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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Schillerhetzer

bezaubernde Wirkung auf die Zeitgenossen zusprechen, die man als einen wahren
Ausbund von Nichtigkeit darzustellen beabsichtigt! Das ist bei aller Kunst doch
schließlich eine verzweifelte Aufgabe, und alle?leisen Hindeutungen auf Cagliostro
und andre Jndustrieritter, "für die Goethe ja immer ein so auffallendes Inter¬
esse an den Tag legte," können hier auf die Dauer wenig helfen. Freilich
Angler, die ihren Hamen auswerfen, rechnen auf keine Fische, die nach dem
Haken schnuppern, und Jesuiten, die Bücher schreiben, thun es nicht, um kritischen
Seelen damit ein Vergnügen zu bereiten. Es gab Zeiten, in denen die Väter
der Gesellschaft Jesu litterarische Hamen geradezu entgegengesetzter Natur aus¬
warfen. Das war damals, als der vornehm sogenannte "Wittenberger Ton"
wie Posaunenschall die Welt dnrchdröhnte und alle Herzen in gar unbequeme
theologische Lebhaftigkeit versetzte. Damals galt es die nllzn gottesgelahrten
Kopfe in poetischen Schlummer zu wiegen, die puritanisch frommen Seelen mit
ihren scharfen Gewissen aus der Kirche heraus in ein bequem sybaritisches
Arkadien zu führen. Damals störte weder die heidnische Nacktheit, noch die
götzendienerische Mythologie, noch die sündhaft heitere antike Geistesfreiheit die
Herren Patres in der Dichtung. Sie hatten gar nichts dagegen, wenn man
den Herrn von Golgatha auf den Olymp versetzte und dem Stern von
Bethlehem antike Rauchopfer darbrachte. Wenn man nur den Vatikan in Ruhe
ließ und die Opfer für das Grab Petri nicht unterließ. Es ist eine kunst¬
historische Ironie, daß gerade der so hervorragend christliche Barockstil von
ihnen den Namen erhalten mußte, daß die lockenden Nymphen, die nackten
Heiligen, die zierlichen Putten des Zeitalters von Versailles auf das jesuitische
Muster getauft sind. Aber es liegt darin zugleich eine eigentümliche historische
Wahrheit, die dadurch nichts an ihrem Werte verliert, daß sie jetzt sozusagen
zur Indiskretion wird. Man lernt daran verstehen, wo es hinauswill, wenn
nun mit einemmale Wehe.über Wehe von jener Seite ertönt über unsre heid¬
nische Kunst, unsre litterarische Götzendienern, unsre widerchristliche Wissen¬
schaft. Es ist wohl kaum das Widerchristliche, was die klugen Väter daran
so stört. Sie sind ja beileibe keine beschränkten Glaubenseiferer, sie nageln
Luthers Ausspruch über die Vernunft als höchste Buhlerin des Teufels bei
jeder Gelegenheit fest und thun, als gälte er der Vernunft im allgemeinen,
während er sich doch ausschließlich auf die Vernunft in Glaubenssachen bezieht.
Ihnen ist im Gegenteil alles willkommen, was auf ein Dogma schwort, mag
es sonst wissenschaftlich und poetisch noch so antichristlich sein, sie sind frei¬
sinnig, sie siud demokratisch, ja sie haben sogar einen ganz besondern "Humanis¬
mus," nämlich den "katholischen Humanismus," kurz sie sind alles, was man
wünscht, und sie bieten, was das Herz begehrt, aber unter einer Bedingung: auf
die Kniee vor der Monstranz! Der heilige Vater in Rom erteilt selbst dem schlimmen
Zweifler Shakespeare seinen Segen, denn er war ja -- das ist eben auch ein
Glaubenssatz, den kein wissenschaftlicher Beweis (s. den Aufsatz von M. Bernays


Goethe- und Schillerhetzer

bezaubernde Wirkung auf die Zeitgenossen zusprechen, die man als einen wahren
Ausbund von Nichtigkeit darzustellen beabsichtigt! Das ist bei aller Kunst doch
schließlich eine verzweifelte Aufgabe, und alle?leisen Hindeutungen auf Cagliostro
und andre Jndustrieritter, „für die Goethe ja immer ein so auffallendes Inter¬
esse an den Tag legte," können hier auf die Dauer wenig helfen. Freilich
Angler, die ihren Hamen auswerfen, rechnen auf keine Fische, die nach dem
Haken schnuppern, und Jesuiten, die Bücher schreiben, thun es nicht, um kritischen
Seelen damit ein Vergnügen zu bereiten. Es gab Zeiten, in denen die Väter
der Gesellschaft Jesu litterarische Hamen geradezu entgegengesetzter Natur aus¬
warfen. Das war damals, als der vornehm sogenannte „Wittenberger Ton"
wie Posaunenschall die Welt dnrchdröhnte und alle Herzen in gar unbequeme
theologische Lebhaftigkeit versetzte. Damals galt es die nllzn gottesgelahrten
Kopfe in poetischen Schlummer zu wiegen, die puritanisch frommen Seelen mit
ihren scharfen Gewissen aus der Kirche heraus in ein bequem sybaritisches
Arkadien zu führen. Damals störte weder die heidnische Nacktheit, noch die
götzendienerische Mythologie, noch die sündhaft heitere antike Geistesfreiheit die
Herren Patres in der Dichtung. Sie hatten gar nichts dagegen, wenn man
den Herrn von Golgatha auf den Olymp versetzte und dem Stern von
Bethlehem antike Rauchopfer darbrachte. Wenn man nur den Vatikan in Ruhe
ließ und die Opfer für das Grab Petri nicht unterließ. Es ist eine kunst¬
historische Ironie, daß gerade der so hervorragend christliche Barockstil von
ihnen den Namen erhalten mußte, daß die lockenden Nymphen, die nackten
Heiligen, die zierlichen Putten des Zeitalters von Versailles auf das jesuitische
Muster getauft sind. Aber es liegt darin zugleich eine eigentümliche historische
Wahrheit, die dadurch nichts an ihrem Werte verliert, daß sie jetzt sozusagen
zur Indiskretion wird. Man lernt daran verstehen, wo es hinauswill, wenn
nun mit einemmale Wehe.über Wehe von jener Seite ertönt über unsre heid¬
nische Kunst, unsre litterarische Götzendienern, unsre widerchristliche Wissen¬
schaft. Es ist wohl kaum das Widerchristliche, was die klugen Väter daran
so stört. Sie sind ja beileibe keine beschränkten Glaubenseiferer, sie nageln
Luthers Ausspruch über die Vernunft als höchste Buhlerin des Teufels bei
jeder Gelegenheit fest und thun, als gälte er der Vernunft im allgemeinen,
während er sich doch ausschließlich auf die Vernunft in Glaubenssachen bezieht.
Ihnen ist im Gegenteil alles willkommen, was auf ein Dogma schwort, mag
es sonst wissenschaftlich und poetisch noch so antichristlich sein, sie sind frei¬
sinnig, sie siud demokratisch, ja sie haben sogar einen ganz besondern „Humanis¬
mus," nämlich den „katholischen Humanismus," kurz sie sind alles, was man
wünscht, und sie bieten, was das Herz begehrt, aber unter einer Bedingung: auf
die Kniee vor der Monstranz! Der heilige Vater in Rom erteilt selbst dem schlimmen
Zweifler Shakespeare seinen Segen, denn er war ja — das ist eben auch ein
Glaubenssatz, den kein wissenschaftlicher Beweis (s. den Aufsatz von M. Bernays


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/86>, abgerufen am 17.06.2024.