Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

sition Bedenken gegen ein sofortiges Beschwören dieses Grundgesetzes durch den
König und den Prinzen als dessen voraussichtlichen nächsten Nachfolger und
fragte, ob man die Eidesleistung nicht erst nach einigen Jahren der Erfahrung
eintreten lassen könne. Der Prinz, meinte er dann, könne sich allerdings nicht
weigern, die Verfassung zu beschwören, da er sich dazu durch den bekannten
Brief an den König, datirt Brüssel, 30. Mai 1848, gewissermaßen im voraus
verbindlich gemacht habe. Darauf sagte der Prinz: "Dieser Brief verpflichtet
mich zu nichts. Lesen Sie ihn nur aufmerksam. Es heißt darin: "Ich werde der
Entwicklung dieser freien Institutionen mit Zuversicht und Treue alle meine Kräfte
widmen und sehe dem Augenblicke entgegen, wo ich der Verfassung, welche Eure
Majestät mit Ihrem Volke nach gewissenhafter Beratung zu vereinbaren im
Begriffe stehen, die Anerkennung erteilen werde, welche die Verfassungsurkunde
für den Thronfolger festsetzen wird." In den Worten "nach gewissenhafter Be¬
ratung" liegt die Möglichkeit meinerseits, diese Anerkennung zu verweigern, wenn
ich Dinge darin aufgenommen finde, die sich nach meiner Überzeugung mit dem
Wohle des Staates für die Zukunft nicht vertragen. Denn die Beurteilung,
ob gewissenhaft beraten worden ist, steht mir allein zu, wenn etwas von mir
verlangt wird, und bis jetzt wenigstens ist von selten der Nationalversammlung
nicht gewissenhaft, sondern nur leidenschaftlich beraten worden." So bedenklich
aber der Prinz bei der Vereinbarung auch war, und so sehr er sich die Mög¬
lichkeit wahren wollte, seine Anerkennung zu versagen, so treu und gewissenhaft
hielt er später, als die Eidesleistung seines Bruders, die auch ihn verpflichtete,
stattgefunden hatte, sein Wort und sprach bei seiner Thronbesteigung nicht einmal
einen Vorbehalt aus, wie sein Vorgänger in der Rede bei der Eidesleistung vom
6. Februar 1850, in der er erklärte: "Die Lebensbedingung der Verfassung ist,
daß mir das Regieren mit diesem Gesetze möglich gemacht werde."

Sehr interessant ist großenteils die Korrespondenz des Prinzen mit Schneider
als dem Herausgeber der genannten militärischen Blätter. Im Dezember 1848
übergab der Prinz letzterm eine von ihm verfaßte Kritik des von einer besondern
Militärkommission des deutschen Bundes ausgearbeiteten Entwurfs zu einer
deutschen Heerverfassung zu dem Zwecke, sie durchzusehen und für den Druck
vorzubereiten. Später, als Befehle zu einer neuen Einteilung der Kavallerie-
und Jnfanteriebrigaden ergingen, sandte der Prinz für die "Wehrzeitung" Ge¬
danken zu einem Artikel über die Sache ein, der, als er erschienen war, den
Kriegsminister veranlaßte, sich beim Könige über solche Opposition zu beklagen.
