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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung

wenig, daß das Verfahren der preußischen Strafgerichtsordnnng vom 3. April
1845 Mängel hat, die eine Änderung wünschenswert erscheinen lassen. Trotzdem
hat es uns peinlich berührt, daß sich bei der Beratung, die dem er¬
wähnten Beschlusse vorherging, nur tadelnde Stimmen über das bisherige Straf¬
verfahren erhoben haben, und sich niemand gefunden hat, der daran erinnerte,
daß unter diesem oft geschmähten Verfahren das preußische Heer zu einem Vor¬
bilde für die Heere von ganz Europa, ja der ganzen gebildeten Welt geworden
ist. Wenn man bedenkt, daß nächst der technischen Ausbildung der Truppen
die Erzielung eiuer gehörigen Disziplin die Hauptsache für die Heranbildung
eines tüchtigen, schlagfertigen Heeres ist, und wenn man weiter erwägt, daß
eine schlechte Strafrechtspflege ganz besonders geeignet ist, die Disziplin eiuer
Truppe zu untergraben -- ist doch oft schon eine ungerechte mündliche Rüge
geeignet, das Vertrauen und die Zufriedenheit des Untergebenen zu vermindern
und ihn zur Widersetzlichkeit anzuregen, um wie viel mehr eine ungerechte
gerichtliche Bestrafung! --, so wird man zu denn Schlüsse kommen, daß das
bisherige Strafverfahren die Disziplin des preußischen Heeres wenigstens nicht
geschädigt haben kann. Wird an eine Änderung gegangen, so muß bei jedem
Punkte sorgfältig erwogen werden, wie die Neuerungen einzurichten sind, damit
die Disziplin darunter nicht leide. Denn daß das preußische Heer trotz des
bisherigen Strafverfahrens seine mustergiltige Disziplin erlangt und bewahrt
habe und die Einführung des modernen Strafprozeßverfahrens die Erhaltung
einer gehörigen Disziplin gegen früher erleichtern werde, wird wohl niemand
zu behaupten wagen.

Wenn wir es unternehmen, die Schwüle zu durchbrechen, die durch das
vollständige Schweigen der Regierung dem Reichstagsbeschlusse gegenüber ent¬
standen ist, so verfolgen wir damit den doppelten Zweck, neben der Aufstellung
positiver Änderungsvorschläge die Punkte festzustellen, in denen Änderungen
durch das militärische Interesse des Heeres verboten sind, bei denen daher,
falls eine Reichsstrafprvzeßordnnng für die deutsche Armee zu stände kommen
soll, die Bundesregierungen und die Mehrheit des Reichstages einig zusammen¬
stehen müssen. Es ist wohl möglich, daß vorläufig nicht alle diese Punkte der
Neichstagsmehrheit genehm sind, die deu Beschluß vom 11. November gefaßt
hat. Umso besser ist es dann, wenn schon jetzt einige Znknnftsträume dieser
Mehrheit zerstört oder wenigstens getrübt werden.

Vielleicht denkt einer oder der andre, wenn er den in Rede stehenden
Reichstagsbeschluß gelesen hat, die Regierung solle ersucht werden, die deutsche
Strafprozeßordnung für Zivilgerichte auch für die Militärgerichte unter
entsprechender Organisation der letztern für anwendbar zu erklären. Dieser
Gedanke, der wohl zweifellos von der Mehrheit des Reichstages nicht beab¬
sichtigt war, kann nicht entschieden geung zurückgewiesen werden. Eines schickt
sich nicht für alle. Das deutsche Heer ist allerdings ein Vvlksheer, aber nicht


Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung

wenig, daß das Verfahren der preußischen Strafgerichtsordnnng vom 3. April
1845 Mängel hat, die eine Änderung wünschenswert erscheinen lassen. Trotzdem
hat es uns peinlich berührt, daß sich bei der Beratung, die dem er¬
wähnten Beschlusse vorherging, nur tadelnde Stimmen über das bisherige Straf¬
verfahren erhoben haben, und sich niemand gefunden hat, der daran erinnerte,
daß unter diesem oft geschmähten Verfahren das preußische Heer zu einem Vor¬
bilde für die Heere von ganz Europa, ja der ganzen gebildeten Welt geworden
ist. Wenn man bedenkt, daß nächst der technischen Ausbildung der Truppen
die Erzielung eiuer gehörigen Disziplin die Hauptsache für die Heranbildung
eines tüchtigen, schlagfertigen Heeres ist, und wenn man weiter erwägt, daß
eine schlechte Strafrechtspflege ganz besonders geeignet ist, die Disziplin eiuer
Truppe zu untergraben — ist doch oft schon eine ungerechte mündliche Rüge
geeignet, das Vertrauen und die Zufriedenheit des Untergebenen zu vermindern
und ihn zur Widersetzlichkeit anzuregen, um wie viel mehr eine ungerechte
gerichtliche Bestrafung! —, so wird man zu denn Schlüsse kommen, daß das
bisherige Strafverfahren die Disziplin des preußischen Heeres wenigstens nicht
geschädigt haben kann. Wird an eine Änderung gegangen, so muß bei jedem
Punkte sorgfältig erwogen werden, wie die Neuerungen einzurichten sind, damit
die Disziplin darunter nicht leide. Denn daß das preußische Heer trotz des
bisherigen Strafverfahrens seine mustergiltige Disziplin erlangt und bewahrt
habe und die Einführung des modernen Strafprozeßverfahrens die Erhaltung
einer gehörigen Disziplin gegen früher erleichtern werde, wird wohl niemand
zu behaupten wagen.

