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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Tchillerhetzer

Es sind aber nicht bloß grobe Mittels wie die oben geschilderten, mit
denen dieser Kampf geführt wird. Man hat sie auch in feinerer Form. Freilich
hat sich nur das Kaliber geändert, das Material ist das gleiche. Bei Brunner
sagen schon die Titel seiner Schriften (von "nächst zu erscheinenden" (so!) nennen
wir noch "Lessingiasis und Nathnnologie"; "Der Heidelberger Paulus, geheimer
Kirchenrat und offenbarer Schwindler"), oft unfreiwillige Druckfehler in ge¬
lehrten Ausdrücken und Sprachproben. wie die eben angeführte (z. B. er kniet
sich nieder, erkiesen zu werden u. a.), an welches Publikum er sich wendet.
Er fühlt sich als der Abraham a Sankta Klara unsrer Zeit, wobei er nur
übersieht, daß unsre Zeit nicht die des Pater Abraham ist. Auch wäre der
zu -- witzig gewesen, um seine Schnurren in die Gelehrsamkeit hineinzutragen.
Sie werden dadurch ledern und fruchten wenig. Da Brunner die Mottos so
liebt, so finden wir bei ihm selbst ein sehr treffendes für feine Persönlichkeit
als Literarhistoriker. Es steht (Tugendbolde, S. 97) stolz für sich allein und
lautet: "Schimpfen ist billig, man braucht dazu keinen wissenschaftlichen Auf¬
wand."

Allein Sebastian Brunner ist durchaus nicht der einzige Typus des
"katholischen" Literarhistorikers. Wie auf allgemein geschichtlichem Gebiete
Leute wie Janssen den virtuosen Beweis zu erbringen berufen sind, daß auch
die Schulung und Bildung des neuesten Geschichtsforschers den Standpunkt
"hinter den Bergen" -- und zwar wo es am dunkelsten ist -- ermöglicht, so
wenig fehlt es auf litterarhistorischen Gebiete an "wissenschaftlichen" Kämpen
für die römische Sache. Ja dies Gebiet ist ja das eigentliche Ausgangsgelünde
für ihre kriegerischen Unternehmungen gewesen, die im Anfange unsers Jahr¬
hunderts wieder einen so ungeahnten Aufschwung nehmen sollten. Die Namen
Friedrich Schlegel und Joseph Görres sind hier klassisch; wenn man wissen
will, wie klassisch sie bereits in des Wortes höchster Bedeutung bei ihrer
Gefolgschaft geworden sind, so höre man, daß Görres bereits in einem Atem
allein mit Dante genannt wird und Friedrich Schlegel weit über Goethe an
"tiefem, umfassenden Urteil," nicht bloß an "ernster wissenschaftlicher, einheit¬
licher Durcharbeitung der Weltlitteratur" gestellt wird. Wir bringen diese
beiden Citate nicht absichtslos an dieser Stelle. Sie stehen nahe bei einander
in einen: Werke, das wir als vorbildlich für die mehr wissenschaftliche Seite
der hier gekennzeichneten Bestrebungen herausgreifen. Es ist das in drei
Bänden 1882 ans Licht getretene, binnen drei Jahren in zweiter (vermehrter
und "verbesserter") Auflage vorliegende Werk des Jesuitenpaters Alexander
Bciumgartner: Göthe. Sein Leben und seine Werke. (Freiburg im
Breisgau, Herder, 1885-1886.) Wir stehen nicht an, dieses Werk eine
wissenschaftliche Leistung zu nennen, aber diese Bezeichnung gereicht ihm keines¬
wegs zur Ehre. Je mehr wir die Beherrschung des Stoffes von Seiten eines
Kundigen gewahren, je sicherer die Benutzung der einschlügigen wissenschaftlichen


Goethe- und Tchillerhetzer

Es sind aber nicht bloß grobe Mittels wie die oben geschilderten, mit
denen dieser Kampf geführt wird. Man hat sie auch in feinerer Form. Freilich
hat sich nur das Kaliber geändert, das Material ist das gleiche. Bei Brunner
sagen schon die Titel seiner Schriften (von „nächst zu erscheinenden" (so!) nennen
wir noch „Lessingiasis und Nathnnologie"; „Der Heidelberger Paulus, geheimer
Kirchenrat und offenbarer Schwindler"), oft unfreiwillige Druckfehler in ge¬
lehrten Ausdrücken und Sprachproben. wie die eben angeführte (z. B. er kniet
sich nieder, erkiesen zu werden u. a.), an welches Publikum er sich wendet.
Er fühlt sich als der Abraham a Sankta Klara unsrer Zeit, wobei er nur
übersieht, daß unsre Zeit nicht die des Pater Abraham ist. Auch wäre der
zu — witzig gewesen, um seine Schnurren in die Gelehrsamkeit hineinzutragen.
Sie werden dadurch ledern und fruchten wenig. Da Brunner die Mottos so
liebt, so finden wir bei ihm selbst ein sehr treffendes für feine Persönlichkeit
als Literarhistoriker. Es steht (Tugendbolde, S. 97) stolz für sich allein und
lautet: „Schimpfen ist billig, man braucht dazu keinen wissenschaftlichen Auf¬
wand."