Im Jahre 1851 waren die Militärkonventionen Preußens mit den kleinern
deutschen Staaten Gegenstand vielfacher Erörterungen, und wieder ließ der Prinz
den Vertrauensmann in der Presse seine Ansicht über den Gegenstand ver¬
breiten, indem er ihm folgenden Entwurf zuschickte: "Diese Konventionen dürfen
von Preußen unter keiner Bedingung aufgegeben werden. Die alte Korps¬
formation des deutschen Bundes ist als wiederhergestellt zu betrachten. Wenn


Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

sition Bedenken gegen ein sofortiges Beschwören dieses Grundgesetzes durch den
König und den Prinzen als dessen voraussichtlichen nächsten Nachfolger und
fragte, ob man die Eidesleistung nicht erst nach einigen Jahren der Erfahrung
eintreten lassen könne. Der Prinz, meinte er dann, könne sich allerdings nicht
weigern, die Verfassung zu beschwören, da er sich dazu durch den bekannten
Brief an den König, datirt Brüssel, 30. Mai 1848, gewissermaßen im voraus
verbindlich gemacht habe. Darauf sagte der Prinz: „Dieser Brief verpflichtet
mich zu nichts. Lesen Sie ihn nur aufmerksam. Es heißt darin: »Ich werde der
Entwicklung dieser freien Institutionen mit Zuversicht und Treue alle meine Kräfte
widmen und sehe dem Augenblicke entgegen, wo ich der Verfassung, welche Eure
Majestät mit Ihrem Volke nach gewissenhafter Beratung zu vereinbaren im
Begriffe stehen, die Anerkennung erteilen werde, welche die Verfassungsurkunde
für den Thronfolger festsetzen wird.« In den Worten »nach gewissenhafter Be¬
ratung« liegt die Möglichkeit meinerseits, diese Anerkennung zu verweigern, wenn
ich Dinge darin aufgenommen finde, die sich nach meiner Überzeugung mit dem
Wohle des Staates für die Zukunft nicht vertragen. Denn die Beurteilung,
ob gewissenhaft beraten worden ist, steht mir allein zu, wenn etwas von mir
verlangt wird, und bis jetzt wenigstens ist von selten der Nationalversammlung
nicht gewissenhaft, sondern nur leidenschaftlich beraten worden." So bedenklich
aber der Prinz bei der Vereinbarung auch war, und so sehr er sich die Mög¬
lichkeit wahren wollte, seine Anerkennung zu versagen, so treu und gewissenhaft
hielt er später, als die Eidesleistung seines Bruders, die auch ihn verpflichtete,
stattgefunden hatte, sein Wort und sprach bei seiner Thronbesteigung nicht einmal
einen Vorbehalt aus, wie sein Vorgänger in der Rede bei der Eidesleistung vom
6. Februar 1850, in der er erklärte: „Die Lebensbedingung der Verfassung ist,
daß mir das Regieren mit diesem Gesetze möglich gemacht werde."

Sehr interessant ist großenteils die Korrespondenz des Prinzen mit Schneider
als dem Herausgeber der genannten militärischen Blätter. Im Dezember 1848
übergab der Prinz letzterm eine von ihm verfaßte Kritik des von einer besondern
Militärkommission des deutschen Bundes ausgearbeiteten Entwurfs zu einer
deutschen Heerverfassung zu dem Zwecke, sie durchzusehen und für den Druck
vorzubereiten. Später, als Befehle zu einer neuen Einteilung der Kavallerie-
und Jnfanteriebrigaden ergingen, sandte der Prinz für die „Wehrzeitung" Ge¬
danken zu einem Artikel über die Sache ein, der, als er erschienen war, den
Kriegsminister veranlaßte, sich beim Könige über solche Opposition zu beklagen.
