Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Humor und Komik in der griechischen Annst

das stumpfnasige Gesicht mit den breiten Backenknochen und den wulstigen
Lippen geht über der Stirn in eine Glatze ans, die Haare des Hinterkopfes
und der lange Bart sind wild und struppig; tierische Ohren und ein langer
Pferdeschwanz vollenden das Groteske der Erscheinung, deren Bewegungen und
Gebahren ihren tierischen Attributen durchaus entsprechen. Diesen Sntyrtypns,
der nicht bloß komisch, sondern meist geradezu häßlich ist, hat die spätere Kunst
freilich gemildert und verändert, ja sogar bisweilen so sehr verschönt, daß in
der herrlichsten Sathrbildung des Altertums, dein ans praxitelische Schule
zurückgehenden Typus des ausruhenden Satyrs, beinahe ein reines Schönheits¬
ideal erreicht wäre, wenn nicht die beibehaltnen spitzen Ohren und das etwas
unedle Profil uns den Waldmenschen, der mit seineu tierischen Instinkten
unterhalb des Meuscheu steht, verrieten, ki "endlich mannichfaltig sind die lustigen
Situationen, in denen wir diesen Satyrn begegnen. Bald geben sie sich mit
den andern Gefährten des dionysischen Kreises dem muntersten Treiben hin,
tanzen, trinke", spielen Flöte oder treten den Kuckuck, schlagen die Cymbeln
oder Castagnetten; bald suchen sie vorsichtigen Schrittes schöne Nymphen zu
überraschen oder jagen ihnen nach, ja lassen bei ihren verliebten Streifzügen
selbst die Damen der obern Götterwelt nicht unverfolgt, wobei sie dann freilich
bald genug in die ihnen gebührenden Schranken zurückgewiesen werden; bald
ergeben sie sich behaglichem Nichtsthun, tändeln mit den Panthern oder schlafen
ihren Rausch aus; bald beschäftigen sie sich mit den nützlichen Arbeiten der
Weinlese oder der Traubenkelter u. s. w. Meist merkt mau sehr bald, daß
man sich uicht gerade in der besten Gesellschaft befindet, ihr Benehmen ist noch
etwas ungenirter als das der attischen.jouruZWö ckorvo, wenn sie, vom Trink¬
gelage kommend, nächtlicher Weile lärmend durch die Straßen zog. Aber
so roh und ungezogen die Bursche sind, so oft man sich auch versucht fühlt,
ihnen ein sittlich entrüstetes Pfui! zuzurufen, so zeigen sie doch meist einen
so drolligen, urwüchsigen Humor dabei, sind so komisch in ihrer derben Wein¬
laune, in ihren täppisch-burlesken Bewegungen, daß man ihnen nicht gram
sein kann. In manchen dieser Szenen haben wir Reminiszenzen an das Satyr¬
drama der griechischen Bühne zu sehn; aber es sind in den meisten Fällen
nicht Nachbildungen des theatralischen Vorganges, denn die Satyrn im Satyr¬
spiele traten, wie wir wissen, in einem etwas abweichenden Äußern auf, sondern
freierfundne Kompositionen, die nnr vom Satyrspiel Anregungen empfangen
haben. Auf dieses geht es namentlich zurück, wenn wir die Satyrn mit andern
mythischen Persönlichkeiten verknüpft finden. Bei den Abenteuern ihres Schutz¬
patrons Dionysos fehlen sie natürlich auch nicht, sie begleiten ihn nach Indien,
sie sind zugegen, wenn er die schlafende Ariadne überrascht; und ganz besonders
köstlich zeigt sich die mit der eingebornen Wildheit der Hnlbmenschcn verbundne
Lustigkeit in dein köstlichen Fries vom Denkmal des Lysikrates in Athen, wo
sie die Seeräuber peinigen und ins Meer jagen "lud in dem Behagen, einmal


Humor und Komik in der griechischen Annst

das stumpfnasige Gesicht mit den breiten Backenknochen und den wulstigen
