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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Verlegenheiten in Spanien

die zugleich von fürstlichen Sorgen heimgesucht ist und kaum weiß, wohin die
Pflicht sie lauter und stärker ruft, ergreift doch auch ein kühles Gemüt in
eigener Weise, zumal da die Mutter und Regentin als Fürstin ans deutschem
Geschlecht, dann durch ihre Tugend und Trefflichkeit als Neichsverweserin
unsre Teilnahme in hervorragendem Grade verdient. Sie sieht ihren einzigen
Sohn leiden und zwischen Tod und Leben schweben, sieht den Tod ihm wie
ein Schatten auf den Fersen folgen, wahrscheinlich noch auf Wochen lang,
und damit die Möglichkeit neuer Erschütterungen des Staates, in dem sie ihr
zweites Vaterland gefunden hat, und der nicht am wenigsten durch ihre Ein¬
sicht, Geschicklichkeit und Thatkraft seit dein Ableben ihres königlichen Gemahls
vor den Umwälzungen bewahrt geblieben ist, die ihn früher zerrütteten. Land
und Familie hängen gleich sehr von der Dauer des Lebens der kleinen Majestät
ab, wenn wir auch nicht wissen, was aus dem Knaben, wenn sein jetziges
Leiden endgiltig vor der ärztlichen Kunst weichen sollte, sich einmal entwickeln
wird. Nach allen Berichten ist er ein aufgewecktes, lebendiges und für Scherz
und Spiel empfängliches Kind, was umso mehr auffällt, als er von sehr zarter
Körperbeschaffenheit und schwachen Nerven ist. Neben seiner Heiterkeit geht
eine große Reizbarkeit her, die er vom Vater geerbt zu haben scheint, der im
übrigen einer der liebenswürdigsten, hochsinnigsten und unerschrockensten jungen
Fürsten der Zeit war. Wie nicht selten Kinder, die nach dem Tode eines
früh verstorbenen Vaters geboren werden, hat Alfonso XIII. von seiner Geburt
an, die ungefähr sechs Monate nach dem Ableben des Vaters erfolgte, immer
eine gewisse physische Gebrechlichkeit und Mangel an Lebenskraft, verbunden
mit rasch aufbrausenden Wesen gezeigt, Eigenschaften, die wiederholt seine
Umgebung ernstlich in Unruhe versetzten und namentlich das Herz seiner
Mutter mit Kummer und Besorgnis erfüllten, die ihm gleichwohl ihre ganze
hingebende Zärtlichkeit bewahrte. So sicherte sie sich für ihre jetzige quälende
Ungewißheit und kummervolle Lage als Mutter die Teilnahme nicht nur jedes
königstreuen Spaniers, sondern aller Welt. Aber sie hat nicht bloß als Mutter
eines schwächlichen und cholerischen Kindes, soudern auch als Vertretern, eines
unmündigen Königs ihre Pflichten in mustergiltiger Weise erfüllt. Sie hat
dabei eine Standhaftigkeit, ein Feingefühl und eine edle Einfalt und Redlich¬
keit an den Tag gelegt, die ihr die Achtung und Verehrung aller ihrer Zeit¬
genossen erwarben, deren Blicke ihrem staatsmännischen Thun und Lassen
folgten. In dem Lande, das sie zur zweiten Heimat wählte, hat sie eine Zeit
lang nnter dem Vorurteile zu leiden gehabt, das sich um sie als eine östranMA,
eine Auswärtige knüpfte, die weder spanischen Blutes noch spanischer Geburts¬
stätte sich rühmen konnte; aber ihr treffliches Verhalten während einer langen
Reihe von schweren Prüfungen und Sorgen, Schwierigkeiten und Gefahren,
die mancher Mann nicht so gut bestanden und bewältigt hätte, hat ihr eine
feste Stelle in der Neigung und Wertschätzung eines Volkes erworben, dessen


