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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Verlegenheiten in Spanien

Vorurteile zwar tief wurzeln, aber doch uicht unausrottbar sind, bei dem zwar
anarchische Lehren und Bestrebungen große Ausbreitung gewonnen haben, die
Mehrheit aber noch mit alter Treue und Ehrfurcht nach dem Throne empor¬
blickt. Als Regentin Spaniens hat die Königin durch Adel der Natur, er¬
habnen Mut und feste Entschlossenheit und Folgerichtigkeit der Verantwortlich-
keit, die sie mit ihrem Verweseramte auf sich nahm, in einem Maße entsprochen,
die sie den besten regierenden Frauen des Zeitalters anreiht und die sicherste
Gewähr bietet, daß ein etwaiger Tod des Königs keine verhängnisvollen
Folgen für den Staat und seine Dynastie herbeiführen wird. Ein spanisches
Blatt rühmt von ihr: "Sie ist das Muster einer verfassungsmäßigen Herrscherin,
ebenso tugeudreich als hold, ebenso mild als entschlossen, eine gerechte Herrin,
eine kluge Gebieterin, eine glühende Patriotin -- in jeder Faser so inn^
esx-msol", als Isg-toi 1a svgunäa, aber frei von jedem der Flecken und Ge¬
brechen, die den Charakter und Lebenswandel dieser unglücklichen Fürstin ent¬
stellten."

Sollte der spanische Königssohn bald sterben, so würde das nächst seinen
Angehörigen vor allen die Spanier in Trauer versetzen, aber nur, weil einer von
ihnen weniger wäre, der berufen schien, über sie zu herrschen. Eine wesentliche
Veränderung an der Regierungsweise aber, die das spanische Volk sich vor
fünfzehn Jahren erwählte, als Alfonso XII. in sein Geburtsland zurückgerufen
wurde, um sein Erbe im Schlosse um Manzanares anzutreten, würde voraus¬
sichtlich vou diesem Unglücke nicht zu befürchten sein, obwohl in Spanien sonder¬
bare Ereignisse möglich siud. Ginge alles in solchem Falle mit rechten Dingen
AU, so bliebe es ungefähr bei dem Bisherigen. Für Ersatz und Nachfolge wäre
hinreichend gesorgt; denn das snlische Gesetz hat in Spanien keine Geltung,
und es giebt hier zwei gesunde junge Jnfantas, Töchter Alfonsos und Christmas,
deren Erbrecht auf den Thron nach dem Ableben ihres Bruders niemand ernst¬
lich zu bestreiten vermöchte. Die älteste dieser Mädchen, Donja Maria de las
Mercedes, Prinzessin von Asturien, würde die Königin von Spanien unter
Fortdauer der Regentschaft ihrer Mutter sein, und die jüngere, Donja Maria
Theresa, würde Kronprinzessin werden. Die Prinzessin von Asturien hat im
vorigem September ihr neuntes Lebensjahr vollendet, würde also erst uach
Verlauf geraumer Zeit selbst die Regierung antreten können. In der Zwischen¬
zeit würde sich das Königreich, wie wir nicht bezweifeln möchten, auf die
Fortdauer der wertvollen Dienste verlassen dürfen, die ihm die Königin-Witwe
bisher als Regentin geleistet hat, und zu deren ungestörter Fortsetzung wir
ehr aufrichtig Glück wünschen könnten. Die anarchischen Parteien wollen in
Spanien gegenwärtig nicht viel mehr bedeuten. Unglücklicherweise aber dürfen
wir bei dem Versuche, die Zukunft des Landes zu erraten, zwei andre Elemente
der Bevölkerung nicht unberücksichtigt lassen. Wir meinen zunächst die karlistische
Partei. Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber doch immerhin möglich, daß das


Verlegenheiten in Spanien

Vorurteile zwar tief wurzeln, aber doch uicht unausrottbar sind, bei dem zwar
anarchische Lehren und Bestrebungen große Ausbreitung gewonnen haben, die
Mehrheit aber noch mit alter Treue und Ehrfurcht nach dem Throne empor¬
blickt. Als Regentin Spaniens hat die Königin durch Adel der Natur, er¬
habnen Mut und feste Entschlossenheit und Folgerichtigkeit der Verantwortlich-
keit, die sie mit ihrem Verweseramte auf sich nahm, in einem Maße entsprochen,
die sie den besten regierenden Frauen des Zeitalters anreiht und die sicherste
Gewähr bietet, daß ein etwaiger Tod des Königs keine verhängnisvollen
Folgen für den Staat und seine Dynastie herbeiführen wird. Ein spanisches
Blatt rühmt von ihr: „Sie ist das Muster einer verfassungsmäßigen Herrscherin,
ebenso tugeudreich als hold, ebenso mild als entschlossen, eine gerechte Herrin,
eine kluge Gebieterin, eine glühende Patriotin — in jeder Faser so inn^
esx-msol», als Isg-toi 1a svgunäa, aber frei von jedem der Flecken und Ge¬
brechen, die den Charakter und Lebenswandel dieser unglücklichen Fürstin ent¬
stellten."

