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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Nein, das ist durchaus nicht wahr; allem hier, mit deiner Billigung, kann
ich gern ja sagen.

Ja, thue du das nur, du kannst fest überzeugt sein, daß die Frauen keine
so ätherischen Wesen sind, wie mancher gute Junggeselle träumt; sie sind wirklich
nicht zarter als die Männer, sie sind durchaus nicht anders als die Männer;
glaube mir, der Thon, aus dem sie beide gebildet sind, ist schmutzig gewesen.

Liebste Fennimore, du weißt Gottlob nicht, was du da sagst, aber du thust
den Frauen sehr Unrecht und dir selbst am meisten; ich glaube an die Reinheit
des weiblichen Geschlechts.

An die Reinheit des weiblichen Geschlechts? Was verstehst du unter der
Reinheit des weiblichen Geschlechts?

Darunter verstehe ich -- ja ^

Ich will dir sagen, was du darunter verstehst -- nichts, gar nichts, denn
das ist auch so eine von diesen sinnlosen Feinheiten. Eine Frau kann nicht
rein sein, sie soll es gar nicht einmal sein; wie wäre das auch nur möglich!
Was für eine Unnatur wäre das! Ist sie etwa von der Hand Gottes dazu
bestimmt, es zu sein? Antworte mir! Nein und tausendmal nein! Was für ein
Wahnsinn das ist! Weshalb sollt ihr uns mit der einen Hand zu den Sternen
erheben, wenn ihr uns doch mit der andern wieder herabziehen müßt? Könnt
ihr uns nicht auf der Erde wandeln lassen, an eurer Seite, ein Mensch neben
dem andern, und nicht das Geringste mehr? Es ist uns ja ganz unmöglich,
uns sicher in der Prosa zu bewegen, wenn ihr uns blind macht mit euern Irr¬
lichtern von Poesie. Laßt uns doch in Frieden, laßt uns um Gottes willen
in Frieden!

Sie setzte sich hin und weinte bitterlich.

Ricks begriff vieles; Fennimore wäre unglücklich gewesen, wenn sie geahnt
hätte, wie viel! Das war ja zum Teil wieder die alte Geschichte von dem Fest¬
gericht der Liebe, das nicht zum täglichen Brot werden wollte, sondern ein Fest¬
gericht blieb, nur von Tag zu Tag faber werdend, ekelerregender, weniger und
weniger nahrhaft. Und der eine kann keine Wunder thun, und der andre kann
es auch nicht, und da sitzen sie nun in ihren festlichen Gewändern und bemühen
sich, einander zuzulächeln und festliche Worte zu gebrauchen, aber in ihrem
Innern herrscht eine Pein, ein Hunger und ein Durst, und ihre Blicke fürchten
sich, einander zu begegnen, denn der Gram keimt in ihren Herzen. Ist es nicht
zuerst so, und kommt dann nicht noch die zweite, ebenso traurige Geschichte
dazu, die Geschichte von der Verzweiflung einer Frau, daß sie sich nicht selber
wieder zurücknehmen kann, wenn sie entdeckt, daß der Halbgott, dessen Braut
sie so jubelnd gewesen war, nur ein ganz gewöhnlicher Sterblicher ist? Zuerst
die Verzweiflung, die nutzlose Verzweiflung, und dann die nutzenbringende Ab¬
gestumpftheit, war es nicht so? Er glaubte, daß es so war, und er verstand
es alles: die Härte, die sie zeigen konnte, die herbe Demut und ihre Verwilderung.


Ricks Lyhne.

Nein, das ist durchaus nicht wahr; allem hier, mit deiner Billigung, kann
ich gern ja sagen.

Ja, thue du das nur, du kannst fest überzeugt sein, daß die Frauen keine
so ätherischen Wesen sind, wie mancher gute Junggeselle träumt; sie sind wirklich
nicht zarter als die Männer, sie sind durchaus nicht anders als die Männer;
glaube mir, der Thon, aus dem sie beide gebildet sind, ist schmutzig gewesen.

Liebste Fennimore, du weißt Gottlob nicht, was du da sagst, aber du thust
den Frauen sehr Unrecht und dir selbst am meisten; ich glaube an die Reinheit
des weiblichen Geschlechts.

An die Reinheit des weiblichen Geschlechts? Was verstehst du unter der
Reinheit des weiblichen Geschlechts?

Darunter verstehe ich — ja ^

Ich will dir sagen, was du darunter verstehst — nichts, gar nichts, denn
das ist auch so eine von diesen sinnlosen Feinheiten. Eine Frau kann nicht
rein sein, sie soll es gar nicht einmal sein; wie wäre das auch nur möglich!
Was für eine Unnatur wäre das! Ist sie etwa von der Hand Gottes dazu
bestimmt, es zu sein? Antworte mir! Nein und tausendmal nein! Was für ein
Wahnsinn das ist! Weshalb sollt ihr uns mit der einen Hand zu den Sternen
erheben, wenn ihr uns doch mit der andern wieder herabziehen müßt? Könnt
ihr uns nicht auf der Erde wandeln lassen, an eurer Seite, ein Mensch neben
dem andern, und nicht das Geringste mehr? Es ist uns ja ganz unmöglich,
uns sicher in der Prosa zu bewegen, wenn ihr uns blind macht mit euern Irr¬
lichtern von Poesie. Laßt uns doch in Frieden, laßt uns um Gottes willen
in Frieden!

