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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik,

An sich ist es nichts neues, daß Leute, die außerhalb der kunstübenden
Kreise stehen, sich anmaßen, diesen Kreisen Vorschriften zu erteilen. Erachtete doch
das frühe Mittelalter selbst Kirchensynoden zu solchem Amte für berechtigt, ja ver¬
pflichtet. Der aus Byzanz im achten Jahrhundert nach dem Abendlande verpflanzte
Vilderstreit kann also schon als Urbild unbefugter Kuustrichterei gelten, vom
klassischen Altertume ganz zu schweigen. Am Hofe Karls des Großen befaßte
sich ein Mann wie Alcuin, dessen Vielseitigkeit sich vielleicht nicht unpassend mit
der eines Du Bois-Reymond vergleichen ließe, mit offizieller Kunstkritik. In den
I^ibri "üarolmi, deren Urheberschaft man ihm zuschreibt, führt er gar zornige Reden
wider die unfrommen Künstler, die allerhand heidnisches Wesen in ihre Dar¬
stellung hineinziehen, das doch in der heiligen Schrift gar keinen Grund habe.
Der damaligen Zeit galt eben die Bibel auch als Kodex ihrer ästhetischen An¬
schauungen, oder die Kunst nur als Hilfsmittel, um die Erzählungen der Evange¬
listen und Propheten auch den Schriftunkundigen in des Wortes eigentlicher
Bedeutung "s.ä ovulos zu demonstriren." Wir wissen indes aus den Kunstwerken,
daß oft genug auch in jener Zeit sich der Widerspruch gegen solche Vorschriften
bei den Künstlern regte, und im dreizehnten Jahrhundert bekennt sich sogar schon
ein Vertreter jener theologischen Kunstkritik, Durandus von Meute, resignirt zu
der Anschauung des alten Horaz:


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Diese liberale Auffassung von künstlerischer Freiheit ist freilich in den folgenden
Jahrhunderten nicht allen seinen gottesgelahrten Kollegen eigen gewesen, aber man
darf auch nicht vergessen, daß die Künstler seiner Zeit keinen Gebrauch von der
ihnen eingeräumten Freiheit machen konnten, weil sie materiell und ideell von
der Kirche durchaus abhängig waren und blieben.

Erst mit dem Erwachen des Individualismus und der "freien Künste" im
heutigen Wortsinne beginnt auch die Selbständigkeit der Künstler auf diesem
Felde sich mehr geltend zu machen. Albrecht Dürer spricht gelegentlich die be¬
merkenswerten Worte, die in dem heißen Streite "Künstler vontrg, Kunstschreiber"
von der erstgenannten Partei zu meinem Verwundern noch niemals als Wahl- .
Spruch benutzt worden sind: "dy Kunst des malens kan nit woll geurteilt werden
dann alleyn durch dye da selbs gut Moler sind, aber vyrwor den andern ist
es verporgen wy dyr am fremde Sprach." Und doch standen wohl selten
Künstler so sehr unter der Vormundschaft der gelehrten Bildung wie die der
Renaissance, und derselbe Dürer, der die Einmischung der Laien in die Kunst¬
kritik so stolz ablehnt, fügte sich willig dem Programm eines Stadius und
eines Pirkheimer bei der Anordnung der Triumphwagen sür Kaiser Max, und
empfing sicherlich auch die Anregung zu vielen andern seiner uns heute oft nur
schwer verständlichen Allegorien aus den gelehrten Kreisen seiner Umgebung, genau
so, wie Naffael in Rom sich die Ideen zu seinen vatikanischen Fresken von den


Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik,

An sich ist es nichts neues, daß Leute, die außerhalb der kunstübenden
Kreise stehen, sich anmaßen, diesen Kreisen Vorschriften zu erteilen. Erachtete doch
das frühe Mittelalter selbst Kirchensynoden zu solchem Amte für berechtigt, ja ver¬
pflichtet. Der aus Byzanz im achten Jahrhundert nach dem Abendlande verpflanzte
Vilderstreit kann also schon als Urbild unbefugter Kuustrichterei gelten, vom
klassischen Altertume ganz zu schweigen. Am Hofe Karls des Großen befaßte
sich ein Mann wie Alcuin, dessen Vielseitigkeit sich vielleicht nicht unpassend mit
der eines Du Bois-Reymond vergleichen ließe, mit offizieller Kunstkritik. In den
I^ibri «üarolmi, deren Urheberschaft man ihm zuschreibt, führt er gar zornige Reden
wider die unfrommen Künstler, die allerhand heidnisches Wesen in ihre Dar¬
stellung hineinziehen, das doch in der heiligen Schrift gar keinen Grund habe.
Der damaligen Zeit galt eben die Bibel auch als Kodex ihrer ästhetischen An¬
schauungen, oder die Kunst nur als Hilfsmittel, um die Erzählungen der Evange¬
listen und Propheten auch den Schriftunkundigen in des Wortes eigentlicher
Bedeutung „s.ä ovulos zu demonstriren." Wir wissen indes aus den Kunstwerken,
daß oft genug auch in jener Zeit sich der Widerspruch gegen solche Vorschriften
bei den Künstlern regte, und im dreizehnten Jahrhundert bekennt sich sogar schon
ein Vertreter jener theologischen Kunstkritik, Durandus von Meute, resignirt zu
der Anschauung des alten Horaz:


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Diese liberale Auffassung von künstlerischer Freiheit ist freilich in den folgenden
Jahrhunderten nicht allen seinen gottesgelahrten Kollegen eigen gewesen, aber man
darf auch nicht vergessen, daß die Künstler seiner Zeit keinen Gebrauch von der
ihnen eingeräumten Freiheit machen konnten, weil sie materiell und ideell von
der Kirche durchaus abhängig waren und blieben.

