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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

nämlich ganz naive Schaulust. Im Jahre 1882 hatte ich als Student meine
ersten Reisegroschen dazu benutzt, um nach Bayreuth zur ersten Aufführung des
Parsifal zu fahren, zu "pilgern" muß man ja sagen. Das Wort Bayreuth
wirkte damals auf mich mit einem unruhigen Zauber, wie die flnmmendroten
und blauen Kartons der Umschläge zu Wagners Klavierauszügen. Der "Meister"
lebte damals noch, ich sollte ihn sehen, und ich hing am Arme eines waschechter
Wagnerianers, der mich nicht eher losließ, als bis ich in der echt modernen
Vorhalle der Wagnerschen Kunst, nämlich im Komtoir des Bankgeschäfts von
Feustel, den echten Goldklang deutscher Musik, nämlich der zwei Kronen Reichs-
währuug, hatte ertönen lassen. Ich hatte mir damals Vorwürfe gemacht, daß
ich so wenig Ertrag davon hatte. Ich war müde und verdrossen, und es gab
während der sechs Stunden Parsifal Augenblicke, lange Augenblicke, in denen
mir nichts gleichgiltiger war, als Gurnemanz, Amfortcs und "die ganze Ritter¬
sippe," wie der Klingsor des Stückes, auch hier ein sicherer Rätsellöser, sich so
energisch ausdrückt. Aber ich hatte die starke Erinnerung eines ganz neuen,
seltsam in sich abgeschlossenen Prunkes. Und dann das eigentümliche Schau¬
spiel dieses mächtig plumpen, eigenwillig höckrigen (denn es ist alles Maschinen¬
raum daran und Schnürboden), dieses durch und für den Willen eines einzigen
Mannes gebauten Theaters, weithin schauend über die sonnenüberglänzte, herrliche
fränkische Ane. Ringsherum schwirrend wie ein buntfarbiger Schmetterlings-
schwarm die Schar der Gäste, in allen Zungen redend, von den neuesten Moden
die ausgesuchtesten und verrücktesten zur Schau tragend, das stolz sogenannte
"Elitepublikum" aller Hauptstädte der Welt. Das alles auf dem abgelegenen
fränkischen Hügel, seltsam abstechend gegen die mild freundliche, ruhig deutsche
Umgebung. Da dachte doch gar mancher mit mir: Das hat er nun doch einmal
erreicht. Es überkam einen doch wie Stolz, daß der eine, gleichviel wie, wo¬
durch und wofür, es zu Wege gebracht hatte, alle diese Leute auf diesen deutschen
Erdenfleck zusammenzutrommeln, einzig zu dem Zwecke, sich auf sechs Stunden
in eine pechschwarze Finsternis sperren zu lassen, um eine wunderliche deutsche
Musik zu noch wunderlicheren deutschen Wörtern zu hören. Dies Gefühl war
mir geblieben; ich wollte es wieder einmal kosten und ausproben.

Denn ich muß gestehen, am Parsifal lag mir wenig, fast ebenso wenig
als an der berufenen "Neukreirung der Titelrolle." Ich hatte in der Zwischen¬
zeit Gelegenheit genug gehabt, meine traurige Verständnis- und Teilncchms-
losigkeit sür die Geheimnisse des Bayreuther Grals entschuldbar zu finden.
Nachdem ich, ein zweiter Parzival, früher ihnen nicht nachgefragt hatte, hatte
mich nunmehr der musikalisch-dramatische Zweifel ergriffen; ich hatte mich in
die Wildnis Richard Wagnerscher Theorie und Praxis tief hineinbegeben, so
tief, daß es mir, mit unserm alten Herzenskünder Wolfram zu reden, "in der
Seele sauer wurde," und ich froh war, ohne einen hilfreichen Trevrizent endlich
den Weg zurückzufinden ins sonnige Land der freien, nicht tyrannisirten Kunst.