Sollte der spanische Königssohn bald sterben, so würde das nächst seinen
Angehörigen vor allen die Spanier in Trauer versetzen, aber nur, weil einer von
ihnen weniger wäre, der berufen schien, über sie zu herrschen. Eine wesentliche
Veränderung an der Regierungsweise aber, die das spanische Volk sich vor
fünfzehn Jahren erwählte, als Alfonso XII. in sein Geburtsland zurückgerufen
wurde, um sein Erbe im Schlosse um Manzanares anzutreten, würde voraus¬
sichtlich vou diesem Unglücke nicht zu befürchten sein, obwohl in Spanien sonder¬
bare Ereignisse möglich siud. Ginge alles in solchem Falle mit rechten Dingen
AU, so bliebe es ungefähr bei dem Bisherigen. Für Ersatz und Nachfolge wäre
hinreichend gesorgt; denn das snlische Gesetz hat in Spanien keine Geltung,
und es giebt hier zwei gesunde junge Jnfantas, Töchter Alfonsos und Christmas,
deren Erbrecht auf den Thron nach dem Ableben ihres Bruders niemand ernst¬
lich zu bestreiten vermöchte. Die älteste dieser Mädchen, Donja Maria de las
Mercedes, Prinzessin von Asturien, würde die Königin von Spanien unter
Fortdauer der Regentschaft ihrer Mutter sein, und die jüngere, Donja Maria
Theresa, würde Kronprinzessin werden. Die Prinzessin von Asturien hat im
vorigem September ihr neuntes Lebensjahr vollendet, würde also erst uach
Verlauf geraumer Zeit selbst die Regierung antreten können. In der Zwischen¬
zeit würde sich das Königreich, wie wir nicht bezweifeln möchten, auf die
Fortdauer der wertvollen Dienste verlassen dürfen, die ihm die Königin-Witwe
bisher als Regentin geleistet hat, und zu deren ungestörter Fortsetzung wir
ehr aufrichtig Glück wünschen könnten. Die anarchischen Parteien wollen in
Spanien gegenwärtig nicht viel mehr bedeuten. Unglücklicherweise aber dürfen
wir bei dem Versuche, die Zukunft des Landes zu erraten, zwei andre Elemente
der Bevölkerung nicht unberücksichtigt lassen. Wir meinen zunächst die karlistische
Partei. Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber doch immerhin möglich, daß das


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[0165] Verlegenheiten in Spanien Vorurteile zwar tief wurzeln, aber doch uicht unausrottbar sind, bei dem zwar anarchische Lehren und Bestrebungen große Ausbreitung gewonnen haben, die Mehrheit aber noch mit alter Treue und Ehrfurcht nach dem Throne empor¬ blickt. Als Regentin Spaniens hat die Königin durch Adel der Natur, er¬ habnen Mut und feste Entschlossenheit und Folgerichtigkeit der Verantwortlich- keit, die sie mit ihrem Verweseramte auf sich nahm, in einem Maße entsprochen, die sie den besten regierenden Frauen des Zeitalters anreiht und die sicherste Gewähr bietet, daß ein etwaiger Tod des Königs keine verhängnisvollen Folgen für den Staat und seine Dynastie herbeiführen wird. Ein spanisches Blatt rühmt von ihr: „Sie ist das Muster einer verfassungsmäßigen Herrscherin, ebenso tugeudreich als hold, ebenso mild als entschlossen, eine gerechte Herrin, eine kluge Gebieterin, eine glühende Patriotin — in jeder Faser so inn^ esx-msol», als Isg-toi 1a svgunäa, aber frei von jedem der Flecken und Ge¬ brechen, die den Charakter und Lebenswandel dieser unglücklichen Fürstin ent¬ stellten." Sollte der spanische Königssohn bald sterben, so würde das nächst seinen Angehörigen vor allen die Spanier in Trauer versetzen, aber nur, weil einer von ihnen weniger wäre, der berufen schien, über sie zu herrschen. Eine wesentliche Veränderung an der Regierungsweise aber, die das spanische Volk sich vor fünfzehn Jahren erwählte, als Alfonso XII. in sein Geburtsland zurückgerufen wurde, um sein Erbe im Schlosse um Manzanares anzutreten, würde voraus¬ sichtlich vou diesem Unglücke nicht zu befürchten sein, obwohl in Spanien sonder¬ bare Ereignisse möglich siud. Ginge alles in solchem Falle mit rechten Dingen AU, so bliebe es ungefähr bei dem Bisherigen. Für Ersatz und Nachfolge wäre hinreichend gesorgt; denn das snlische Gesetz hat in Spanien keine Geltung, und es giebt hier zwei gesunde junge Jnfantas, Töchter Alfonsos und Christmas, deren Erbrecht auf den Thron nach dem Ableben ihres Bruders niemand ernst¬ lich zu bestreiten vermöchte. Die älteste dieser Mädchen, Donja Maria de las Mercedes, Prinzessin von Asturien, würde die Königin von Spanien unter Fortdauer der Regentschaft ihrer Mutter sein, und die jüngere, Donja Maria Theresa, würde Kronprinzessin werden. Die Prinzessin von Asturien hat im vorigem September ihr neuntes Lebensjahr vollendet, würde also erst uach Verlauf geraumer Zeit selbst die Regierung antreten können. In der Zwischen¬ zeit würde sich das Königreich, wie wir nicht bezweifeln möchten, auf die Fortdauer der wertvollen Dienste verlassen dürfen, die ihm die Königin-Witwe bisher als Regentin geleistet hat, und zu deren ungestörter Fortsetzung wir ehr aufrichtig Glück wünschen könnten. Die anarchischen Parteien wollen in Spanien gegenwärtig nicht viel mehr bedeuten. Unglücklicherweise aber dürfen wir bei dem Versuche, die Zukunft des Landes zu erraten, zwei andre Elemente der Bevölkerung nicht unberücksichtigt lassen. Wir meinen zunächst die karlistische Partei. Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber doch immerhin möglich, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/165>, abgerufen am 18.05.2024.