Allein Sebastian Brunner ist durchaus nicht der einzige Typus des
„katholischen" Literarhistorikers. Wie auf allgemein geschichtlichem Gebiete
Leute wie Janssen den virtuosen Beweis zu erbringen berufen sind, daß auch
die Schulung und Bildung des neuesten Geschichtsforschers den Standpunkt
„hinter den Bergen" — und zwar wo es am dunkelsten ist — ermöglicht, so
wenig fehlt es auf litterarhistorischen Gebiete an „wissenschaftlichen" Kämpen
für die römische Sache. Ja dies Gebiet ist ja das eigentliche Ausgangsgelünde
für ihre kriegerischen Unternehmungen gewesen, die im Anfange unsers Jahr¬
hunderts wieder einen so ungeahnten Aufschwung nehmen sollten. Die Namen
Friedrich Schlegel und Joseph Görres sind hier klassisch; wenn man wissen
will, wie klassisch sie bereits in des Wortes höchster Bedeutung bei ihrer
Gefolgschaft geworden sind, so höre man, daß Görres bereits in einem Atem
allein mit Dante genannt wird und Friedrich Schlegel weit über Goethe an
„tiefem, umfassenden Urteil," nicht bloß an „ernster wissenschaftlicher, einheit¬
licher Durcharbeitung der Weltlitteratur" gestellt wird. Wir bringen diese
beiden Citate nicht absichtslos an dieser Stelle. Sie stehen nahe bei einander
in einen: Werke, das wir als vorbildlich für die mehr wissenschaftliche Seite
der hier gekennzeichneten Bestrebungen herausgreifen. Es ist das in drei
Bänden 1882 ans Licht getretene, binnen drei Jahren in zweiter (vermehrter
und „verbesserter") Auflage vorliegende Werk des Jesuitenpaters Alexander
Bciumgartner: Göthe. Sein Leben und seine Werke. (Freiburg im
Breisgau, Herder, 1885-1886.) Wir stehen nicht an, dieses Werk eine
wissenschaftliche Leistung zu nennen, aber diese Bezeichnung gereicht ihm keines¬
wegs zur Ehre. Je mehr wir die Beherrschung des Stoffes von Seiten eines
Kundigen gewahren, je sicherer die Benutzung der einschlügigen wissenschaftlichen


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[0034] Goethe- und Tchillerhetzer Es sind aber nicht bloß grobe Mittels wie die oben geschilderten, mit denen dieser Kampf geführt wird. Man hat sie auch in feinerer Form. Freilich hat sich nur das Kaliber geändert, das Material ist das gleiche. Bei Brunner sagen schon die Titel seiner Schriften (von „nächst zu erscheinenden" (so!) nennen wir noch „Lessingiasis und Nathnnologie"; „Der Heidelberger Paulus, geheimer Kirchenrat und offenbarer Schwindler"), oft unfreiwillige Druckfehler in ge¬ lehrten Ausdrücken und Sprachproben. wie die eben angeführte (z. B. er kniet sich nieder, erkiesen zu werden u. a.), an welches Publikum er sich wendet. Er fühlt sich als der Abraham a Sankta Klara unsrer Zeit, wobei er nur übersieht, daß unsre Zeit nicht die des Pater Abraham ist. Auch wäre der zu — witzig gewesen, um seine Schnurren in die Gelehrsamkeit hineinzutragen. Sie werden dadurch ledern und fruchten wenig. Da Brunner die Mottos so liebt, so finden wir bei ihm selbst ein sehr treffendes für feine Persönlichkeit als Literarhistoriker. Es steht (Tugendbolde, S. 97) stolz für sich allein und lautet: „Schimpfen ist billig, man braucht dazu keinen wissenschaftlichen Auf¬ wand." Allein Sebastian Brunner ist durchaus nicht der einzige Typus des „katholischen" Literarhistorikers. Wie auf allgemein geschichtlichem Gebiete Leute wie Janssen den virtuosen Beweis zu erbringen berufen sind, daß auch die Schulung und Bildung des neuesten Geschichtsforschers den Standpunkt „hinter den Bergen" — und zwar wo es am dunkelsten ist — ermöglicht, so wenig fehlt es auf litterarhistorischen Gebiete an „wissenschaftlichen" Kämpen für die römische Sache. Ja dies Gebiet ist ja das eigentliche Ausgangsgelünde für ihre kriegerischen Unternehmungen gewesen, die im Anfange unsers Jahr¬ hunderts wieder einen so ungeahnten Aufschwung nehmen sollten. Die Namen Friedrich Schlegel und Joseph Görres sind hier klassisch; wenn man wissen will, wie klassisch sie bereits in des Wortes höchster Bedeutung bei ihrer Gefolgschaft geworden sind, so höre man, daß Görres bereits in einem Atem allein mit Dante genannt wird und Friedrich Schlegel weit über Goethe an „tiefem, umfassenden Urteil," nicht bloß an „ernster wissenschaftlicher, einheit¬ licher Durcharbeitung der Weltlitteratur" gestellt wird. Wir bringen diese beiden Citate nicht absichtslos an dieser Stelle. Sie stehen nahe bei einander in einen: Werke, das wir als vorbildlich für die mehr wissenschaftliche Seite der hier gekennzeichneten Bestrebungen herausgreifen. Es ist das in drei Bänden 1882 ans Licht getretene, binnen drei Jahren in zweiter (vermehrter und „verbesserter") Auflage vorliegende Werk des Jesuitenpaters Alexander Bciumgartner: Göthe. Sein Leben und seine Werke. (Freiburg im Breisgau, Herder, 1885-1886.) Wir stehen nicht an, dieses Werk eine wissenschaftliche Leistung zu nennen, aber diese Bezeichnung gereicht ihm keines¬ wegs zur Ehre. Je mehr wir die Beherrschung des Stoffes von Seiten eines Kundigen gewahren, je sicherer die Benutzung der einschlügigen wissenschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/34>, abgerufen am 25.05.2024.