den Thon zusammenzufahren, aus dem er seinen Adam bilden will; aber es gelingt ihm nie, ihn nach seinem Bilde zu schaffen; er hat nicht Ausdauer genug, um die Selbstkonzentrirung, die hierzu erforderlich ist, aufrecht zu erhalten. Er trägt sich wochenlang mit dem Ge¬ danken umher, die Arbeit aufzugeben, und schließlich giebt er sie wirklich auf und fragt sich gereizt, weshalb er sie denn auch fortsetzen solle, was er denn im Grunde dabei gewinnen könne? Er hat das Glück der Empfängnis ge¬ nossen, die Beschwerden des Großziehens stehen ihm noch bevor, dies Hegen und nähren, dies bis zur Vollendung in sich Herumtragen. Und wozu? für wen? Er ist kein Pelikan, sagt er sich selber. Aber er mag nun sagen, was er will, er ist doch unbefriedigt und fühlt, daß er sich nicht den Forderungen gegenüber, die er an sich selber stellen muß, verantworten kann, und es hilft ihm nichts, daß er mit diesen Forderungen ins Gericht geht und sich bemüht, die Berech¬ tigung der Ansprüche an ihn in Zweifel zu ziehen. Er sieht sich vor eine Wahl gestellt, und er muß wählen; denn das ist ja nun einmal so, daß, wenn die erste Jugend vorüber ist, früher oder später, je nachdem der Naturboden in einem Menschen ein früher oder ein später ist, daß dann ein Tag herein¬ bricht, wo der Verzicht wie ein Versucher an uns herantritt und uns dazu verleiten will, dem Unmöglichen Lebewohl zu sagen und uns zu begnügen. Und solche Resignation hat so viel für sich; denn wie oft sind nicht die idealen Forderungen der Jugend zurückgewiesen, ihre Begeisterung beschämt und ihre Hoffnung vernichtet worden! Die Ideale, die lichten, lieblichen, haben zwar noch nichts von ihrem Glanz eingebüßt, aber sie weilen nicht mehr auf der Erde milde» unter uns wie in den ersten Tagen unsrer Jugend; auf der breit angelegten Treppe der Weltklugheit sind sie Stufe um Stufe zurückgeführt worden in den Himmel, aus welchem unser einfältiger Glaube sie herunter¬ geholt hatte, und dort sitzen sie, strahlend aber fern, lächelnd aber müde in göttlicher Unthätigkeit, während der Weihrauch einer thatenloser Anbetung in festlichen Windungen zu ihrem Throne aufwirbelt. Ricks Lyhne war müde; diese eifrigen Anläufe zu einem Sprunge, der niemals ausgeführt wurde, hatten ihn ermattet. Alles war ihm hohl und wertlos geworden, verdreht und verwirrt und auch so kleinlich; es schien ihm so natürlich, seine Ohren und seinen Mund zu verstopfen und sich in Studien zu versenken, die nichts mit dem Staube der Erde zu schaffen hatten, die ab¬ gesondert für sich selber waren, gleich einer stillen Meerestiefe mit friedlichen Tangwäldern und merkwürdigem Getier. Er war müde, und um die vernichteten Liebeshoffnungen schlangen sich die Wurzeln dieser Müdigkeit; von dort aus hatte sie sich schnell und sicher seinem ganzen Wesen mitgeteilt, hatte sie alle Fähigkeiten, alle seine Gedanken ergriffen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/279>, abgerufen am 24.05.2024.