Lippen geht über der Stirn in eine Glatze ans, die Haare des Hinterkopfes
und der lange Bart sind wild und struppig; tierische Ohren und ein langer
Pferdeschwanz vollenden das Groteske der Erscheinung, deren Bewegungen und
Gebahren ihren tierischen Attributen durchaus entsprechen. Diesen Sntyrtypns,
der nicht bloß komisch, sondern meist geradezu häßlich ist, hat die spätere Kunst
freilich gemildert und verändert, ja sogar bisweilen so sehr verschönt, daß in
der herrlichsten Sathrbildung des Altertums, dein ans praxitelische Schule
zurückgehenden Typus des ausruhenden Satyrs, beinahe ein reines Schönheits¬
ideal erreicht wäre, wenn nicht die beibehaltnen spitzen Ohren und das etwas
unedle Profil uns den Waldmenschen, der mit seineu tierischen Instinkten
unterhalb des Meuscheu steht, verrieten, ki »endlich mannichfaltig sind die lustigen
Situationen, in denen wir diesen Satyrn begegnen. Bald geben sie sich mit
den andern Gefährten des dionysischen Kreises dem muntersten Treiben hin,
tanzen, trinke», spielen Flöte oder treten den Kuckuck, schlagen die Cymbeln
oder Castagnetten; bald suchen sie vorsichtigen Schrittes schöne Nymphen zu
überraschen oder jagen ihnen nach, ja lassen bei ihren verliebten Streifzügen
selbst die Damen der obern Götterwelt nicht unverfolgt, wobei sie dann freilich
bald genug in die ihnen gebührenden Schranken zurückgewiesen werden; bald
ergeben sie sich behaglichem Nichtsthun, tändeln mit den Panthern oder schlafen
ihren Rausch aus; bald beschäftigen sie sich mit den nützlichen Arbeiten der
Weinlese oder der Traubenkelter u. s. w. Meist merkt mau sehr bald, daß
man sich uicht gerade in der besten Gesellschaft befindet, ihr Benehmen ist noch
etwas ungenirter als das der attischen.jouruZWö ckorvo, wenn sie, vom Trink¬
gelage kommend, nächtlicher Weile lärmend durch die Straßen zog. Aber
so roh und ungezogen die Bursche sind, so oft man sich auch versucht fühlt,
ihnen ein sittlich entrüstetes Pfui! zuzurufen, so zeigen sie doch meist einen
so drolligen, urwüchsigen Humor dabei, sind so komisch in ihrer derben Wein¬
laune, in ihren täppisch-burlesken Bewegungen, daß man ihnen nicht gram
sein kann. In manchen dieser Szenen haben wir Reminiszenzen an das Satyr¬
drama der griechischen Bühne zu sehn; aber es sind in den meisten Fällen
nicht Nachbildungen des theatralischen Vorganges, denn die Satyrn im Satyr¬
spiele traten, wie wir wissen, in einem etwas abweichenden Äußern auf, sondern
freierfundne Kompositionen, die nnr vom Satyrspiel Anregungen empfangen
haben. Auf dieses geht es namentlich zurück, wenn wir die Satyrn mit andern
mythischen Persönlichkeiten verknüpft finden. Bei den Abenteuern ihres Schutz¬
patrons Dionysos fehlen sie natürlich auch nicht, sie begleiten ihn nach Indien,
sie sind zugegen, wenn er die schlafende Ariadne überrascht; und ganz besonders
köstlich zeigt sich die mit der eingebornen Wildheit der Hnlbmenschcn verbundne
Lustigkeit in dein köstlichen Fries vom Denkmal des Lysikrates in Athen, wo
sie die Seeräuber peinigen und ins Meer jagen »lud in dem Behagen, einmal


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206987"/>
          <fw type="header" place="top"> Humor und Komik in der griechischen Annst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_897" prev="#ID_896" next="#ID_898"> das stumpfnasige Gesicht mit den breiten Backenknochen und den wulstigen<lb/>
