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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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mehr, durch mißgünstige Reden unsre Kolonialpolitik bei den Fremden ins
schlimmste Licht zu setzen. Helfen wird ihnen aber ihr Bestreben, das Vater¬
land aus Pnrteiinteresse zu schädigen, nicht sehr viel. Es wird doch mit
Patriotischer Freude begrüßt werden, "wenn das erste deutsche Dampfschiff mit
der deutschen Flagge am Top in Sansibar erscheint." Helfen wird ihnen dieses
ihr Bestreben auch am 20. Februar nichts. Wir sind doch im Range der
Völker zu hoch aufwärts gestiegen, und unsre Politik, nicht am wenigsten unsre
Kolonialpolitik, richtet auch des schlichten Mannes Blick zu mächtig aufwärts,
als daß die nationale Unbedeutendheit, die der Fortschritt nun beinahe seit
dreißig Jahren als seine höchste Weisheit predigt, auch heute uoch als wünschens¬
wertes Ziel erstrebt werden könnte. Die Sache kann nicht mehr zerschlagen
werden.

Zur weitern Charakteristik der Dentschfreisinnigen wollen wir noch auf einen
Fall aus der Zeit der laufenden Neichstngsperiode zurückgreifen, der uns zeigt,
wessen die Partei fähig ist. sobald sie in ihrer Sympathie für England gestört
wird. Wir meinen den Fall, wo die Kölner Zeitung auf das deutschfeind¬
liche Treiben Sir Moriers in Petersburg hinwies. Die Kölner Zeitung hatte
ihre,! guten Grund, ihrem Hinweise auf das deutschfeindliche Treiben des
englischen Botschafters am russischen Hofe die Bemerkung beizufügen, das; dieser
selbe Morier als Gesandter in Darmstadt 1870 Depeschen über die Bewegung
unsrer Heere uach London gesandt hatte, die von da über Paris zu Bazaine
gekommen waren. Die Sache stand auf Grund des Zeugnisses zweier deutschen
Offiziere fest, das unanfechtbar war, weil sie die ganze Schwere ihres Berichtes
um die deutsche Negierung kannten. Der Hinweis darauf um, daß dieser
Sir Morier ein Freund des kronprinzlichen Hauses gewesen und durch das
Vertrauen des verstorbenen Kaisers Friedrich geehrt worden war, war in den
Augen der Deutschsreisinnigen ein todeswürdiges Verbrechen. Die Volkszeitung
brachte einen Artikel "Das böse Gewissen," worin es heißt: "Es läßt sie >die
sie sind hier alle Nativnalgesinnteu> nicht rasten und ruhen, das böse Gewisse",
"änlich diejenigen nicht, welche jeder Gedanke an Kaiser Friedrich mit banger
Angst erfüllt. Was alles an diesem unglücklichen Herrscher gefrevelt worden
ist, ruht noch unter dem Schleier eines Geheimnisses. welches ans lange hinaus
uicht offenbar werden dürfte, aber wenn man aus der Wirkung auf die Ursache,
uns den Gewissensbissen auf die Unthat schließen darf, dann muß es wahrhaft
Ungeheuerliches gewesen sein. Alle Wohlgerüche Arabiens waschen ihnen den
blutigen Fleck nicht von der Frevlerhand, und am hellen Tage gehen sie um,
"ngstgepeitscht, sinnbethört, mit Revolverschüssen nach dem Gespenst zielend,
von dem ihre wirren Augen auf Schritt und Tritt sich verfolgt sehen." Mit
diesem Wutgeheul einer bis zum Wahnsinn erhitzten Phantasie, die es zu stände
bringt, daß Gerüche Blutflecken nbwafchen sollen, fällt das Gesindel über eine
Angabe her, die einfach Thatsächliches berichtete. Denn es steht eben als


mehr, durch mißgünstige Reden unsre Kolonialpolitik bei den Fremden ins
schlimmste Licht zu setzen. Helfen wird ihnen aber ihr Bestreben, das Vater¬
land aus Pnrteiinteresse zu schädigen, nicht sehr viel. Es wird doch mit
Patriotischer Freude begrüßt werden, „wenn das erste deutsche Dampfschiff mit
der deutschen Flagge am Top in Sansibar erscheint." Helfen wird ihnen dieses
ihr Bestreben auch am 20. Februar nichts. Wir sind doch im Range der
Völker zu hoch aufwärts gestiegen, und unsre Politik, nicht am wenigsten unsre
Kolonialpolitik, richtet auch des schlichten Mannes Blick zu mächtig aufwärts,
als daß die nationale Unbedeutendheit, die der Fortschritt nun beinahe seit
dreißig Jahren als seine höchste Weisheit predigt, auch heute uoch als wünschens¬
wertes Ziel erstrebt werden könnte. Die Sache kann nicht mehr zerschlagen
werden.

Zur weitern Charakteristik der Dentschfreisinnigen wollen wir noch auf einen
Fall aus der Zeit der laufenden Neichstngsperiode zurückgreifen, der uns zeigt,
wessen die Partei fähig ist. sobald sie in ihrer Sympathie für England gestört
wird. Wir meinen den Fall, wo die Kölner Zeitung auf das deutschfeind¬
liche Treiben Sir Moriers in Petersburg hinwies. Die Kölner Zeitung hatte
ihre,! guten Grund, ihrem Hinweise auf das deutschfeindliche Treiben des
englischen Botschafters am russischen Hofe die Bemerkung beizufügen, das; dieser
selbe Morier als Gesandter in Darmstadt 1870 Depeschen über die Bewegung
unsrer Heere uach London gesandt hatte, die von da über Paris zu Bazaine
gekommen waren. Die Sache stand auf Grund des Zeugnisses zweier deutschen
Offiziere fest, das unanfechtbar war, weil sie die ganze Schwere ihres Berichtes
um die deutsche Negierung kannten. Der Hinweis darauf um, daß dieser
Sir Morier ein Freund des kronprinzlichen Hauses gewesen und durch das
Vertrauen des verstorbenen Kaisers Friedrich geehrt worden war, war in den
Augen der Deutschsreisinnigen ein todeswürdiges Verbrechen. Die Volkszeitung
brachte einen Artikel „Das böse Gewissen," worin es heißt: „Es läßt sie >die
sie sind hier alle Nativnalgesinnteu> nicht rasten und ruhen, das böse Gewisse»,
"änlich diejenigen nicht, welche jeder Gedanke an Kaiser Friedrich mit banger
Angst erfüllt. Was alles an diesem unglücklichen Herrscher gefrevelt worden
ist, ruht noch unter dem Schleier eines Geheimnisses. welches ans lange hinaus
uicht offenbar werden dürfte, aber wenn man aus der Wirkung auf die Ursache,
uns den Gewissensbissen auf die Unthat schließen darf, dann muß es wahrhaft
Ungeheuerliches gewesen sein. Alle Wohlgerüche Arabiens waschen ihnen den
blutigen Fleck nicht von der Frevlerhand, und am hellen Tage gehen sie um,
"ngstgepeitscht, sinnbethört, mit Revolverschüssen nach dem Gespenst zielend,
von dem ihre wirren Augen auf Schritt und Tritt sich verfolgt sehen." Mit
diesem Wutgeheul einer bis zum Wahnsinn erhitzten Phantasie, die es zu stände
bringt, daß Gerüche Blutflecken nbwafchen sollen, fällt das Gesindel über eine
Angabe her, die einfach Thatsächliches berichtete. Denn es steht eben als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/211>, abgerufen am 10.06.2024.