Im Jahre 1851 waren die Militärkonventionen Preußens mit den kleinern
deutschen Staaten Gegenstand vielfacher Erörterungen, und wieder ließ der Prinz
den Vertrauensmann in der Presse seine Ansicht über den Gegenstand ver¬
breiten, indem er ihm folgenden Entwurf zuschickte: „Diese Konventionen dürfen
von Preußen unter keiner Bedingung aufgegeben werden. Die alte Korps¬
formation des deutschen Bundes ist als wiederhergestellt zu betrachten. Wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289614"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1657" prev="#ID_1656"> sition Bedenken gegen ein sofortiges Beschwören dieses Grundgesetzes durch den<lb/>
König und den Prinzen als dessen voraussichtlichen nächsten Nachfolger und<lb/>
fragte, ob man die Eidesleistung nicht erst nach einigen Jahren der Erfahrung<lb/>
eintreten lassen könne. Der Prinz, meinte er dann, könne sich allerdings nicht<lb/>
weigern, die Verfassung zu beschwören, da er sich dazu durch den bekannten<lb/>
Brief an den König, datirt Brüssel, 30. Mai 1848, gewissermaßen im voraus<lb/>
verbindlich gemacht habe. Darauf sagte der Prinz: &#x201E;Dieser Brief verpflichtet<lb/>
mich zu nichts. Lesen Sie ihn nur aufmerksam. Es heißt darin: »Ich werde der<lb/>
Entwicklung dieser freien Institutionen mit Zuversicht und Treue alle meine Kräfte<lb/>
widmen und sehe dem Augenblicke entgegen, wo ich der Verfassung, welche Eure<lb/>
Majestät mit Ihrem Volke nach gewissenhafter Beratung zu vereinbaren im<lb/>
Begriffe stehen, die Anerkennung erteilen werde, welche die Verfassungsurkunde<lb/>
für den Thronfolger festsetzen wird.« In den Worten »nach gewissenhafter Be¬<lb/>
ratung« liegt die Möglichkeit meinerseits, diese Anerkennung zu verweigern, wenn<lb/>
ich Dinge darin aufgenommen finde, die sich nach meiner Überzeugung mit dem<lb/>
Wohle des Staates für die Zukunft nicht vertragen. Denn die Beurteilung,<lb/>
ob gewissenhaft beraten worden ist, steht mir allein zu, wenn etwas von mir<lb/>
verlangt wird, und bis jetzt wenigstens ist von selten der Nationalversammlung<lb/>
nicht gewissenhaft, sondern nur leidenschaftlich beraten worden." So bedenklich<lb/>
aber der Prinz bei der Vereinbarung auch war, und so sehr er sich die Mög¬<lb/>
lichkeit wahren wollte, seine Anerkennung zu versagen, so treu und gewissenhaft<lb/>
hielt er später, als die Eidesleistung seines Bruders, die auch ihn verpflichtete,<lb/>
stattgefunden hatte, sein Wort und sprach bei seiner Thronbesteigung nicht einmal<lb/>
einen Vorbehalt aus, wie sein Vorgänger in der Rede bei der Eidesleistung vom<lb/>
6. Februar 1850, in der er erklärte: &#x201E;Die Lebensbedingung der Verfassung ist,<lb/>
daß mir das Regieren mit diesem Gesetze möglich gemacht werde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658" next="#ID_1659"> Sehr interessant ist großenteils die Korrespondenz des Prinzen mit Schneider<lb/>
als dem Herausgeber der genannten militärischen Blätter. Im Dezember 1848<lb/>
übergab der Prinz letzterm eine von ihm verfaßte Kritik des von einer besondern<lb/>
Militärkommission des deutschen Bundes ausgearbeiteten Entwurfs zu einer<lb/>
deutschen Heerverfassung zu dem Zwecke, sie durchzusehen und für den Druck<lb/>
vorzubereiten. Später, als Befehle zu einer neuen Einteilung der Kavallerie-<lb/>
und Jnfanteriebrigaden ergingen, sandte der Prinz für die &#x201E;Wehrzeitung" Ge¬<lb/>
danken zu einem Artikel über die Sache ein, der, als er erschienen war, den<lb/>
Kriegsminister veranlaßte, sich beim Könige über solche Opposition zu beklagen.<lb/>
Im Jahre 1851 waren die Militärkonventionen Preußens mit den kleinern<lb/>
deutschen Staaten Gegenstand vielfacher Erörterungen, und wieder ließ der Prinz<lb/>