Bayreuth.

nämlich ganz naive Schaulust. Im Jahre 1882 hatte ich als Student meine
ersten Reisegroschen dazu benutzt, um nach Bayreuth zur ersten Aufführung des
Parsifal zu fahren, zu „pilgern" muß man ja sagen. Das Wort Bayreuth
wirkte damals auf mich mit einem unruhigen Zauber, wie die flnmmendroten
und blauen Kartons der Umschläge zu Wagners Klavierauszügen. Der „Meister"
lebte damals noch, ich sollte ihn sehen, und ich hing am Arme eines waschechter
Wagnerianers, der mich nicht eher losließ, als bis ich in der echt modernen
Vorhalle der Wagnerschen Kunst, nämlich im Komtoir des Bankgeschäfts von
Feustel, den echten Goldklang deutscher Musik, nämlich der zwei Kronen Reichs-
währuug, hatte ertönen lassen. Ich hatte mir damals Vorwürfe gemacht, daß
ich so wenig Ertrag davon hatte. Ich war müde und verdrossen, und es gab
während der sechs Stunden Parsifal Augenblicke, lange Augenblicke, in denen
mir nichts gleichgiltiger war, als Gurnemanz, Amfortcs und „die ganze Ritter¬
sippe," wie der Klingsor des Stückes, auch hier ein sicherer Rätsellöser, sich so
energisch ausdrückt. Aber ich hatte die starke Erinnerung eines ganz neuen,
seltsam in sich abgeschlossenen Prunkes. Und dann das eigentümliche Schau¬
spiel dieses mächtig plumpen, eigenwillig höckrigen (denn es ist alles Maschinen¬
raum daran und Schnürboden), dieses durch und für den Willen eines einzigen
Mannes gebauten Theaters, weithin schauend über die sonnenüberglänzte, herrliche
fränkische Ane. Ringsherum schwirrend wie ein buntfarbiger Schmetterlings-
schwarm die Schar der Gäste, in allen Zungen redend, von den neuesten Moden
die ausgesuchtesten und verrücktesten zur Schau tragend, das stolz sogenannte
„Elitepublikum" aller Hauptstädte der Welt. Das alles auf dem abgelegenen
fränkischen Hügel, seltsam abstechend gegen die mild freundliche, ruhig deutsche
Umgebung. Da dachte doch gar mancher mit mir: Das hat er nun doch einmal
erreicht. Es überkam einen doch wie Stolz, daß der eine, gleichviel wie, wo¬
durch und wofür, es zu Wege gebracht hatte, alle diese Leute auf diesen deutschen
Erdenfleck zusammenzutrommeln, einzig zu dem Zwecke, sich auf sechs Stunden
in eine pechschwarze Finsternis sperren zu lassen, um eine wunderliche deutsche
Musik zu noch wunderlicheren deutschen Wörtern zu hören. Dies Gefühl war
mir geblieben; ich wollte es wieder einmal kosten und ausproben.

Denn ich muß gestehen, am Parsifal lag mir wenig, fast ebenso wenig
als an der berufenen „Neukreirung der Titelrolle." Ich hatte in der Zwischen¬
zeit Gelegenheit genug gehabt, meine traurige Verständnis- und Teilncchms-
losigkeit sür die Geheimnisse des Bayreuther Grals entschuldbar zu finden.
Nachdem ich, ein zweiter Parzival, früher ihnen nicht nachgefragt hatte, hatte
mich nunmehr der musikalisch-dramatische Zweifel ergriffen; ich hatte mich in
die Wildnis Richard Wagnerscher Theorie und Praxis tief hineinbegeben, so
tief, daß es mir, mit unserm alten Herzenskünder Wolfram zu reden, „in der
Seele sauer wurde," und ich froh war, ohne einen hilfreichen Trevrizent endlich
den Weg zurückzufinden ins sonnige Land der freien, nicht tyrannisirten Kunst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/362>, abgerufen am 26.05.2024.