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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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und würde auch sachlich nur sehr beschränkt sein, insofern, als die innern
Einrichtungen der öffentlichen Anstalten und ihre zeitgemäße Fortbildung
dein Einflüsse des Reiches in der Hauptsache entzogen wären. Es ist
aber in hohem Grade wünschenswert, daß das gerade Gegenteil stattfinde,
dergestalt, daß die Einwirkung des Reiches auf die einzelnen Anstalten
möglichst stark und unmittelbar ist, um sie zur Vervollkommnung ihrer Ein¬
richtungen und zur weitern Ausdehnung ihres Wirkungskreises zu veranlassen,
und so zur Lösung ihrer volkswirtschaftlichen Aufgaben und zum Wettstreit und den
Privatunternehmungen immer mehr zu befähigen. Die Möglichkeit hierzu ist
gegeben, dadurch daß die Reichszentralstelle auf Grundlage einer Vereinbarung
mit den einzelnen öffentlichen Anstalten diesen die Mittel bietet, die ihnen ver¬
möge ihrer Organisation und ihres beschränkten Wirkungsgebietes im ver¬
sicherungstechnischen Sinne anhaftenden natürlichen Mängel zu mindern, wenn
nicht ganz zu beseitigen. In welcher Weise dies zu geschehen hat, wird durch
eine kurze Darlegung dieser Mängel sofort klar werden. Diese bestehen in
der Hauptsache in dem Unvermögen, eine genügende Verteilung der Gefahr,
gegen welche Versicherung geleistet wird, herbeizuführen. Jedes Versicherungs¬
unternehmen muß, wenn es dauernd und in sich lebensfähig sein will, im
Stande fein, mit dein mathematischen Gesetz der großen Zahlen zu rechnen,
es muß mit andern Worten eine genügend große Anzahl von Risiken gleicher
Gattung und ungefähr gleicher Größe in sich aufnehmen, um zeitlich eine un¬
gefähre Gleichmäßigkeit der Schadenstelle in Bezug auf ihre Zahl und Höhe
zu erreichen. Ist diese Voraussetzung nicht vorhanden, so tritt ein Schwanken
der Schädenziffer ein, dergestalt, daß sie zu einer Zeit weit über die Ein¬
nahmen hinausgehen, zu andrer Zeit weit dahinter zurückbleiben kauu. Daß
damit jede Sicherheit und Festigkeit des Unternehmens in sich verloren
gehen muß, liegt auf der Hand. Die größeren Privatanstalten und namentlich
die Erwerbsgesellschaften schlitzen sich gegen diese Möglichkeit dadurch, daß sie
ihr Geschnftsgebiet möglichst weit ausdehnen, daß sie ihre Versicherungen an
ein und demselben Flecke, soweit sie durch ein und denselben Brand in Mitleiden¬
schaft gezogen werden können, beschränken, indem sie entweder über eine gewisse
Summe hinaus keine weitern Versicherungen übernehmen, oder die über einen
bestimmten Betrag hinaus übernommenen Versicherungen bei andern Gesell¬
schaften "rückversichern." Alle diese Mittel fehlen den öffentlichen Anstalten
entweder ganz, oder sie stehen ihnen nur in sehr geringem Maße zu Gebote.
Sie können ihr Geschäfts gebiet nicht über die Grenzen ihres Landes, ihrer
Provinz oder ihres Gemeindeverbandes ausdehnen, es liegt ihnen -- allerdings
unter mehr oder minder großen Einschränkungen -- die Pflicht zur Annahme
der ihnen angebotenen Versicherungen innerhalb ihres Gebietes ob, und es
steht ihnen schließlich das Mittel der Rückversicherung, um ihre Verpflichtung
an einem Orte zu vermindern, nur in sehr geringem Grade zu Gebote. In


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und würde auch sachlich nur sehr beschränkt sein, insofern, als die innern
Einrichtungen der öffentlichen Anstalten und ihre zeitgemäße Fortbildung
dein Einflüsse des Reiches in der Hauptsache entzogen wären. Es ist
aber in hohem Grade wünschenswert, daß das gerade Gegenteil stattfinde,
dergestalt, daß die Einwirkung des Reiches auf die einzelnen Anstalten
möglichst stark und unmittelbar ist, um sie zur Vervollkommnung ihrer Ein¬
richtungen und zur weitern Ausdehnung ihres Wirkungskreises zu veranlassen,
und so zur Lösung ihrer volkswirtschaftlichen Aufgaben und zum Wettstreit und den
Privatunternehmungen immer mehr zu befähigen. Die Möglichkeit hierzu ist
gegeben, dadurch daß die Reichszentralstelle auf Grundlage einer Vereinbarung
mit den einzelnen öffentlichen Anstalten diesen die Mittel bietet, die ihnen ver¬
möge ihrer Organisation und ihres beschränkten Wirkungsgebietes im ver¬
sicherungstechnischen Sinne anhaftenden natürlichen Mängel zu mindern, wenn
nicht ganz zu beseitigen. In welcher Weise dies zu geschehen hat, wird durch
eine kurze Darlegung dieser Mängel sofort klar werden. Diese bestehen in
der Hauptsache in dem Unvermögen, eine genügende Verteilung der Gefahr,
gegen welche Versicherung geleistet wird, herbeizuführen. Jedes Versicherungs¬
unternehmen muß, wenn es dauernd und in sich lebensfähig sein will, im
Stande fein, mit dein mathematischen Gesetz der großen Zahlen zu rechnen,
es muß mit andern Worten eine genügend große Anzahl von Risiken gleicher
Gattung und ungefähr gleicher Größe in sich aufnehmen, um zeitlich eine un¬
gefähre Gleichmäßigkeit der Schadenstelle in Bezug auf ihre Zahl und Höhe
zu erreichen. Ist diese Voraussetzung nicht vorhanden, so tritt ein Schwanken
der Schädenziffer ein, dergestalt, daß sie zu einer Zeit weit über die Ein¬
nahmen hinausgehen, zu andrer Zeit weit dahinter zurückbleiben kauu. Daß
damit jede Sicherheit und Festigkeit des Unternehmens in sich verloren
gehen muß, liegt auf der Hand. Die größeren Privatanstalten und namentlich
die Erwerbsgesellschaften schlitzen sich gegen diese Möglichkeit dadurch, daß sie
ihr Geschnftsgebiet möglichst weit ausdehnen, daß sie ihre Versicherungen an
ein und demselben Flecke, soweit sie durch ein und denselben Brand in Mitleiden¬
schaft gezogen werden können, beschränken, indem sie entweder über eine gewisse
Summe hinaus keine weitern Versicherungen übernehmen, oder die über einen
bestimmten Betrag hinaus übernommenen Versicherungen bei andern Gesell¬
schaften „rückversichern." Alle diese Mittel fehlen den öffentlichen Anstalten
entweder ganz, oder sie stehen ihnen nur in sehr geringem Maße zu Gebote.