Erst mit dem Erwachen des Individualismus und der „freien Künste" im
heutigen Wortsinne beginnt auch die Selbständigkeit der Künstler auf diesem
Felde sich mehr geltend zu machen. Albrecht Dürer spricht gelegentlich die be¬
merkenswerten Worte, die in dem heißen Streite „Künstler vontrg, Kunstschreiber"
von der erstgenannten Partei zu meinem Verwundern noch niemals als Wahl- .
Spruch benutzt worden sind: „dy Kunst des malens kan nit woll geurteilt werden
dann alleyn durch dye da selbs gut Moler sind, aber vyrwor den andern ist
es verporgen wy dyr am fremde Sprach." Und doch standen wohl selten
Künstler so sehr unter der Vormundschaft der gelehrten Bildung wie die der
Renaissance, und derselbe Dürer, der die Einmischung der Laien in die Kunst¬
kritik so stolz ablehnt, fügte sich willig dem Programm eines Stadius und
eines Pirkheimer bei der Anordnung der Triumphwagen sür Kaiser Max, und
empfing sicherlich auch die Anregung zu vielen andern seiner uns heute oft nur
schwer verständlichen Allegorien aus den gelehrten Kreisen seiner Umgebung, genau
so, wie Naffael in Rom sich die Ideen zu seinen vatikanischen Fresken von den


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[0421] Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik, An sich ist es nichts neues, daß Leute, die außerhalb der kunstübenden Kreise stehen, sich anmaßen, diesen Kreisen Vorschriften zu erteilen. Erachtete doch das frühe Mittelalter selbst Kirchensynoden zu solchem Amte für berechtigt, ja ver¬ pflichtet. Der aus Byzanz im achten Jahrhundert nach dem Abendlande verpflanzte Vilderstreit kann also schon als Urbild unbefugter Kuustrichterei gelten, vom klassischen Altertume ganz zu schweigen. Am Hofe Karls des Großen befaßte sich ein Mann wie Alcuin, dessen Vielseitigkeit sich vielleicht nicht unpassend mit der eines Du Bois-Reymond vergleichen ließe, mit offizieller Kunstkritik. In den I^ibri «üarolmi, deren Urheberschaft man ihm zuschreibt, führt er gar zornige Reden wider die unfrommen Künstler, die allerhand heidnisches Wesen in ihre Dar¬ stellung hineinziehen, das doch in der heiligen Schrift gar keinen Grund habe. Der damaligen Zeit galt eben die Bibel auch als Kodex ihrer ästhetischen An¬ schauungen, oder die Kunst nur als Hilfsmittel, um die Erzählungen der Evange¬ listen und Propheten auch den Schriftunkundigen in des Wortes eigentlicher Bedeutung „s.ä ovulos zu demonstriren." Wir wissen indes aus den Kunstwerken, daß oft genug auch in jener Zeit sich der Widerspruch gegen solche Vorschriften bei den Künstlern regte, und im dreizehnten Jahrhundert bekennt sich sogar schon ein Vertreter jener theologischen Kunstkritik, Durandus von Meute, resignirt zu der Anschauung des alten Horaz: ?ivtoMus s,tMv xostis HuMidot) imäsQÄi ssinxor 5uit g,s<i>la, potsstas. Diese liberale Auffassung von künstlerischer Freiheit ist freilich in den folgenden Jahrhunderten nicht allen seinen gottesgelahrten Kollegen eigen gewesen, aber man darf auch nicht vergessen, daß die Künstler seiner Zeit keinen Gebrauch von der ihnen eingeräumten Freiheit machen konnten, weil sie materiell und ideell von der Kirche durchaus abhängig waren und blieben. Erst mit dem Erwachen des Individualismus und der „freien Künste" im heutigen Wortsinne beginnt auch die Selbständigkeit der Künstler auf diesem Felde sich mehr geltend zu machen. Albrecht Dürer spricht gelegentlich die be¬ merkenswerten Worte, die in dem heißen Streite „Künstler vontrg, Kunstschreiber" von der erstgenannten Partei zu meinem Verwundern noch niemals als Wahl- . Spruch benutzt worden sind: „dy Kunst des malens kan nit woll geurteilt werden dann alleyn durch dye da selbs gut Moler sind, aber vyrwor den andern ist es verporgen wy dyr am fremde Sprach." Und doch standen wohl selten Künstler so sehr unter der Vormundschaft der gelehrten Bildung wie die der Renaissance, und derselbe Dürer, der die Einmischung der Laien in die Kunst¬ kritik so stolz ablehnt, fügte sich willig dem Programm eines Stadius und eines Pirkheimer bei der Anordnung der Triumphwagen sür Kaiser Max, und empfing sicherlich auch die Anregung zu vielen andern seiner uns heute oft nur schwer verständlichen Allegorien aus den gelehrten Kreisen seiner Umgebung, genau so, wie Naffael in Rom sich die Ideen zu seinen vatikanischen Fresken von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/421>, abgerufen am 17.06.2024.