den Vertrauensmann in der Presse seine Ansicht über den Gegenstand ver¬<lb/>
breiten, indem er ihm folgenden Entwurf zuschickte: &#x201E;Diese Konventionen dürfen<lb/>
von Preußen unter keiner Bedingung aufgegeben werden. Die alte Korps¬<lb/>
formation des deutschen Bundes ist als wiederhergestellt zu betrachten. Wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0491] Aus dem Leben Kaiser Wilhelms. sition Bedenken gegen ein sofortiges Beschwören dieses Grundgesetzes durch den König und den Prinzen als dessen voraussichtlichen nächsten Nachfolger und fragte, ob man die Eidesleistung nicht erst nach einigen Jahren der Erfahrung eintreten lassen könne. Der Prinz, meinte er dann, könne sich allerdings nicht weigern, die Verfassung zu beschwören, da er sich dazu durch den bekannten Brief an den König, datirt Brüssel, 30. Mai 1848, gewissermaßen im voraus verbindlich gemacht habe. Darauf sagte der Prinz: „Dieser Brief verpflichtet mich zu nichts. Lesen Sie ihn nur aufmerksam. Es heißt darin: »Ich werde der Entwicklung dieser freien Institutionen mit Zuversicht und Treue alle meine Kräfte widmen und sehe dem Augenblicke entgegen, wo ich der Verfassung, welche Eure Majestät mit Ihrem Volke nach gewissenhafter Beratung zu vereinbaren im Begriffe stehen, die Anerkennung erteilen werde, welche die Verfassungsurkunde für den Thronfolger festsetzen wird.« In den Worten »nach gewissenhafter Be¬ ratung« liegt die Möglichkeit meinerseits, diese Anerkennung zu verweigern, wenn ich Dinge darin aufgenommen finde, die sich nach meiner Überzeugung mit dem Wohle des Staates für die Zukunft nicht vertragen. Denn die Beurteilung, ob gewissenhaft beraten worden ist, steht mir allein zu, wenn etwas von mir verlangt wird, und bis jetzt wenigstens ist von selten der Nationalversammlung nicht gewissenhaft, sondern nur leidenschaftlich beraten worden." So bedenklich aber der Prinz bei der Vereinbarung auch war, und so sehr er sich die Mög¬ lichkeit wahren wollte, seine Anerkennung zu versagen, so treu und gewissenhaft hielt er später, als die Eidesleistung seines Bruders, die auch ihn verpflichtete, stattgefunden hatte, sein Wort und sprach bei seiner Thronbesteigung nicht einmal einen Vorbehalt aus, wie sein Vorgänger in der Rede bei der Eidesleistung vom 6. Februar 1850, in der er erklärte: „Die Lebensbedingung der Verfassung ist, daß mir das Regieren mit diesem Gesetze möglich gemacht werde." Sehr interessant ist großenteils die Korrespondenz des Prinzen mit Schneider als dem Herausgeber der genannten militärischen Blätter. Im Dezember 1848 übergab der Prinz letzterm eine von ihm verfaßte Kritik des von einer besondern Militärkommission des deutschen Bundes ausgearbeiteten Entwurfs zu einer deutschen Heerverfassung zu dem Zwecke, sie durchzusehen und für den Druck vorzubereiten. Später, als Befehle zu einer neuen Einteilung der Kavallerie- und Jnfanteriebrigaden ergingen, sandte der Prinz für die „Wehrzeitung" Ge¬ danken zu einem Artikel über die Sache ein, der, als er erschienen war, den Kriegsminister veranlaßte, sich beim Könige über solche Opposition zu beklagen. Im Jahre 1851 waren die Militärkonventionen Preußens mit den kleinern deutschen Staaten Gegenstand vielfacher Erörterungen, und wieder ließ der Prinz den Vertrauensmann in der Presse seine Ansicht über den Gegenstand ver¬ breiten, indem er ihm folgenden Entwurf zuschickte: „Diese Konventionen dürfen von Preußen unter keiner Bedingung aufgegeben werden. Die alte Korps¬ formation des deutschen Bundes ist als wiederhergestellt zu betrachten. Wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/491
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/491>, abgerufen am 17.06.2024.