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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Jetzt war er kalt und leidenschaftslos genug, aber in jener ersten Zeit/als ihn
der Schlag getroffen hatte, war seine Liebe von Tag zu Tag mit der unhemm-
barcn Macht eines schleichenden Fiebers gewachsen, und es hatte Stunden ge¬
geben, in denen seine Seele, von wahnsinniger Leidenschaft getrieben, in unsäg¬
lichem Sehnen und schäumendem Verlangen zu einer Woge angeschwollen war,
höher und höher steigend, sodaß jede Fiber seines Hirns, jede Saite seines
Herzens bis zur äußersten Grenze angespannt war. Und dann war die Müdig¬
keit über ihn gekommen, abstumpfend und heilend, sie hatte seine Nerven taub
gemacht gegen den Schmerz, sein Blut zu kalt für Begeisterung und seinen Puls
zu schwach zum Handeln. Und mehr als das, sie hatte ihn vor einem Rück-
falle geschützt, indem sie ihn mit der ganzen Vorsicht und dem Egoismus eines
Rekonvaleszenten ausstattete. Und wenn er jetzt an die Tage in Fjordby zurück¬
denkt, so geschieht es mit demselben Gefühle der Sicherheit, welches derjenige,
der eben eine schwere Krankheit überstanden hat, bei dem Gedanken empfindet,
daß jetzt, nachdem er seine Leiden ausgelitten, nachdem sich das Fieber in seinem
Körper selbst zu Asche verzehrt hat, daß er jetzt auf lange, lange Zeit frei
sein wird. ^ ^- !/ ^> V,

Da geschah es denn, als Erik und Fennimore, wie schon gesagt, ungefähr
zwei Jahre verheiratet waren, daß er eines Sommertags einen halb kläglichen,
halb prahlenden Brief von Erik erhielt, worin dieser sich selbst anklagte, seine
Zeit vergeudet zu haben; woran es eigentlich liege, wisse er nicht, aber er habe
gar keine Ideen mehr. Sein Umgang bestehe aus frischen, muntern Leuten, die
weder prüde noch schwerfällig, aber was die Kunst betreffe, die gräßlichsten Drome¬
dare seien. Da sei auch nicht ein Mensch, mit dem er sich einmal gründlich
aussprechen könne, und es habe ihn ein lähmender Zustand von Trägheit und
Unaufgelegtheit überfallen, von dem er sich nicht mehr befreien könne, denn nie
sehe er eine Idee oder eine Stimmung so wie früher, er sei wirklich oft besorgt,
daß seine Fähigkeiten versiegt seien, daß er niemals wieder etwas leisten würde.
Aber das könne doch unmöglich so weiter gehen, es müsse doch wieder kommen,
er sei zu reich gewesen, als daß es so enden könne; und dann wolle er ihnen
zeigen, was Kunst sei, jenen andern, die ununterbrochen weiter malen, als sei
das etwas, was sie auswendig gelernt hätten. Vorläufig habe er jedoch das
Gefühl, als liege ein Bann über ihm, und es würde ein großer Freundschafts¬
dienst von Ricks sein, wenn er nach Mariagerfjord kommen wollte; er sollte
es so gut haben, wie es die Verhältnisse gestatteten, und er könne ja den Sommer
ebenso gut dort verbringen wie anderswo. Fennimore lasse grüßen und freue
sich sehr ^ auf seinen Besuch.

Dieser Brief sah Erik gar nicht -ähnlich, es mußte wirklich etwas Ernst¬
haftes vorliegen, da er so klagen konnte. Das sah Ricks sofort ein, und er
wußte auch nur zu gut, wie schwach im Grunde die Quelle von Eriks Pro¬
duktion war, ein spärlicher Bach, den ungünstige Verhältnisse leicht austrocknen


Ricks Lyhne.

Jetzt war er kalt und leidenschaftslos genug, aber in jener ersten Zeit/als ihn
der Schlag getroffen hatte, war seine Liebe von Tag zu Tag mit der unhemm-
barcn Macht eines schleichenden Fiebers gewachsen, und es hatte Stunden ge¬
geben, in denen seine Seele, von wahnsinniger Leidenschaft getrieben, in unsäg¬
lichem Sehnen und schäumendem Verlangen zu einer Woge angeschwollen war,
höher und höher steigend, sodaß jede Fiber seines Hirns, jede Saite seines
Herzens bis zur äußersten Grenze angespannt war. Und dann war die Müdig¬
keit über ihn gekommen, abstumpfend und heilend, sie hatte seine Nerven taub
gemacht gegen den Schmerz, sein Blut zu kalt für Begeisterung und seinen Puls
zu schwach zum Handeln. Und mehr als das, sie hatte ihn vor einem Rück-
falle geschützt, indem sie ihn mit der ganzen Vorsicht und dem Egoismus eines
Rekonvaleszenten ausstattete. Und wenn er jetzt an die Tage in Fjordby zurück¬
denkt, so geschieht es mit demselben Gefühle der Sicherheit, welches derjenige,
der eben eine schwere Krankheit überstanden hat, bei dem Gedanken empfindet,
daß jetzt, nachdem er seine Leiden ausgelitten, nachdem sich das Fieber in seinem
Körper selbst zu Asche verzehrt hat, daß er jetzt auf lange, lange Zeit frei
sein wird. ^ ^- !/ ^> V,

