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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Schillerhetzer

gegen Schiller das Werk lobte und dem Dichter bei seiner Abfahrt einen
brillantenen Ring verehrte. (Schiller an seinen Schwager Wolzogen 4. Sep¬
tember 1803.) Das Verhältnis zu der Geliebten (!) Schillers, Charlotte von
Kalb, giebt dann Anlaß zu einer endlosen Reihe von Kapiteln über diese Frau,
von der Brunner nicht weiß, ob er sie mit mehr Wirkung als Verrückte,
Schwindlerin und Kokette oder als gefährliche "Antichristin" darstellen soll; in
jedem Kapitel entscheidet er sich für etwas andres. Sodann wird der Brief¬
wechsel durchgestöbert, und was an verstimmten Ausdrücken über Persönlichkeiten
auszutreiben ist, gebucht. Schillers Christentum wandelt neben der schwankenden
Gestalt der Kalb in gewisser Übereinstimmung einher. Bald ist Schiller der
vvgelfreie Litterat ohne Halt und Glauben, der mißratene Sprößling eines
frommen Hauses Schillers Vater ist mit einer gewissen Kunst in ein
religiöses Dämmerlicht gestellt, worin er harmlosen Lesern als Katholik, alten
aber mindestens als "Zeuge der Wahrheit" erscheinen muß -- bald ist er
wieder geradezu der "katholische Konvertit." Das ganze Buch könnte ziel-
und planlos erscheinen, wenn sich nicht eine Absicht deutlich hindurchzöge, die
Absicht, Schiller als einen eigentlich doch recht armseligen armen Teufel dar¬
zustellen, der eben "in sein täglich Brot geschmiert habe und daher im Grunde
gnr nicht ernst zu nehmen sei. Schillers peinlich genaues Haushaltungsbuch,
vor dem Rührung und Ehrfurcht zugleich Halt gebieten sollten, wird nach
dieser Richtung hin, aber zugleich mit einer auffälligen Bevorzugung des
Verbrauchs von Getränken in "Schillers Krankheit" geplündert. Der Unglück¬
liche war ja auf "Spirituosen" angewiesen, um schaffen zu können. Hierin
nun endlich rechtfertigt sich auch der angeführte, rührend "verteidigende" Titel
mit der Spitze gegen Goethe. Allein was hier vorgebracht wird, beschränkt
sich im wesentlichen aus die schon unzählige Male vorgebrachte Begräbnis¬
geschichte. Daß bei Schillers Tode der selbst Schwerkranke Goethe ihnen
nicht den Gefallen gethan hat, vor Gram zu sterben, daß er nicht einmal als
pflichtmäßiges erstes Klageweib der Welt ein Spektakel gab, sondern eben bloß
^ herzlos -- sein Haupt verhüllte und sich in sein Kämmerlein Verschluß,
das können ihm die guten Leute -- nebenbei beider Konfessionen - - nun einmal
uicht vergeben. Was sonst noch von Neid, Feindschaft und heimlicher Ränke¬
spinnerei Goethes gegen den doch eigentlich so bedeutungslosen "Rivalen"
"vermutet" wird, (Ränkespiunereien, die sich sogar ans Schillers Gehalt vom
Herzoge erstrecken!), wird durch allbekannte Thatsachen für jeden widerlegt,
der sich den beiden Dichtern auch nur flüchtig einmal genähert hat. Aber für
solche sind diese Bücher eben nicht geschrieben. Sondern sie verfolgen den
"geheiligten" Zweck, dies Nähertreten, wo es nur eben angeht, zu hintertreiben.
Es mich wirklich eine fürchterliche Sache sein, gegen die man sich hier wendet,
>meh den Mitteln zu urteilen, mit denen man den Kampf zu betreiben ge¬
zwungen ist.


Grenzboten I 1889 ^
Goethe- und Schillerhetzer

gegen Schiller das Werk lobte und dem Dichter bei seiner Abfahrt einen
brillantenen Ring verehrte. (Schiller an seinen Schwager Wolzogen 4. Sep¬
tember 1803.) Das Verhältnis zu der Geliebten (!) Schillers, Charlotte von
Kalb, giebt dann Anlaß zu einer endlosen Reihe von Kapiteln über diese Frau,
von der Brunner nicht weiß, ob er sie mit mehr Wirkung als Verrückte,
Schwindlerin und Kokette oder als gefährliche „Antichristin" darstellen soll; in
jedem Kapitel entscheidet er sich für etwas andres. Sodann wird der Brief¬
wechsel durchgestöbert, und was an verstimmten Ausdrücken über Persönlichkeiten
auszutreiben ist, gebucht. Schillers Christentum wandelt neben der schwankenden
Gestalt der Kalb in gewisser Übereinstimmung einher. Bald ist Schiller der
vvgelfreie Litterat ohne Halt und Glauben, der mißratene Sprößling eines
frommen Hauses Schillers Vater ist mit einer gewissen Kunst in ein
religiöses Dämmerlicht gestellt, worin er harmlosen Lesern als Katholik, alten
aber mindestens als „Zeuge der Wahrheit" erscheinen muß — bald ist er
wieder geradezu der „katholische Konvertit." Das ganze Buch könnte ziel-
und planlos erscheinen, wenn sich nicht eine Absicht deutlich hindurchzöge, die
Absicht, Schiller als einen eigentlich doch recht armseligen armen Teufel dar¬
zustellen, der eben »in sein täglich Brot geschmiert habe und daher im Grunde
gnr nicht ernst zu nehmen sei. Schillers peinlich genaues Haushaltungsbuch,
vor dem Rührung und Ehrfurcht zugleich Halt gebieten sollten, wird nach
dieser Richtung hin, aber zugleich mit einer auffälligen Bevorzugung des
Verbrauchs von Getränken in „Schillers Krankheit" geplündert. Der Unglück¬
liche war ja auf „Spirituosen" angewiesen, um schaffen zu können. Hierin
nun endlich rechtfertigt sich auch der angeführte, rührend „verteidigende" Titel
mit der Spitze gegen Goethe. Allein was hier vorgebracht wird, beschränkt
sich im wesentlichen aus die schon unzählige Male vorgebrachte Begräbnis¬
geschichte. Daß bei Schillers Tode der selbst Schwerkranke Goethe ihnen
nicht den Gefallen gethan hat, vor Gram zu sterben, daß er nicht einmal als
pflichtmäßiges erstes Klageweib der Welt ein Spektakel gab, sondern eben bloß
^ herzlos — sein Haupt verhüllte und sich in sein Kämmerlein Verschluß,
das können ihm die guten Leute — nebenbei beider Konfessionen - - nun einmal
uicht vergeben. Was sonst noch von Neid, Feindschaft und heimlicher Ränke¬
spinnerei Goethes gegen den doch eigentlich so bedeutungslosen „Rivalen"
„vermutet" wird, (Ränkespiunereien, die sich sogar ans Schillers Gehalt vom
Herzoge erstrecken!), wird durch allbekannte Thatsachen für jeden widerlegt,
der sich den beiden Dichtern auch nur flüchtig einmal genähert hat. Aber für
solche sind diese Bücher eben nicht geschrieben. Sondern sie verfolgen den
„geheiligten" Zweck, dies Nähertreten, wo es nur eben angeht, zu hintertreiben.
Es mich wirklich eine fürchterliche Sache sein, gegen die man sich hier wendet,
>meh den Mitteln zu urteilen, mit denen man den Kampf zu betreiben ge¬
zwungen ist.


Grenzboten I 1889 ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/33>, abgerufen am 18.05.2024.