Sie setzte sich hin und weinte bitterlich.

Ricks begriff vieles; Fennimore wäre unglücklich gewesen, wenn sie geahnt
hätte, wie viel! Das war ja zum Teil wieder die alte Geschichte von dem Fest¬
gericht der Liebe, das nicht zum täglichen Brot werden wollte, sondern ein Fest¬
gericht blieb, nur von Tag zu Tag faber werdend, ekelerregender, weniger und
weniger nahrhaft. Und der eine kann keine Wunder thun, und der andre kann
es auch nicht, und da sitzen sie nun in ihren festlichen Gewändern und bemühen
sich, einander zuzulächeln und festliche Worte zu gebrauchen, aber in ihrem
Innern herrscht eine Pein, ein Hunger und ein Durst, und ihre Blicke fürchten
sich, einander zu begegnen, denn der Gram keimt in ihren Herzen. Ist es nicht
zuerst so, und kommt dann nicht noch die zweite, ebenso traurige Geschichte
dazu, die Geschichte von der Verzweiflung einer Frau, daß sie sich nicht selber
wieder zurücknehmen kann, wenn sie entdeckt, daß der Halbgott, dessen Braut
sie so jubelnd gewesen war, nur ein ganz gewöhnlicher Sterblicher ist? Zuerst
die Verzweiflung, die nutzlose Verzweiflung, und dann die nutzenbringende Ab¬
gestumpftheit, war es nicht so? Er glaubte, daß es so war, und er verstand
es alles: die Härte, die sie zeigen konnte, die herbe Demut und ihre Verwilderung.


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[0336] Ricks Lyhne. Nein, das ist durchaus nicht wahr; allem hier, mit deiner Billigung, kann ich gern ja sagen. Ja, thue du das nur, du kannst fest überzeugt sein, daß die Frauen keine so ätherischen Wesen sind, wie mancher gute Junggeselle träumt; sie sind wirklich nicht zarter als die Männer, sie sind durchaus nicht anders als die Männer; glaube mir, der Thon, aus dem sie beide gebildet sind, ist schmutzig gewesen. Liebste Fennimore, du weißt Gottlob nicht, was du da sagst, aber du thust den Frauen sehr Unrecht und dir selbst am meisten; ich glaube an die Reinheit des weiblichen Geschlechts. An die Reinheit des weiblichen Geschlechts? Was verstehst du unter der Reinheit des weiblichen Geschlechts? Darunter verstehe ich — ja ^ Ich will dir sagen, was du darunter verstehst — nichts, gar nichts, denn das ist auch so eine von diesen sinnlosen Feinheiten. Eine Frau kann nicht rein sein, sie soll es gar nicht einmal sein; wie wäre das auch nur möglich! Was für eine Unnatur wäre das! Ist sie etwa von der Hand Gottes dazu bestimmt, es zu sein? Antworte mir! Nein und tausendmal nein! Was für ein Wahnsinn das ist! Weshalb sollt ihr uns mit der einen Hand zu den Sternen erheben, wenn ihr uns doch mit der andern wieder herabziehen müßt? Könnt ihr uns nicht auf der Erde wandeln lassen, an eurer Seite, ein Mensch neben dem andern, und nicht das Geringste mehr? Es ist uns ja ganz unmöglich, uns sicher in der Prosa zu bewegen, wenn ihr uns blind macht mit euern Irr¬ lichtern von Poesie. Laßt uns doch in Frieden, laßt uns um Gottes willen in Frieden! Sie setzte sich hin und weinte bitterlich. Ricks begriff vieles; Fennimore wäre unglücklich gewesen, wenn sie geahnt hätte, wie viel! Das war ja zum Teil wieder die alte Geschichte von dem Fest¬ gericht der Liebe, das nicht zum täglichen Brot werden wollte, sondern ein Fest¬ gericht blieb, nur von Tag zu Tag faber werdend, ekelerregender, weniger und weniger nahrhaft. Und der eine kann keine Wunder thun, und der andre kann es auch nicht, und da sitzen sie nun in ihren festlichen Gewändern und bemühen sich, einander zuzulächeln und festliche Worte zu gebrauchen, aber in ihrem Innern herrscht eine Pein, ein Hunger und ein Durst, und ihre Blicke fürchten sich, einander zu begegnen, denn der Gram keimt in ihren Herzen. Ist es nicht zuerst so, und kommt dann nicht noch die zweite, ebenso traurige Geschichte dazu, die Geschichte von der Verzweiflung einer Frau, daß sie sich nicht selber wieder zurücknehmen kann, wenn sie entdeckt, daß der Halbgott, dessen Braut sie so jubelnd gewesen war, nur ein ganz gewöhnlicher Sterblicher ist? Zuerst die Verzweiflung, die nutzlose Verzweiflung, und dann die nutzenbringende Ab¬ gestumpftheit, war es nicht so? Er glaubte, daß es so war, und er verstand es alles: die Härte, die sie zeigen konnte, die herbe Demut und ihre Verwilderung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/336>, abgerufen am 17.06.2024.