Da geschah es denn, als Erik und Fennimore, wie schon gesagt, ungefähr
zwei Jahre verheiratet waren, daß er eines Sommertags einen halb kläglichen,
halb prahlenden Brief von Erik erhielt, worin dieser sich selbst anklagte, seine
Zeit vergeudet zu haben; woran es eigentlich liege, wisse er nicht, aber er habe
gar keine Ideen mehr. Sein Umgang bestehe aus frischen, muntern Leuten, die
weder prüde noch schwerfällig, aber was die Kunst betreffe, die gräßlichsten Drome¬
dare seien. Da sei auch nicht ein Mensch, mit dem er sich einmal gründlich
aussprechen könne, und es habe ihn ein lähmender Zustand von Trägheit und
Unaufgelegtheit überfallen, von dem er sich nicht mehr befreien könne, denn nie
sehe er eine Idee oder eine Stimmung so wie früher, er sei wirklich oft besorgt,
daß seine Fähigkeiten versiegt seien, daß er niemals wieder etwas leisten würde.
Aber das könne doch unmöglich so weiter gehen, es müsse doch wieder kommen,
er sei zu reich gewesen, als daß es so enden könne; und dann wolle er ihnen
zeigen, was Kunst sei, jenen andern, die ununterbrochen weiter malen, als sei
das etwas, was sie auswendig gelernt hätten. Vorläufig habe er jedoch das
Gefühl, als liege ein Bann über ihm, und es würde ein großer Freundschafts¬
dienst von Ricks sein, wenn er nach Mariagerfjord kommen wollte; er sollte
es so gut haben, wie es die Verhältnisse gestatteten, und er könne ja den Sommer
ebenso gut dort verbringen wie anderswo. Fennimore lasse grüßen und freue
sich sehr ^ auf seinen Besuch.

Dieser Brief sah Erik gar nicht -ähnlich, es mußte wirklich etwas Ernst¬
haftes vorliegen, da er so klagen konnte. Das sah Ricks sofort ein, und er
wußte auch nur zu gut, wie schwach im Grunde die Quelle von Eriks Pro¬
duktion war, ein spärlicher Bach, den ungünstige Verhältnisse leicht austrocknen


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[0280] Ricks Lyhne. Jetzt war er kalt und leidenschaftslos genug, aber in jener ersten Zeit/als ihn der Schlag getroffen hatte, war seine Liebe von Tag zu Tag mit der unhemm- barcn Macht eines schleichenden Fiebers gewachsen, und es hatte Stunden ge¬ geben, in denen seine Seele, von wahnsinniger Leidenschaft getrieben, in unsäg¬ lichem Sehnen und schäumendem Verlangen zu einer Woge angeschwollen war, höher und höher steigend, sodaß jede Fiber seines Hirns, jede Saite seines Herzens bis zur äußersten Grenze angespannt war. Und dann war die Müdig¬ keit über ihn gekommen, abstumpfend und heilend, sie hatte seine Nerven taub gemacht gegen den Schmerz, sein Blut zu kalt für Begeisterung und seinen Puls zu schwach zum Handeln. Und mehr als das, sie hatte ihn vor einem Rück- falle geschützt, indem sie ihn mit der ganzen Vorsicht und dem Egoismus eines Rekonvaleszenten ausstattete. Und wenn er jetzt an die Tage in Fjordby zurück¬ denkt, so geschieht es mit demselben Gefühle der Sicherheit, welches derjenige, der eben eine schwere Krankheit überstanden hat, bei dem Gedanken empfindet, daß jetzt, nachdem er seine Leiden ausgelitten, nachdem sich das Fieber in seinem Körper selbst zu Asche verzehrt hat, daß er jetzt auf lange, lange Zeit frei sein wird. ^ ^- !/ ^> V, Da geschah es denn, als Erik und Fennimore, wie schon gesagt, ungefähr zwei Jahre verheiratet waren, daß er eines Sommertags einen halb kläglichen, halb prahlenden Brief von Erik erhielt, worin dieser sich selbst anklagte, seine Zeit vergeudet zu haben; woran es eigentlich liege, wisse er nicht, aber er habe gar keine Ideen mehr. Sein Umgang bestehe aus frischen, muntern Leuten, die weder prüde noch schwerfällig, aber was die Kunst betreffe, die gräßlichsten Drome¬ dare seien. Da sei auch nicht ein Mensch, mit dem er sich einmal gründlich aussprechen könne, und es habe ihn ein lähmender Zustand von Trägheit und Unaufgelegtheit überfallen, von dem er sich nicht mehr befreien könne, denn nie sehe er eine Idee oder eine Stimmung so wie früher, er sei wirklich oft besorgt, daß seine Fähigkeiten versiegt seien, daß er niemals wieder etwas leisten würde. Aber das könne doch unmöglich so weiter gehen, es müsse doch wieder kommen, er sei zu reich gewesen, als daß es so enden könne; und dann wolle er ihnen zeigen, was Kunst sei, jenen andern, die ununterbrochen weiter malen, als sei das etwas, was sie auswendig gelernt hätten. Vorläufig habe er jedoch das Gefühl, als liege ein Bann über ihm, und es würde ein großer Freundschafts¬ dienst von Ricks sein, wenn er nach Mariagerfjord kommen wollte; er sollte es so gut haben, wie es die Verhältnisse gestatteten, und er könne ja den Sommer ebenso gut dort verbringen wie anderswo. Fennimore lasse grüßen und freue sich sehr ^ auf seinen Besuch. Dieser Brief sah Erik gar nicht -ähnlich, es mußte wirklich etwas Ernst¬ haftes vorliegen, da er so klagen konnte. Das sah Ricks sofort ein, und er wußte auch nur zu gut, wie schwach im Grunde die Quelle von Eriks Pro¬ duktion war, ein spärlicher Bach, den ungünstige Verhältnisse leicht austrocknen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/280>, abgerufen am 16.06.2024.