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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen Heere

modernen Vorstellungen, sofern sie liberaler d. h. in diesem Falle uivellirender
Art sind, wohl auch der Gleichberechtigung des bürgerlichen Elementes im Heere,
nachdem dessen Verbreitung darin nicht mehr zu hindern ist, als geschlossenes
Ganze schroff gegenüber. Sein Interesse und vielfach auch sein Gesichtskreis
ist vom Dienst, von dein Fnmiliengrundbesitz, wo ein solcher vorhanden ist,
und der Familiengeschichte ausgefüllt; seine Gesinnungsgenossen im Reichstage
sind die Herren von Minnigerode, von Hammerstein, von Kleist-Retzow, von
Rauchhaupt und andre, sein Blatt die Krenzzeitllng, und der Mann der
Neuerungen, der Reichskanzler, gilt ihnen als ein Abtrünniger seiner Standes¬
genossen, als eine Art von Antichrist. Jedes einzelne Mitglied dieses
Adels im Heere aber verkörpert gleichsam für sich einen Kodex und ein
Kompendium altpreußischer Heeresvvrschriften und Überlieferungen, lind an Er¬
gebenheit, Opfermut, Treue gegen sein Fürstenhaus und die jeweilige Person
des Regenten und Kriegsherrn, in Summa an Loyalität, suchen sie ihresgleichen.
Von ihren Vorfahren, den Inhabern hoher Stellen im Heere, haben sie mit
deren erblicher Anwartschaft ans die letzteren selbstverständlich auch deren
politische lind soziale Anschauungen geerbt, die im Laufe von hundert Jahren
natürlich weniger Veränderungen erfahren haben, als es während dieser Zeit in
andern Kreisen der Fall gewesen ist. Insbesondre sind diese Anschauungen von
deu alles nivellirenden Vorstellungen der Gegenwart weniger berührt worden, ja
sie befinden sich dazu in oft verblüffenden Gegensatze. Aber eines besitzt doch
diese Klasse von Offizieren, was sie zu einem im höchsten Grade wertvollen
Material des deutschen Heeres der Gegenwart macht: sie haben aus frühern.
Zeiten ein Kleinod gehütet und in unsre ganz anders geartete Zeit herüber¬
gerettet, das dem Bewußtsein der letztern, deren Richtung in der Leugnung
jeder göttlichen und menschlichen Autorität gipfelt, immer mehr zu entschwinden
droht, und das dem kaiserlichen Heere unentbehrlich ist: die Loyalität, die
konkrete, der jeweiligen Person des Regenten und obersten Kriegsherrn ohne
alle Rücksicht ans dessen persönliche Eigenschaften zugewandte, aufopferungs-
fähige und todesmutige Anhänglichkeit, die Treue und Pietät gegen den Fürsten,
mit dessen Vorfahren die ihrigen vielleicht Jahrhunderte lang durch dieselben
Bande verknüpft gewesen sind.

Eine ganz andre Richtung und Strömung vertritt das bürgerliche Element
im Heere. Unter dem letzter" verstehe ich ebenfalls nicht den ersten besten
Offizier bürgerlicher Herkunft im Gegensatze zum üblichen. Wenn ich vom
bürgerlichen Elemente spreche, so verstehe ich daruUter diejenigen bürgerlichen
Offiziere, oder richtig gesagt diejenigen der feudalen und hochkonservativen
Richtung nicht ungehörigen Offiziere (unter denen sich ja auch adliche befinden
können), welche auf der Höhe der Anschauungen wie der Aufgaben unsrer Zeit
stehen, ihren Bestrebungen und Neuerungen -- anch den nivellirenden, sofern
sie nicht zerstörender Natur sind -- zugethan sind und sich in ihren Dienst


Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen Heere

modernen Vorstellungen, sofern sie liberaler d. h. in diesem Falle uivellirender
Art sind, wohl auch der Gleichberechtigung des bürgerlichen Elementes im Heere,
nachdem dessen Verbreitung darin nicht mehr zu hindern ist, als geschlossenes
Ganze schroff gegenüber. Sein Interesse und vielfach auch sein Gesichtskreis
ist vom Dienst, von dein Fnmiliengrundbesitz, wo ein solcher vorhanden ist,
und der Familiengeschichte ausgefüllt; seine Gesinnungsgenossen im Reichstage
sind die Herren von Minnigerode, von Hammerstein, von Kleist-Retzow, von
Rauchhaupt und andre, sein Blatt die Krenzzeitllng, und der Mann der
Neuerungen, der Reichskanzler, gilt ihnen als ein Abtrünniger seiner Standes¬
genossen, als eine Art von Antichrist. Jedes einzelne Mitglied dieses
Adels im Heere aber verkörpert gleichsam für sich einen Kodex und ein
Kompendium altpreußischer Heeresvvrschriften und Überlieferungen, lind an Er¬
gebenheit, Opfermut, Treue gegen sein Fürstenhaus und die jeweilige Person
des Regenten und Kriegsherrn, in Summa an Loyalität, suchen sie ihresgleichen.
Von ihren Vorfahren, den Inhabern hoher Stellen im Heere, haben sie mit
deren erblicher Anwartschaft ans die letzteren selbstverständlich auch deren
politische lind soziale Anschauungen geerbt, die im Laufe von hundert Jahren
natürlich weniger Veränderungen erfahren haben, als es während dieser Zeit in
andern Kreisen der Fall gewesen ist. Insbesondre sind diese Anschauungen von
deu alles nivellirenden Vorstellungen der Gegenwart weniger berührt worden, ja
sie befinden sich dazu in oft verblüffenden Gegensatze. Aber eines besitzt doch
diese Klasse von Offizieren, was sie zu einem im höchsten Grade wertvollen
Material des deutschen Heeres der Gegenwart macht: sie haben aus frühern.
Zeiten ein Kleinod gehütet und in unsre ganz anders geartete Zeit herüber¬
gerettet, das dem Bewußtsein der letztern, deren Richtung in der Leugnung
jeder göttlichen und menschlichen Autorität gipfelt, immer mehr zu entschwinden
droht, und das dem kaiserlichen Heere unentbehrlich ist: die Loyalität, die
konkrete, der jeweiligen Person des Regenten und obersten Kriegsherrn ohne
alle Rücksicht ans dessen persönliche Eigenschaften zugewandte, aufopferungs-
fähige und todesmutige Anhänglichkeit, die Treue und Pietät gegen den Fürsten,
mit dessen Vorfahren die ihrigen vielleicht Jahrhunderte lang durch dieselben
Bande verknüpft gewesen sind.

