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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung

das Volk; der Deutsche, der in das Heer eintritt, scheidet gewissermaßen aus
dem Volke ans. Er giebt seinen bisherigen Beruf auf, um sich in den Waffen
zu üben und sich für den Krieg vorzubereiten. Er soll die technischen Fähig¬
keiten und die moralische" Eigenschaften erwerben, die ihn für den harten Kriegs¬
dienst geschickt und fähig machen. Aus diesen Aufgaben erwachsen für ihn
besondre Pflichten, und aus diesen die Möglichkeit besondrer Pflichtverletzungen,
die kleinern und größern dienstlichen Vergehen und Verbrechen. Wie die Not¬
wendigkeit der Verhütung und Ahndung dieser Verletzungen besondre Strafbe¬
stimmungen hervorgerufen hat, die in dem deutschen Militärstrafgesetzbuch
zusammengestellt sind, so erfordert auch das Vorhandensein uuabweislicher mili¬
tärischer Rücksichten besonders organisirte Gerichte lind ein die militärischen
Rücksichten schützendes besondres Verfahren. Hierzu kommt aber noch folgendes:
die Organisation der Zivilstrafgerichte lind die dabei Anwendung findende deutsche
Strafprozeßordnung ist nicht die Verwirklichung eines unantastbaren Ideals,
sie ist vielmehr das Ergebnis vielfachen VerHandelns zwischen den gesetzgebenden
Gewalten und gegenseitigen Nachgebells derselben, bei dem wichtige Grundsätze
durchbrochen oder willkürlich beseitigt worden sind. Je weniger die Reform
der Militärstrafprozeßordnnng sich an die Strafprozeßordnung für die Zivil¬
gerichte anlehnen wird, desto freier wird sie den praktischen und militärischen
Rücksichten Rechnung tragen können.

Das Gesagte begründet allerdings vorläufig nur die Notwendigkeit beson¬
derer Militärgerichte und eines besondern Verfahrens für militärische Dienst¬
vergehen. Ist über für diese die Notwendigkeit besondrer Gerichte vorhanden,
dann ergiebt sich die regelmäßige Ausdehnung der Zuständigkeit der Militär¬
gerichte auch auf nicht dienstliche Vergehen der Militärpersonen ans rein
Praktischen Gründen. Dem bürgerlichen Strafgesetzbuch unterliegende Vergehen
der Militärpersonen sind vielfach mit dienstlichen Rücksichten verquickt, konkur-
riren aber außerdem oft derart mit dienstlichen Vergehen ideal oder real, daß
ihre Überweisung vor das ordentliche Zivilgericht aus materiellen oder formellen
Gründen nicht angeht. Es ist dies auch von der Mehrheit des Reichstages
durch Ablehnung des weitergehenden Nickertschen Antrages anerkannt worden.
Wo aber jedes militärisch-dienstliche Interesse fehlt, nur ein nicht dienstliches
Vergehen einer Miliärpersvn dnrch das Militärgericht zur Bestrafung zu
bringen, da müssen Mittel und Wege gefunden werden, es dem ordentlichen
Zivilgericht zuzuweisen.

Was für militärische Rücksichten sollte" wohl dazu drängen, daß ein in
seinem Heimatsort auf Urlaub befindlicher Soldat, der dort eine Brandstiftung
"der einen Giftmord begeht, oder daß eine Militärpersvn, die in einem
Zivilprozeß, der dienstlichen Verhältnissen ganz fern liegt, z. B. in einem Erb¬
schaftsstreit oder einem Alimeiitenprozeß, einen Meineid leistet, durch das
Militärgericht abgeurteilt werde? Wir glauben, daß jeder militärische Gerichts-


Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung

das Volk; der Deutsche, der in das Heer eintritt, scheidet gewissermaßen aus
dem Volke ans. Er giebt seinen bisherigen Beruf auf, um sich in den Waffen
zu üben und sich für den Krieg vorzubereiten. Er soll die technischen Fähig¬
keiten und die moralische« Eigenschaften erwerben, die ihn für den harten Kriegs¬
dienst geschickt und fähig machen. Aus diesen Aufgaben erwachsen für ihn
besondre Pflichten, und aus diesen die Möglichkeit besondrer Pflichtverletzungen,
die kleinern und größern dienstlichen Vergehen und Verbrechen. Wie die Not¬
wendigkeit der Verhütung und Ahndung dieser Verletzungen besondre Strafbe¬
stimmungen hervorgerufen hat, die in dem deutschen Militärstrafgesetzbuch
zusammengestellt sind, so erfordert auch das Vorhandensein uuabweislicher mili¬
tärischer Rücksichten besonders organisirte Gerichte lind ein die militärischen
Rücksichten schützendes besondres Verfahren. Hierzu kommt aber noch folgendes:
die Organisation der Zivilstrafgerichte lind die dabei Anwendung findende deutsche
Strafprozeßordnung ist nicht die Verwirklichung eines unantastbaren Ideals,
sie ist vielmehr das Ergebnis vielfachen VerHandelns zwischen den gesetzgebenden
Gewalten und gegenseitigen Nachgebells derselben, bei dem wichtige Grundsätze
durchbrochen oder willkürlich beseitigt worden sind. Je weniger die Reform
der Militärstrafprozeßordnnng sich an die Strafprozeßordnung für die Zivil¬
gerichte anlehnen wird, desto freier wird sie den praktischen und militärischen
Rücksichten Rechnung tragen können.