Lippen geht über der Stirn in eine Glatze ans, die Haare des Hinterkopfes<lb/>
und der lange Bart sind wild und struppig; tierische Ohren und ein langer<lb/>
Pferdeschwanz vollenden das Groteske der Erscheinung, deren Bewegungen und<lb/>
Gebahren ihren tierischen Attributen durchaus entsprechen. Diesen Sntyrtypns,<lb/>
der nicht bloß komisch, sondern meist geradezu häßlich ist, hat die spätere Kunst<lb/>
freilich gemildert und verändert, ja sogar bisweilen so sehr verschönt, daß in<lb/>
der herrlichsten Sathrbildung des Altertums, dein ans praxitelische Schule<lb/>
zurückgehenden Typus des ausruhenden Satyrs, beinahe ein reines Schönheits¬<lb/>
ideal erreicht wäre, wenn nicht die beibehaltnen spitzen Ohren und das etwas<lb/>
unedle Profil uns den Waldmenschen, der mit seineu tierischen Instinkten<lb/>
unterhalb des Meuscheu steht, verrieten, ki »endlich mannichfaltig sind die lustigen<lb/>
Situationen, in denen wir diesen Satyrn begegnen. Bald geben sie sich mit<lb/>
den andern Gefährten des dionysischen Kreises dem muntersten Treiben hin,<lb/>
tanzen, trinke», spielen Flöte oder treten den Kuckuck, schlagen die Cymbeln<lb/>
oder Castagnetten; bald suchen sie vorsichtigen Schrittes schöne Nymphen zu<lb/>
überraschen oder jagen ihnen nach, ja lassen bei ihren verliebten Streifzügen<lb/>
selbst die Damen der obern Götterwelt nicht unverfolgt, wobei sie dann freilich<lb/>
bald genug in die ihnen gebührenden Schranken zurückgewiesen werden; bald<lb/>
ergeben sie sich behaglichem Nichtsthun, tändeln mit den Panthern oder schlafen<lb/>
ihren Rausch aus; bald beschäftigen sie sich mit den nützlichen Arbeiten der<lb/>
Weinlese oder der Traubenkelter u. s. w. Meist merkt mau sehr bald, daß<lb/>
man sich uicht gerade in der besten Gesellschaft befindet, ihr Benehmen ist noch<lb/>
etwas ungenirter als das der attischen.jouruZWö ckorvo, wenn sie, vom Trink¬<lb/>
gelage kommend, nächtlicher Weile lärmend durch die Straßen zog. Aber<lb/>
so roh und ungezogen die Bursche sind, so oft man sich auch versucht fühlt,<lb/>
ihnen ein sittlich entrüstetes Pfui! zuzurufen, so zeigen sie doch meist einen<lb/>
so drolligen, urwüchsigen Humor dabei, sind so komisch in ihrer derben Wein¬<lb/>
laune, in ihren täppisch-burlesken Bewegungen, daß man ihnen nicht gram<lb/>
sein kann. In manchen dieser Szenen haben wir Reminiszenzen an das Satyr¬<lb/>
drama der griechischen Bühne zu sehn; aber es sind in den meisten Fällen<lb/>
nicht Nachbildungen des theatralischen Vorganges, denn die Satyrn im Satyr¬<lb/>
spiele traten, wie wir wissen, in einem etwas abweichenden Äußern auf, sondern<lb/>
freierfundne Kompositionen, die nnr vom Satyrspiel Anregungen empfangen<lb/>
haben. Auf dieses geht es namentlich zurück, wenn wir die Satyrn mit andern<lb/>
mythischen Persönlichkeiten verknüpft finden. Bei den Abenteuern ihres Schutz¬<lb/>
patrons Dionysos fehlen sie natürlich auch nicht, sie begleiten ihn nach Indien,<lb/>
sie sind zugegen, wenn er die schlafende Ariadne überrascht; und ganz besonders<lb/>
köstlich zeigt sich die mit der eingebornen Wildheit der Hnlbmenschcn verbundne<lb/>
Lustigkeit in dein köstlichen Fries vom Denkmal des Lysikrates in Athen, wo<lb/>