Eine ganz andre Richtung und Strömung vertritt das bürgerliche Element
im Heere. Unter dem letzter» verstehe ich ebenfalls nicht den ersten besten
Offizier bürgerlicher Herkunft im Gegensatze zum üblichen. Wenn ich vom
bürgerlichen Elemente spreche, so verstehe ich daruUter diejenigen bürgerlichen
Offiziere, oder richtig gesagt diejenigen der feudalen und hochkonservativen
Richtung nicht ungehörigen Offiziere (unter denen sich ja auch adliche befinden
können), welche auf der Höhe der Anschauungen wie der Aufgaben unsrer Zeit
stehen, ihren Bestrebungen und Neuerungen — anch den nivellirenden, sofern
sie nicht zerstörender Natur sind — zugethan sind und sich in ihren Dienst


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[0012] Das adliche und das bürgerliche Element im deutschen Heere modernen Vorstellungen, sofern sie liberaler d. h. in diesem Falle uivellirender Art sind, wohl auch der Gleichberechtigung des bürgerlichen Elementes im Heere, nachdem dessen Verbreitung darin nicht mehr zu hindern ist, als geschlossenes Ganze schroff gegenüber. Sein Interesse und vielfach auch sein Gesichtskreis ist vom Dienst, von dein Fnmiliengrundbesitz, wo ein solcher vorhanden ist, und der Familiengeschichte ausgefüllt; seine Gesinnungsgenossen im Reichstage sind die Herren von Minnigerode, von Hammerstein, von Kleist-Retzow, von Rauchhaupt und andre, sein Blatt die Krenzzeitllng, und der Mann der Neuerungen, der Reichskanzler, gilt ihnen als ein Abtrünniger seiner Standes¬ genossen, als eine Art von Antichrist. Jedes einzelne Mitglied dieses Adels im Heere aber verkörpert gleichsam für sich einen Kodex und ein Kompendium altpreußischer Heeresvvrschriften und Überlieferungen, lind an Er¬ gebenheit, Opfermut, Treue gegen sein Fürstenhaus und die jeweilige Person des Regenten und Kriegsherrn, in Summa an Loyalität, suchen sie ihresgleichen. Von ihren Vorfahren, den Inhabern hoher Stellen im Heere, haben sie mit deren erblicher Anwartschaft ans die letzteren selbstverständlich auch deren politische lind soziale Anschauungen geerbt, die im Laufe von hundert Jahren natürlich weniger Veränderungen erfahren haben, als es während dieser Zeit in andern Kreisen der Fall gewesen ist. Insbesondre sind diese Anschauungen von deu alles nivellirenden Vorstellungen der Gegenwart weniger berührt worden, ja sie befinden sich dazu in oft verblüffenden Gegensatze. Aber eines besitzt doch diese Klasse von Offizieren, was sie zu einem im höchsten Grade wertvollen Material des deutschen Heeres der Gegenwart macht: sie haben aus frühern. Zeiten ein Kleinod gehütet und in unsre ganz anders geartete Zeit herüber¬ gerettet, das dem Bewußtsein der letztern, deren Richtung in der Leugnung jeder göttlichen und menschlichen Autorität gipfelt, immer mehr zu entschwinden droht, und das dem kaiserlichen Heere unentbehrlich ist: die Loyalität, die konkrete, der jeweiligen Person des Regenten und obersten Kriegsherrn ohne alle Rücksicht ans dessen persönliche Eigenschaften zugewandte, aufopferungs- fähige und todesmutige Anhänglichkeit, die Treue und Pietät gegen den Fürsten, mit dessen Vorfahren die ihrigen vielleicht Jahrhunderte lang durch dieselben Bande verknüpft gewesen sind. Eine ganz andre Richtung und Strömung vertritt das bürgerliche Element im Heere. Unter dem letzter» verstehe ich ebenfalls nicht den ersten besten Offizier bürgerlicher Herkunft im Gegensatze zum üblichen. Wenn ich vom bürgerlichen Elemente spreche, so verstehe ich daruUter diejenigen bürgerlichen Offiziere, oder richtig gesagt diejenigen der feudalen und hochkonservativen Richtung nicht ungehörigen Offiziere (unter denen sich ja auch adliche befinden können), welche auf der Höhe der Anschauungen wie der Aufgaben unsrer Zeit stehen, ihren Bestrebungen und Neuerungen — anch den nivellirenden, sofern sie nicht zerstörender Natur sind — zugethan sind und sich in ihren Dienst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/12>, abgerufen am 25.05.2024.