Sie können ihr Geschäfts gebiet nicht über die Grenzen ihres Landes, ihrer
Provinz oder ihres Gemeindeverbandes ausdehnen, es liegt ihnen — allerdings
unter mehr oder minder großen Einschränkungen — die Pflicht zur Annahme
der ihnen angebotenen Versicherungen innerhalb ihres Gebietes ob, und es
steht ihnen schließlich das Mittel der Rückversicherung, um ihre Verpflichtung
an einem Orte zu vermindern, nur in sehr geringem Grade zu Gebote. In


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[0215] Weiteres zur Versicherungswesen und würde auch sachlich nur sehr beschränkt sein, insofern, als die innern Einrichtungen der öffentlichen Anstalten und ihre zeitgemäße Fortbildung dein Einflüsse des Reiches in der Hauptsache entzogen wären. Es ist aber in hohem Grade wünschenswert, daß das gerade Gegenteil stattfinde, dergestalt, daß die Einwirkung des Reiches auf die einzelnen Anstalten möglichst stark und unmittelbar ist, um sie zur Vervollkommnung ihrer Ein¬ richtungen und zur weitern Ausdehnung ihres Wirkungskreises zu veranlassen, und so zur Lösung ihrer volkswirtschaftlichen Aufgaben und zum Wettstreit und den Privatunternehmungen immer mehr zu befähigen. Die Möglichkeit hierzu ist gegeben, dadurch daß die Reichszentralstelle auf Grundlage einer Vereinbarung mit den einzelnen öffentlichen Anstalten diesen die Mittel bietet, die ihnen ver¬ möge ihrer Organisation und ihres beschränkten Wirkungsgebietes im ver¬ sicherungstechnischen Sinne anhaftenden natürlichen Mängel zu mindern, wenn nicht ganz zu beseitigen. In welcher Weise dies zu geschehen hat, wird durch eine kurze Darlegung dieser Mängel sofort klar werden. Diese bestehen in der Hauptsache in dem Unvermögen, eine genügende Verteilung der Gefahr, gegen welche Versicherung geleistet wird, herbeizuführen. Jedes Versicherungs¬ unternehmen muß, wenn es dauernd und in sich lebensfähig sein will, im Stande fein, mit dein mathematischen Gesetz der großen Zahlen zu rechnen, es muß mit andern Worten eine genügend große Anzahl von Risiken gleicher Gattung und ungefähr gleicher Größe in sich aufnehmen, um zeitlich eine un¬ gefähre Gleichmäßigkeit der Schadenstelle in Bezug auf ihre Zahl und Höhe zu erreichen. Ist diese Voraussetzung nicht vorhanden, so tritt ein Schwanken der Schädenziffer ein, dergestalt, daß sie zu einer Zeit weit über die Ein¬ nahmen hinausgehen, zu andrer Zeit weit dahinter zurückbleiben kauu. Daß damit jede Sicherheit und Festigkeit des Unternehmens in sich verloren gehen muß, liegt auf der Hand. Die größeren Privatanstalten und namentlich die Erwerbsgesellschaften schlitzen sich gegen diese Möglichkeit dadurch, daß sie ihr Geschnftsgebiet möglichst weit ausdehnen, daß sie ihre Versicherungen an ein und demselben Flecke, soweit sie durch ein und denselben Brand in Mitleiden¬ schaft gezogen werden können, beschränken, indem sie entweder über eine gewisse Summe hinaus keine weitern Versicherungen übernehmen, oder die über einen bestimmten Betrag hinaus übernommenen Versicherungen bei andern Gesell¬ schaften „rückversichern." Alle diese Mittel fehlen den öffentlichen Anstalten entweder ganz, oder sie stehen ihnen nur in sehr geringem Maße zu Gebote. Sie können ihr Geschäfts gebiet nicht über die Grenzen ihres Landes, ihrer Provinz oder ihres Gemeindeverbandes ausdehnen, es liegt ihnen — allerdings unter mehr oder minder großen Einschränkungen — die Pflicht zur Annahme der ihnen angebotenen Versicherungen innerhalb ihres Gebietes ob, und es steht ihnen schließlich das Mittel der Rückversicherung, um ihre Verpflichtung an einem Orte zu vermindern, nur in sehr geringem Grade zu Gebote. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/215>, abgerufen am 17.06.2024.