sie die Seeräuber peinigen und ins Meer jagen »lud in dem Behagen, einmal</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0342] Humor und Komik in der griechischen Annst das stumpfnasige Gesicht mit den breiten Backenknochen und den wulstigen Lippen geht über der Stirn in eine Glatze ans, die Haare des Hinterkopfes und der lange Bart sind wild und struppig; tierische Ohren und ein langer Pferdeschwanz vollenden das Groteske der Erscheinung, deren Bewegungen und Gebahren ihren tierischen Attributen durchaus entsprechen. Diesen Sntyrtypns, der nicht bloß komisch, sondern meist geradezu häßlich ist, hat die spätere Kunst freilich gemildert und verändert, ja sogar bisweilen so sehr verschönt, daß in der herrlichsten Sathrbildung des Altertums, dein ans praxitelische Schule zurückgehenden Typus des ausruhenden Satyrs, beinahe ein reines Schönheits¬ ideal erreicht wäre, wenn nicht die beibehaltnen spitzen Ohren und das etwas unedle Profil uns den Waldmenschen, der mit seineu tierischen Instinkten unterhalb des Meuscheu steht, verrieten, ki »endlich mannichfaltig sind die lustigen Situationen, in denen wir diesen Satyrn begegnen. Bald geben sie sich mit den andern Gefährten des dionysischen Kreises dem muntersten Treiben hin, tanzen, trinke», spielen Flöte oder treten den Kuckuck, schlagen die Cymbeln oder Castagnetten; bald suchen sie vorsichtigen Schrittes schöne Nymphen zu überraschen oder jagen ihnen nach, ja lassen bei ihren verliebten Streifzügen selbst die Damen der obern Götterwelt nicht unverfolgt, wobei sie dann freilich bald genug in die ihnen gebührenden Schranken zurückgewiesen werden; bald ergeben sie sich behaglichem Nichtsthun, tändeln mit den Panthern oder schlafen ihren Rausch aus; bald beschäftigen sie sich mit den nützlichen Arbeiten der Weinlese oder der Traubenkelter u. s. w. Meist merkt mau sehr bald, daß man sich uicht gerade in der besten Gesellschaft befindet, ihr Benehmen ist noch etwas ungenirter als das der attischen.jouruZWö ckorvo, wenn sie, vom Trink¬ gelage kommend, nächtlicher Weile lärmend durch die Straßen zog. Aber so roh und ungezogen die Bursche sind, so oft man sich auch versucht fühlt, ihnen ein sittlich entrüstetes Pfui! zuzurufen, so zeigen sie doch meist einen so drolligen, urwüchsigen Humor dabei, sind so komisch in ihrer derben Wein¬ laune, in ihren täppisch-burlesken Bewegungen, daß man ihnen nicht gram sein kann. In manchen dieser Szenen haben wir Reminiszenzen an das Satyr¬ drama der griechischen Bühne zu sehn; aber es sind in den meisten Fällen nicht Nachbildungen des theatralischen Vorganges, denn die Satyrn im Satyr¬ spiele traten, wie wir wissen, in einem etwas abweichenden Äußern auf, sondern freierfundne Kompositionen, die nnr vom Satyrspiel Anregungen empfangen haben. Auf dieses geht es namentlich zurück, wenn wir die Satyrn mit andern mythischen Persönlichkeiten verknüpft finden. Bei den Abenteuern ihres Schutz¬ patrons Dionysos fehlen sie natürlich auch nicht, sie begleiten ihn nach Indien, sie sind zugegen, wenn er die schlafende Ariadne überrascht; und ganz besonders köstlich zeigt sich die mit der eingebornen Wildheit der Hnlbmenschcn verbundne Lustigkeit in dein köstlichen Fries vom Denkmal des Lysikrates in Athen, wo sie die Seeräuber peinigen und ins Meer jagen »lud in dem Behagen, einmal

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/342
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/342>, abgerufen am 17.06.2024.