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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

finden! Und dann an einem andern Punkte von vorn anzufangen genau mit
demselben Erfolge, und wieder und wieder! Und dann, was vielleicht das Schmerz¬
lichste von allem ist, sich verkannt, verachtet zu sehen von edeln Männern und
Frauen, zu denen man trotz der verschiednen Überzeugung mit Bewunderung
und Ehrfurcht aussieht! Und doch muß es so sein, es kaun nicht anders sein.
Eine Opposition soll nicht erwarten, daß sie deswegen angegriffen wird, was
sie wirklich ist und will, sondern einzig und allein deswegen, was die Macht
glauben will, daß sie sei und denke; und außerdem, die Macht, die dem Schwachen
gegenüber gebraucht wird, und der Mißbrauch der Macht, wie soll sich das
trennen lassen? Denn das wird doch wohl niemand verlangen, daß sich die
Macht selber schwach machen soll, um gegen die Opposition mit gleichen Waffen
kämpfen zu können. Aber darum bleibt der Kampf der Opposition doch ebenso
schmerzlich, ebenso aufreibend. Und glauben Sie denn wirklich, Lyhne, daß ein
Mann den Kampf wirklich kämpfen kann, sobald alle diese Geierschnabel auf
ihn loshacken, wenn ihm die zähe, blinde Begeisterung fehlt, die man Fana¬
tismus nennt? Und wie in aller Welt soll er etwas Negativen gegenüber
fanatisch werden? Fanatisch begeistert für die Idee, daß es keinen Gott giebt!
Und ohne Fanatismus kein Sieg! Hören Sie wohl?

Sie standen vor einem Erdgeschoß, wo man einen der Vorhänge aufge¬
zogen hatte, und durch die geöffnete Luftscheibe klang es von klaren Frauen-
und Kinderstimmen hinaus zu ihnen:

Schweigend gingen sie weiter. Die Melodie, namentlich die Töne des
Flügels, folgten ihnen die stille Straße hinab.

Hörten Sie wohl, begann Hjerrild, die Begeisterung, die durch dies alte
hebräische Siegeshurrah hindurchklang? und diese beiden jüdischen Städtenamen!
Jerusalem, das war nicht nur symbolisch, die ganze Stadt, Kopenhagen, Däne¬
mark; das sind wir, das christliche Volk der Völker!

Es giebt keinen Gott, und der Mensch ist sein Prophet, sagte Ricks bitter,
aber auch tiefbetrübt.

Ja, nicht wahr? spottete Hjerrild. Nach einer kleinen Weile sagte er:
Der Atheismus ist doch grenzenlos nüchtern, und sein Endziel ist doch schließlich
nichts andres als eine Menschheit ohne alle Illusion. Der Glaube an den
leitenden, richtenden Gott, das ist die letzte, große Illusion der Menschheit, und
wenn sie diese verloren hat, was dann? Dann ist sie klüger geworden, aber
reicher, glücklicher? das glaube ich nicht.

Aber, rief Ricks aus, begreifen Sie denn nicht, daß an dem Tage, wo
die Menschheit frei jubeln kann: Es giebt keinen Gott! daß an dem Tage wie
auf einen Zauberschlag ein neuer Himmel und eine neue Erde entsteht? Erst


Ricks Lyhne.

finden! Und dann an einem andern Punkte von vorn anzufangen genau mit
demselben Erfolge, und wieder und wieder! Und dann, was vielleicht das Schmerz¬
lichste von allem ist, sich verkannt, verachtet zu sehen von edeln Männern und
Frauen, zu denen man trotz der verschiednen Überzeugung mit Bewunderung
und Ehrfurcht aussieht! Und doch muß es so sein, es kaun nicht anders sein.
Eine Opposition soll nicht erwarten, daß sie deswegen angegriffen wird, was
sie wirklich ist und will, sondern einzig und allein deswegen, was die Macht
glauben will, daß sie sei und denke; und außerdem, die Macht, die dem Schwachen
gegenüber gebraucht wird, und der Mißbrauch der Macht, wie soll sich das
trennen lassen? Denn das wird doch wohl niemand verlangen, daß sich die
Macht selber schwach machen soll, um gegen die Opposition mit gleichen Waffen
kämpfen zu können. Aber darum bleibt der Kampf der Opposition doch ebenso
schmerzlich, ebenso aufreibend. Und glauben Sie denn wirklich, Lyhne, daß ein
Mann den Kampf wirklich kämpfen kann, sobald alle diese Geierschnabel auf
ihn loshacken, wenn ihm die zähe, blinde Begeisterung fehlt, die man Fana¬
tismus nennt? Und wie in aller Welt soll er etwas Negativen gegenüber
fanatisch werden? Fanatisch begeistert für die Idee, daß es keinen Gott giebt!
Und ohne Fanatismus kein Sieg! Hören Sie wohl?