Verlegenheiten in Spanien

die zugleich von fürstlichen Sorgen heimgesucht ist und kaum weiß, wohin die
Pflicht sie lauter und stärker ruft, ergreift doch auch ein kühles Gemüt in
eigener Weise, zumal da die Mutter und Regentin als Fürstin ans deutschem
Geschlecht, dann durch ihre Tugend und Trefflichkeit als Neichsverweserin
unsre Teilnahme in hervorragendem Grade verdient. Sie sieht ihren einzigen
Sohn leiden und zwischen Tod und Leben schweben, sieht den Tod ihm wie
ein Schatten auf den Fersen folgen, wahrscheinlich noch auf Wochen lang,
und damit die Möglichkeit neuer Erschütterungen des Staates, in dem sie ihr
zweites Vaterland gefunden hat, und der nicht am wenigsten durch ihre Ein¬
sicht, Geschicklichkeit und Thatkraft seit dein Ableben ihres königlichen Gemahls
vor den Umwälzungen bewahrt geblieben ist, die ihn früher zerrütteten. Land
und Familie hängen gleich sehr von der Dauer des Lebens der kleinen Majestät
ab, wenn wir auch nicht wissen, was aus dem Knaben, wenn sein jetziges
Leiden endgiltig vor der ärztlichen Kunst weichen sollte, sich einmal entwickeln
wird. Nach allen Berichten ist er ein aufgewecktes, lebendiges und für Scherz
und Spiel empfängliches Kind, was umso mehr auffällt, als er von sehr zarter
Körperbeschaffenheit und schwachen Nerven ist. Neben seiner Heiterkeit geht
eine große Reizbarkeit her, die er vom Vater geerbt zu haben scheint, der im
übrigen einer der liebenswürdigsten, hochsinnigsten und unerschrockensten jungen
Fürsten der Zeit war. Wie nicht selten Kinder, die nach dem Tode eines
früh verstorbenen Vaters geboren werden, hat Alfonso XIII. von seiner Geburt
an, die ungefähr sechs Monate nach dem Ableben des Vaters erfolgte, immer
eine gewisse physische Gebrechlichkeit und Mangel an Lebenskraft, verbunden
mit rasch aufbrausenden Wesen gezeigt, Eigenschaften, die wiederholt seine
Umgebung ernstlich in Unruhe versetzten und namentlich das Herz seiner
Mutter mit Kummer und Besorgnis erfüllten, die ihm gleichwohl ihre ganze
hingebende Zärtlichkeit bewahrte. So sicherte sie sich für ihre jetzige quälende
Ungewißheit und kummervolle Lage als Mutter die Teilnahme nicht nur jedes
königstreuen Spaniers, sondern aller Welt. Aber sie hat nicht bloß als Mutter
eines schwächlichen und cholerischen Kindes, soudern auch als Vertretern, eines
unmündigen Königs ihre Pflichten in mustergiltiger Weise erfüllt. Sie hat
dabei eine Standhaftigkeit, ein Feingefühl und eine edle Einfalt und Redlich¬
keit an den Tag gelegt, die ihr die Achtung und Verehrung aller ihrer Zeit¬
genossen erwarben, deren Blicke ihrem staatsmännischen Thun und Lassen
folgten. In dem Lande, das sie zur zweiten Heimat wählte, hat sie eine Zeit
lang nnter dem Vorurteile zu leiden gehabt, das sich um sie als eine östranMA,
eine Auswärtige knüpfte, die weder spanischen Blutes noch spanischer Geburts¬
stätte sich rühmen konnte; aber ihr treffliches Verhalten während einer langen
Reihe von schweren Prüfungen und Sorgen, Schwierigkeiten und Gefahren,
die mancher Mann nicht so gut bestanden und bewältigt hätte, hat ihr eine
feste Stelle in der Neigung und Wertschätzung eines Volkes erworben, dessen


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[0164] Verlegenheiten in Spanien die zugleich von fürstlichen Sorgen heimgesucht ist und kaum weiß, wohin die Pflicht sie lauter und stärker ruft, ergreift doch auch ein kühles Gemüt in eigener Weise, zumal da die Mutter und Regentin als Fürstin ans deutschem Geschlecht, dann durch ihre Tugend und Trefflichkeit als Neichsverweserin unsre Teilnahme in hervorragendem Grade verdient. Sie sieht ihren einzigen Sohn leiden und zwischen Tod und Leben schweben, sieht den Tod ihm wie ein Schatten auf den Fersen folgen, wahrscheinlich noch auf Wochen lang, und damit die Möglichkeit neuer Erschütterungen des Staates, in dem sie ihr zweites Vaterland gefunden hat, und der nicht am wenigsten durch ihre Ein¬ sicht, Geschicklichkeit und Thatkraft seit dein Ableben ihres königlichen Gemahls vor den Umwälzungen bewahrt geblieben ist, die ihn früher zerrütteten. Land und Familie hängen gleich sehr von der Dauer des Lebens der kleinen Majestät ab, wenn wir auch nicht wissen, was aus dem Knaben, wenn sein jetziges Leiden endgiltig vor der ärztlichen Kunst weichen sollte, sich einmal entwickeln wird. Nach allen Berichten ist er ein aufgewecktes, lebendiges und für Scherz und Spiel empfängliches Kind, was umso mehr auffällt, als er von sehr zarter Körperbeschaffenheit und schwachen Nerven ist. Neben seiner Heiterkeit geht eine große Reizbarkeit her, die er vom Vater geerbt zu haben scheint, der im übrigen einer der liebenswürdigsten, hochsinnigsten und unerschrockensten jungen Fürsten der Zeit war. Wie nicht selten Kinder, die nach dem Tode eines früh verstorbenen Vaters geboren werden, hat Alfonso XIII. von seiner Geburt an, die ungefähr sechs Monate nach dem Ableben des Vaters erfolgte, immer eine gewisse physische Gebrechlichkeit und Mangel an Lebenskraft, verbunden mit rasch aufbrausenden Wesen gezeigt, Eigenschaften, die wiederholt seine Umgebung ernstlich in Unruhe versetzten und namentlich das Herz seiner Mutter mit Kummer und Besorgnis erfüllten, die ihm gleichwohl ihre ganze hingebende Zärtlichkeit bewahrte. So sicherte sie sich für ihre jetzige quälende Ungewißheit und kummervolle Lage als Mutter die Teilnahme nicht nur jedes königstreuen Spaniers, sondern aller Welt. Aber sie hat nicht bloß als Mutter eines schwächlichen und cholerischen Kindes, soudern auch als Vertretern, eines unmündigen Königs ihre Pflichten in mustergiltiger Weise erfüllt. Sie hat dabei eine Standhaftigkeit, ein Feingefühl und eine edle Einfalt und Redlich¬ keit an den Tag gelegt, die ihr die Achtung und Verehrung aller ihrer Zeit¬ genossen erwarben, deren Blicke ihrem staatsmännischen Thun und Lassen folgten. In dem Lande, das sie zur zweiten Heimat wählte, hat sie eine Zeit lang nnter dem Vorurteile zu leiden gehabt, das sich um sie als eine östranMA, eine Auswärtige knüpfte, die weder spanischen Blutes noch spanischer Geburts¬ stätte sich rühmen konnte; aber ihr treffliches Verhalten während einer langen Reihe von schweren Prüfungen und Sorgen, Schwierigkeiten und Gefahren, die mancher Mann nicht so gut bestanden und bewältigt hätte, hat ihr eine feste Stelle in der Neigung und Wertschätzung eines Volkes erworben, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/164>, abgerufen am 10.06.2024.