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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

Ich hatte auf meinem Wege manche berauschend duftende Blüte getroffen und
manch verlockend lieblichen Ruheplatz. Aber ein beklemmend fremdartiges Wesen
verbot die Blüte zu brechen und sie fröhlich an den Hut zu stecken, und eine
unsichtbare Stimme warnte vor dem schmeichlerischen Ruheplatze. Oft freilich
hatte ich mich auch erinnert gefühlt an den wilden Lauch, der im Frühjahr so
unschuldweiß, so fein und zierlich gestickt die Laubwälder bedeckt, aber wenn
man näher kommt, einen so wenig feinen und unschuldigen Duft ausströmt.
Dann gab es viele Meilen weit dichtes, dorniges Gestrüpp, auf das die Sonne
der Ungeduld versengend brannte, und weite, glühende Steinwüsten und häßliche,
grundlose Sümpfe. Aber an einer Stelle gab es überhaupt gar nichts, die war
wüste und leer, und kein Hauch vom Geiste der Kunst lag über den Wassern:
das war der Parsifal.

Ich will diesen Reiseeindruck vom Wagnerlande beileibe niemand aufdrängen.
Bekanntlich spielt an seinen Grenzpfählen, wie an der Bidafsoabrücke, ein zau¬
berhaftes Gesicht: wo der eine Schatten steht, sieht der andre goldnes Licht,
wo dem einen Rosen lachen, sieht der andre dürren Sand. Aber ich meine
doch: jedem ist das Elend finster. Der Parsifal aber ist gar nicht hell und
doch so leicht durchschaubar, wie -- nun, wie das finstere, graue Elend. Und
ob ihn nicht sein eigner Meister durchschaut hat, als er so -- so unbayreuthisch
fest verbot, ihn unter die Menschen gehen zu lasten? Der arme Kaspar Hauser
von Bayreuth! Eingesperrt muß er sitzen und ausdauern in dem kahlen, öden
Hause auf dem Stuck- (alias Trompeter-) Berge von Bayreuth, und nur einmal
im Jahre sieht er das elektrische Licht einer Aufführung bis (o armer Trost
Wagnerischer Herzen) -- bis zum Jahre 1913, wo er in die Welt hinaustreten
wird und die staunende Menschheit erkennen wird, daß er -- kein Prinz war.

Aber als Kaspar Hauser wird man ihn erkennen. (Wenn man ihn dann
überhaupt noch kennen wird, und wenn die Wagnerianer wüßten, was dreißig
Jahre im Kunstleben bedeuten!) Denn er kann nicht reden wie der Sensations¬
findling von Nürnberg, oder er thut es so, ganz so wie jener. Es umgiebt
ihn das Geheimnis einer hohen Herkunft, und er ist vielleicht nichts als ein
armer Bastard, die traurige Frucht einer unseligen, erzwungenen Verbindung,
der lebenssieche Spätling eines erschöpften Greises. "Es ist beängstigend
-- sagte mir damals ein Wagnerianer in dem raunenden Geheimniston der
Zunft --, es ist beängstigend, die Überreife in diesem Werke! Es ist noch ein
höherer als der höchste Stil." Da haben wir den Schritt ins Transzendentale,
der diesen Glücklichen so leicht wird. Ganz natürlich, nachdem der höchste Stil
schon einmal erklommen war, mußte es beängstigend wirken, noch einen höhern
darauf stülpen zu müssen. Aber die Parole war einmal ausgegeben von Villa
Wahnfried, und ein Wagnerianer kennt Disziplin, das muß man sagen. Da
half man sich denn mit dem köstlich doppelsinnigen Worte "Überreife." Aller¬
dings ist er überreif: wie in einem Herbarium aufgetrocknet und sauber neben


Bayreuth.

Ich hatte auf meinem Wege manche berauschend duftende Blüte getroffen und
manch verlockend lieblichen Ruheplatz. Aber ein beklemmend fremdartiges Wesen
verbot die Blüte zu brechen und sie fröhlich an den Hut zu stecken, und eine
unsichtbare Stimme warnte vor dem schmeichlerischen Ruheplatze. Oft freilich
hatte ich mich auch erinnert gefühlt an den wilden Lauch, der im Frühjahr so
unschuldweiß, so fein und zierlich gestickt die Laubwälder bedeckt, aber wenn
man näher kommt, einen so wenig feinen und unschuldigen Duft ausströmt.
Dann gab es viele Meilen weit dichtes, dorniges Gestrüpp, auf das die Sonne
der Ungeduld versengend brannte, und weite, glühende Steinwüsten und häßliche,
grundlose Sümpfe. Aber an einer Stelle gab es überhaupt gar nichts, die war
wüste und leer, und kein Hauch vom Geiste der Kunst lag über den Wassern:
das war der Parsifal.

Ich will diesen Reiseeindruck vom Wagnerlande beileibe niemand aufdrängen.
Bekanntlich spielt an seinen Grenzpfählen, wie an der Bidafsoabrücke, ein zau¬
berhaftes Gesicht: wo der eine Schatten steht, sieht der andre goldnes Licht,
wo dem einen Rosen lachen, sieht der andre dürren Sand. Aber ich meine
doch: jedem ist das Elend finster. Der Parsifal aber ist gar nicht hell und
doch so leicht durchschaubar, wie — nun, wie das finstere, graue Elend. Und
ob ihn nicht sein eigner Meister durchschaut hat, als er so — so unbayreuthisch
fest verbot, ihn unter die Menschen gehen zu lasten? Der arme Kaspar Hauser
von Bayreuth! Eingesperrt muß er sitzen und ausdauern in dem kahlen, öden
Hause auf dem Stuck- (alias Trompeter-) Berge von Bayreuth, und nur einmal
im Jahre sieht er das elektrische Licht einer Aufführung bis (o armer Trost
Wagnerischer Herzen) — bis zum Jahre 1913, wo er in die Welt hinaustreten
wird und die staunende Menschheit erkennen wird, daß er — kein Prinz war.