Sie standen vor einem Erdgeschoß, wo man einen der Vorhänge aufge¬
zogen hatte, und durch die geöffnete Luftscheibe klang es von klaren Frauen-
und Kinderstimmen hinaus zu ihnen:

Schweigend gingen sie weiter. Die Melodie, namentlich die Töne des
Flügels, folgten ihnen die stille Straße hinab.

Hörten Sie wohl, begann Hjerrild, die Begeisterung, die durch dies alte
hebräische Siegeshurrah hindurchklang? und diese beiden jüdischen Städtenamen!
Jerusalem, das war nicht nur symbolisch, die ganze Stadt, Kopenhagen, Däne¬
mark; das sind wir, das christliche Volk der Völker!

Es giebt keinen Gott, und der Mensch ist sein Prophet, sagte Ricks bitter,
aber auch tiefbetrübt.

Ja, nicht wahr? spottete Hjerrild. Nach einer kleinen Weile sagte er:
Der Atheismus ist doch grenzenlos nüchtern, und sein Endziel ist doch schließlich
nichts andres als eine Menschheit ohne alle Illusion. Der Glaube an den
leitenden, richtenden Gott, das ist die letzte, große Illusion der Menschheit, und
wenn sie diese verloren hat, was dann? Dann ist sie klüger geworden, aber
reicher, glücklicher? das glaube ich nicht.

Aber, rief Ricks aus, begreifen Sie denn nicht, daß an dem Tage, wo
die Menschheit frei jubeln kann: Es giebt keinen Gott! daß an dem Tage wie
auf einen Zauberschlag ein neuer Himmel und eine neue Erde entsteht? Erst


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[0099] Ricks Lyhne. finden! Und dann an einem andern Punkte von vorn anzufangen genau mit demselben Erfolge, und wieder und wieder! Und dann, was vielleicht das Schmerz¬ lichste von allem ist, sich verkannt, verachtet zu sehen von edeln Männern und Frauen, zu denen man trotz der verschiednen Überzeugung mit Bewunderung und Ehrfurcht aussieht! Und doch muß es so sein, es kaun nicht anders sein. Eine Opposition soll nicht erwarten, daß sie deswegen angegriffen wird, was sie wirklich ist und will, sondern einzig und allein deswegen, was die Macht glauben will, daß sie sei und denke; und außerdem, die Macht, die dem Schwachen gegenüber gebraucht wird, und der Mißbrauch der Macht, wie soll sich das trennen lassen? Denn das wird doch wohl niemand verlangen, daß sich die Macht selber schwach machen soll, um gegen die Opposition mit gleichen Waffen kämpfen zu können. Aber darum bleibt der Kampf der Opposition doch ebenso schmerzlich, ebenso aufreibend. Und glauben Sie denn wirklich, Lyhne, daß ein Mann den Kampf wirklich kämpfen kann, sobald alle diese Geierschnabel auf ihn loshacken, wenn ihm die zähe, blinde Begeisterung fehlt, die man Fana¬ tismus nennt? Und wie in aller Welt soll er etwas Negativen gegenüber fanatisch werden? Fanatisch begeistert für die Idee, daß es keinen Gott giebt! Und ohne Fanatismus kein Sieg! Hören Sie wohl? Sie standen vor einem Erdgeschoß, wo man einen der Vorhänge aufge¬ zogen hatte, und durch die geöffnete Luftscheibe klang es von klaren Frauen- und Kinderstimmen hinaus zu ihnen: Schweigend gingen sie weiter. Die Melodie, namentlich die Töne des Flügels, folgten ihnen die stille Straße hinab. Hörten Sie wohl, begann Hjerrild, die Begeisterung, die durch dies alte hebräische Siegeshurrah hindurchklang? und diese beiden jüdischen Städtenamen! Jerusalem, das war nicht nur symbolisch, die ganze Stadt, Kopenhagen, Däne¬ mark; das sind wir, das christliche Volk der Völker! Es giebt keinen Gott, und der Mensch ist sein Prophet, sagte Ricks bitter, aber auch tiefbetrübt. Ja, nicht wahr? spottete Hjerrild. Nach einer kleinen Weile sagte er: Der Atheismus ist doch grenzenlos nüchtern, und sein Endziel ist doch schließlich nichts andres als eine Menschheit ohne alle Illusion. Der Glaube an den leitenden, richtenden Gott, das ist die letzte, große Illusion der Menschheit, und wenn sie diese verloren hat, was dann? Dann ist sie klüger geworden, aber reicher, glücklicher? das glaube ich nicht. Aber, rief Ricks aus, begreifen Sie denn nicht, daß an dem Tage, wo die Menschheit frei jubeln kann: Es giebt keinen Gott! daß an dem Tage wie auf einen Zauberschlag ein neuer Himmel und eine neue Erde entsteht? Erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/99>, abgerufen am 17.06.2024.