Das Gesagte begründet allerdings vorläufig nur die Notwendigkeit beson¬
derer Militärgerichte und eines besondern Verfahrens für militärische Dienst¬
vergehen. Ist über für diese die Notwendigkeit besondrer Gerichte vorhanden,
dann ergiebt sich die regelmäßige Ausdehnung der Zuständigkeit der Militär¬
gerichte auch auf nicht dienstliche Vergehen der Militärpersonen ans rein
Praktischen Gründen. Dem bürgerlichen Strafgesetzbuch unterliegende Vergehen
der Militärpersonen sind vielfach mit dienstlichen Rücksichten verquickt, konkur-
riren aber außerdem oft derart mit dienstlichen Vergehen ideal oder real, daß
ihre Überweisung vor das ordentliche Zivilgericht aus materiellen oder formellen
Gründen nicht angeht. Es ist dies auch von der Mehrheit des Reichstages
durch Ablehnung des weitergehenden Nickertschen Antrages anerkannt worden.
Wo aber jedes militärisch-dienstliche Interesse fehlt, nur ein nicht dienstliches
Vergehen einer Miliärpersvn dnrch das Militärgericht zur Bestrafung zu
bringen, da müssen Mittel und Wege gefunden werden, es dem ordentlichen
Zivilgericht zuzuweisen.

Was für militärische Rücksichten sollte« wohl dazu drängen, daß ein in
seinem Heimatsort auf Urlaub befindlicher Soldat, der dort eine Brandstiftung
"der einen Giftmord begeht, oder daß eine Militärpersvn, die in einem
Zivilprozeß, der dienstlichen Verhältnissen ganz fern liegt, z. B. in einem Erb¬
schaftsstreit oder einem Alimeiitenprozeß, einen Meineid leistet, durch das
Militärgericht abgeurteilt werde? Wir glauben, daß jeder militärische Gerichts-


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[0317] Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung das Volk; der Deutsche, der in das Heer eintritt, scheidet gewissermaßen aus dem Volke ans. Er giebt seinen bisherigen Beruf auf, um sich in den Waffen zu üben und sich für den Krieg vorzubereiten. Er soll die technischen Fähig¬ keiten und die moralische« Eigenschaften erwerben, die ihn für den harten Kriegs¬ dienst geschickt und fähig machen. Aus diesen Aufgaben erwachsen für ihn besondre Pflichten, und aus diesen die Möglichkeit besondrer Pflichtverletzungen, die kleinern und größern dienstlichen Vergehen und Verbrechen. Wie die Not¬ wendigkeit der Verhütung und Ahndung dieser Verletzungen besondre Strafbe¬ stimmungen hervorgerufen hat, die in dem deutschen Militärstrafgesetzbuch zusammengestellt sind, so erfordert auch das Vorhandensein uuabweislicher mili¬ tärischer Rücksichten besonders organisirte Gerichte lind ein die militärischen Rücksichten schützendes besondres Verfahren. Hierzu kommt aber noch folgendes: die Organisation der Zivilstrafgerichte lind die dabei Anwendung findende deutsche Strafprozeßordnung ist nicht die Verwirklichung eines unantastbaren Ideals, sie ist vielmehr das Ergebnis vielfachen VerHandelns zwischen den gesetzgebenden Gewalten und gegenseitigen Nachgebells derselben, bei dem wichtige Grundsätze durchbrochen oder willkürlich beseitigt worden sind. Je weniger die Reform der Militärstrafprozeßordnnng sich an die Strafprozeßordnung für die Zivil¬ gerichte anlehnen wird, desto freier wird sie den praktischen und militärischen Rücksichten Rechnung tragen können. Das Gesagte begründet allerdings vorläufig nur die Notwendigkeit beson¬ derer Militärgerichte und eines besondern Verfahrens für militärische Dienst¬ vergehen. Ist über für diese die Notwendigkeit besondrer Gerichte vorhanden, dann ergiebt sich die regelmäßige Ausdehnung der Zuständigkeit der Militär¬ gerichte auch auf nicht dienstliche Vergehen der Militärpersonen ans rein Praktischen Gründen. Dem bürgerlichen Strafgesetzbuch unterliegende Vergehen der Militärpersonen sind vielfach mit dienstlichen Rücksichten verquickt, konkur- riren aber außerdem oft derart mit dienstlichen Vergehen ideal oder real, daß ihre Überweisung vor das ordentliche Zivilgericht aus materiellen oder formellen Gründen nicht angeht. Es ist dies auch von der Mehrheit des Reichstages durch Ablehnung des weitergehenden Nickertschen Antrages anerkannt worden. Wo aber jedes militärisch-dienstliche Interesse fehlt, nur ein nicht dienstliches Vergehen einer Miliärpersvn dnrch das Militärgericht zur Bestrafung zu bringen, da müssen Mittel und Wege gefunden werden, es dem ordentlichen Zivilgericht zuzuweisen. Was für militärische Rücksichten sollte« wohl dazu drängen, daß ein in seinem Heimatsort auf Urlaub befindlicher Soldat, der dort eine Brandstiftung "der einen Giftmord begeht, oder daß eine Militärpersvn, die in einem Zivilprozeß, der dienstlichen Verhältnissen ganz fern liegt, z. B. in einem Erb¬ schaftsstreit oder einem Alimeiitenprozeß, einen Meineid leistet, durch das Militärgericht abgeurteilt werde? Wir glauben, daß jeder militärische Gerichts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/317>, abgerufen am 17.06.2024.