Aber als Kaspar Hauser wird man ihn erkennen. (Wenn man ihn dann
überhaupt noch kennen wird, und wenn die Wagnerianer wüßten, was dreißig
Jahre im Kunstleben bedeuten!) Denn er kann nicht reden wie der Sensations¬
findling von Nürnberg, oder er thut es so, ganz so wie jener. Es umgiebt
ihn das Geheimnis einer hohen Herkunft, und er ist vielleicht nichts als ein
armer Bastard, die traurige Frucht einer unseligen, erzwungenen Verbindung,
der lebenssieche Spätling eines erschöpften Greises. „Es ist beängstigend
— sagte mir damals ein Wagnerianer in dem raunenden Geheimniston der
Zunft —, es ist beängstigend, die Überreife in diesem Werke! Es ist noch ein
höherer als der höchste Stil." Da haben wir den Schritt ins Transzendentale,
der diesen Glücklichen so leicht wird. Ganz natürlich, nachdem der höchste Stil
schon einmal erklommen war, mußte es beängstigend wirken, noch einen höhern
darauf stülpen zu müssen. Aber die Parole war einmal ausgegeben von Villa
Wahnfried, und ein Wagnerianer kennt Disziplin, das muß man sagen. Da
half man sich denn mit dem köstlich doppelsinnigen Worte „Überreife." Aller¬
dings ist er überreif: wie in einem Herbarium aufgetrocknet und sauber neben


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[0363] Bayreuth. Ich hatte auf meinem Wege manche berauschend duftende Blüte getroffen und manch verlockend lieblichen Ruheplatz. Aber ein beklemmend fremdartiges Wesen verbot die Blüte zu brechen und sie fröhlich an den Hut zu stecken, und eine unsichtbare Stimme warnte vor dem schmeichlerischen Ruheplatze. Oft freilich hatte ich mich auch erinnert gefühlt an den wilden Lauch, der im Frühjahr so unschuldweiß, so fein und zierlich gestickt die Laubwälder bedeckt, aber wenn man näher kommt, einen so wenig feinen und unschuldigen Duft ausströmt. Dann gab es viele Meilen weit dichtes, dorniges Gestrüpp, auf das die Sonne der Ungeduld versengend brannte, und weite, glühende Steinwüsten und häßliche, grundlose Sümpfe. Aber an einer Stelle gab es überhaupt gar nichts, die war wüste und leer, und kein Hauch vom Geiste der Kunst lag über den Wassern: das war der Parsifal. Ich will diesen Reiseeindruck vom Wagnerlande beileibe niemand aufdrängen. Bekanntlich spielt an seinen Grenzpfählen, wie an der Bidafsoabrücke, ein zau¬ berhaftes Gesicht: wo der eine Schatten steht, sieht der andre goldnes Licht, wo dem einen Rosen lachen, sieht der andre dürren Sand. Aber ich meine doch: jedem ist das Elend finster. Der Parsifal aber ist gar nicht hell und doch so leicht durchschaubar, wie — nun, wie das finstere, graue Elend. Und ob ihn nicht sein eigner Meister durchschaut hat, als er so — so unbayreuthisch fest verbot, ihn unter die Menschen gehen zu lasten? Der arme Kaspar Hauser von Bayreuth! Eingesperrt muß er sitzen und ausdauern in dem kahlen, öden Hause auf dem Stuck- (alias Trompeter-) Berge von Bayreuth, und nur einmal im Jahre sieht er das elektrische Licht einer Aufführung bis (o armer Trost Wagnerischer Herzen) — bis zum Jahre 1913, wo er in die Welt hinaustreten wird und die staunende Menschheit erkennen wird, daß er — kein Prinz war. Aber als Kaspar Hauser wird man ihn erkennen. (Wenn man ihn dann überhaupt noch kennen wird, und wenn die Wagnerianer wüßten, was dreißig Jahre im Kunstleben bedeuten!) Denn er kann nicht reden wie der Sensations¬ findling von Nürnberg, oder er thut es so, ganz so wie jener. Es umgiebt ihn das Geheimnis einer hohen Herkunft, und er ist vielleicht nichts als ein armer Bastard, die traurige Frucht einer unseligen, erzwungenen Verbindung, der lebenssieche Spätling eines erschöpften Greises. „Es ist beängstigend — sagte mir damals ein Wagnerianer in dem raunenden Geheimniston der Zunft —, es ist beängstigend, die Überreife in diesem Werke! Es ist noch ein höherer als der höchste Stil." Da haben wir den Schritt ins Transzendentale, der diesen Glücklichen so leicht wird. Ganz natürlich, nachdem der höchste Stil schon einmal erklommen war, mußte es beängstigend wirken, noch einen höhern darauf stülpen zu müssen. Aber die Parole war einmal ausgegeben von Villa Wahnfried, und ein Wagnerianer kennt Disziplin, das muß man sagen. Da half man sich denn mit dem köstlich doppelsinnigen Worte „Überreife." Aller¬ dings ist er überreif: wie in einem Herbarium aufgetrocknet und sauber neben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/363>, abgerufen am 17.06.2024.