Wenn wir es unternehmen, die Schwüle zu durchbrechen, die durch das
vollständige Schweigen der Regierung dem Reichstagsbeschlusse gegenüber ent¬
standen ist, so verfolgen wir damit den doppelten Zweck, neben der Aufstellung
positiver Änderungsvorschläge die Punkte festzustellen, in denen Änderungen
durch das militärische Interesse des Heeres verboten sind, bei denen daher,
falls eine Reichsstrafprvzeßordnnng für die deutsche Armee zu stände kommen
soll, die Bundesregierungen und die Mehrheit des Reichstages einig zusammen¬
stehen müssen. Es ist wohl möglich, daß vorläufig nicht alle diese Punkte der
Neichstagsmehrheit genehm sind, die deu Beschluß vom 11. November gefaßt
hat. Umso besser ist es dann, wenn schon jetzt einige Znknnftsträume dieser
Mehrheit zerstört oder wenigstens getrübt werden.

Vielleicht denkt einer oder der andre, wenn er den in Rede stehenden
Reichstagsbeschluß gelesen hat, die Regierung solle ersucht werden, die deutsche
Strafprozeßordnung für Zivilgerichte auch für die Militärgerichte unter
entsprechender Organisation der letztern für anwendbar zu erklären. Dieser
Gedanke, der wohl zweifellos von der Mehrheit des Reichstages nicht beab¬
sichtigt war, kann nicht entschieden geung zurückgewiesen werden. Eines schickt
sich nicht für alle. Das deutsche Heer ist allerdings ein Vvlksheer, aber nicht


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[0316] Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung wenig, daß das Verfahren der preußischen Strafgerichtsordnnng vom 3. April 1845 Mängel hat, die eine Änderung wünschenswert erscheinen lassen. Trotzdem hat es uns peinlich berührt, daß sich bei der Beratung, die dem er¬ wähnten Beschlusse vorherging, nur tadelnde Stimmen über das bisherige Straf¬ verfahren erhoben haben, und sich niemand gefunden hat, der daran erinnerte, daß unter diesem oft geschmähten Verfahren das preußische Heer zu einem Vor¬ bilde für die Heere von ganz Europa, ja der ganzen gebildeten Welt geworden ist. Wenn man bedenkt, daß nächst der technischen Ausbildung der Truppen die Erzielung eiuer gehörigen Disziplin die Hauptsache für die Heranbildung eines tüchtigen, schlagfertigen Heeres ist, und wenn man weiter erwägt, daß eine schlechte Strafrechtspflege ganz besonders geeignet ist, die Disziplin eiuer Truppe zu untergraben — ist doch oft schon eine ungerechte mündliche Rüge geeignet, das Vertrauen und die Zufriedenheit des Untergebenen zu vermindern und ihn zur Widersetzlichkeit anzuregen, um wie viel mehr eine ungerechte gerichtliche Bestrafung! —, so wird man zu denn Schlüsse kommen, daß das bisherige Strafverfahren die Disziplin des preußischen Heeres wenigstens nicht geschädigt haben kann. Wird an eine Änderung gegangen, so muß bei jedem Punkte sorgfältig erwogen werden, wie die Neuerungen einzurichten sind, damit die Disziplin darunter nicht leide. Denn daß das preußische Heer trotz des bisherigen Strafverfahrens seine mustergiltige Disziplin erlangt und bewahrt habe und die Einführung des modernen Strafprozeßverfahrens die Erhaltung einer gehörigen Disziplin gegen früher erleichtern werde, wird wohl niemand zu behaupten wagen. Wenn wir es unternehmen, die Schwüle zu durchbrechen, die durch das vollständige Schweigen der Regierung dem Reichstagsbeschlusse gegenüber ent¬ standen ist, so verfolgen wir damit den doppelten Zweck, neben der Aufstellung positiver Änderungsvorschläge die Punkte festzustellen, in denen Änderungen durch das militärische Interesse des Heeres verboten sind, bei denen daher, falls eine Reichsstrafprvzeßordnnng für die deutsche Armee zu stände kommen soll, die Bundesregierungen und die Mehrheit des Reichstages einig zusammen¬ stehen müssen. Es ist wohl möglich, daß vorläufig nicht alle diese Punkte der Neichstagsmehrheit genehm sind, die deu Beschluß vom 11. November gefaßt hat. Umso besser ist es dann, wenn schon jetzt einige Znknnftsträume dieser Mehrheit zerstört oder wenigstens getrübt werden. Vielleicht denkt einer oder der andre, wenn er den in Rede stehenden Reichstagsbeschluß gelesen hat, die Regierung solle ersucht werden, die deutsche Strafprozeßordnung für Zivilgerichte auch für die Militärgerichte unter entsprechender Organisation der letztern für anwendbar zu erklären. Dieser Gedanke, der wohl zweifellos von der Mehrheit des Reichstages nicht beab¬ sichtigt war, kann nicht entschieden geung zurückgewiesen werden. Eines schickt sich nicht für alle. Das deutsche Heer ist allerdings ein Vvlksheer, aber nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/316>, abgerufen am 26.05.2024.