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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Militärpflicht der Mediziner

Überzeugung nach --, daß dieses die kürzeste Frist ist, in der das Ziel erreicht
werden kann. Den einjährig-freiwilligen Mediziner entläßt man aber nach
einem halben Jahre, also nnr halb fertig. Gerade in dem Augenblicke, wo er
sich in seinem Rocke heimisch fühlt, muß er ihn wieder ablegen. Er tritt
dann allerdings noch einmal wieder für ein halbes Jahr ein, aber erst nach
Jahren, nach dem Examen und zu einer Zeit, wo er von dem Stolze, etwas
Rechtes zu wissen und zu können, ganz und gar durchdrungen ist, sodaß er für
weitere soldatische Ausbildung keinen Sinn hat. Daher sind die Einjährig-
Freiwilligenärzte die unglückseligsten Soldaten, die man sich denken kann. Von
den Äußerlichkeiten will ich hier ganz absehen, von Haltung, Anzug, Grüßen
n. s. w. gar nicht weiter sprechen, nur den Kern der Sache Null ich berühren.
Gleich beim ersten Revierdienst macht der einjährige Arzt die unangenehme
Erfahrung (wenn er ehrlich sein Null), daß er nicht weiß, wie er sich den
Unteroffizieren gegenüber, die die Kranken herbeiführen, Verhalten soll. Kamerad¬
schaftlich mag er nicht, und als Vorgesetzter kaun er uicht auftreten. Natürlich
entsteht so im dienstlichen Verkehr eine Unsicherheit, aus der die meisten nicht
wieder Herauskommen. Und wie gegen den Untergebenen, lernt der einjährige
Arzt sich auch gegen den Vorgesetzten nicht militärisch richtig benehmen. Mili¬
tärisches Wesen ist niemand angeboren, es muß anerzogen werden, es gehört
Übung dazu. Diese Übung erwirbt sich der Soldat, der junge Offizier im
Kreise seiner Kameraden -- der einjährige Arzt hat keine Kameraden; denn
gesetzt auch, daß in derselben Garnison noch andre einjährige Ärzte sind, so
schließen sie sich schon deshalb nirgends kameradschaftlich zusammen, weil sie
sich nicht lauge genug kennen, und dann natürlich auch, weil sie uoch ihre
studentischen Anschauungen über die Verkehrsfähigkeit des andern bewahren.
Leider kommen ja auch die Mediziner aus den allerverschiedensten Gesellschafts¬
klassen her, und es geht uns nicht ebenso gut wie den Offizieren, die gegen¬
seitig von einander annehmen dürfen, daß ihre Kameraden aus guter Familie
stammen, "guter Leute Kind" sind. Wie also der einjährige Arzt sich im
Kreise der Kameraden militärisch nicht weiterbilden kann, so kann er es auch
nicht, wem: er sich an den Vorgesetzten wendet. Von den ältern Herren kann
er natürlich immer sicher sein, Ratschläge zu bekommen, aber mit ihm ver¬
kehre" werdeu sie nicht, und die jüngern haben ganz andre Dinge im Kopfe,
als sich liebevoll der Erziehung einjähriger Ärzte zu widmen.

2. Das würde sich alles anders gestalten, wenn der Mediziner, nachdem
er ein Jahr als Soldat gedient hat, wieder zu Uuteroffiziersübungen eingezogen
würde. Sein "Kollege von der andern Fakultät" genießt diesen Vorteil, tap
er in Beziehung zum Heere bleibt, daß man seine Lernjahre benutzt, um ihn
auch für seinen spätern Stand als Reserveoffizier auszubilden und ihm die
Fähigkeit beizubringen, wie ein Soldat fühlen und handeln zu können. Den
angehenden Arzt aber überläßt man vier bis fünf Jahre ganz und gar der


Die Militärpflicht der Mediziner

Überzeugung nach —, daß dieses die kürzeste Frist ist, in der das Ziel erreicht
werden kann. Den einjährig-freiwilligen Mediziner entläßt man aber nach
einem halben Jahre, also nnr halb fertig. Gerade in dem Augenblicke, wo er
sich in seinem Rocke heimisch fühlt, muß er ihn wieder ablegen. Er tritt
dann allerdings noch einmal wieder für ein halbes Jahr ein, aber erst nach
Jahren, nach dem Examen und zu einer Zeit, wo er von dem Stolze, etwas
Rechtes zu wissen und zu können, ganz und gar durchdrungen ist, sodaß er für
weitere soldatische Ausbildung keinen Sinn hat. Daher sind die Einjährig-
Freiwilligenärzte die unglückseligsten Soldaten, die man sich denken kann. Von
den Äußerlichkeiten will ich hier ganz absehen, von Haltung, Anzug, Grüßen
n. s. w. gar nicht weiter sprechen, nur den Kern der Sache Null ich berühren.
Gleich beim ersten Revierdienst macht der einjährige Arzt die unangenehme
Erfahrung (wenn er ehrlich sein Null), daß er nicht weiß, wie er sich den
Unteroffizieren gegenüber, die die Kranken herbeiführen, Verhalten soll. Kamerad¬
schaftlich mag er nicht, und als Vorgesetzter kaun er uicht auftreten. Natürlich
entsteht so im dienstlichen Verkehr eine Unsicherheit, aus der die meisten nicht
wieder Herauskommen. Und wie gegen den Untergebenen, lernt der einjährige
Arzt sich auch gegen den Vorgesetzten nicht militärisch richtig benehmen. Mili¬
tärisches Wesen ist niemand angeboren, es muß anerzogen werden, es gehört
Übung dazu. Diese Übung erwirbt sich der Soldat, der junge Offizier im
Kreise seiner Kameraden — der einjährige Arzt hat keine Kameraden; denn
gesetzt auch, daß in derselben Garnison noch andre einjährige Ärzte sind, so
schließen sie sich schon deshalb nirgends kameradschaftlich zusammen, weil sie
sich nicht lauge genug kennen, und dann natürlich auch, weil sie uoch ihre
studentischen Anschauungen über die Verkehrsfähigkeit des andern bewahren.
Leider kommen ja auch die Mediziner aus den allerverschiedensten Gesellschafts¬
klassen her, und es geht uns nicht ebenso gut wie den Offizieren, die gegen¬
seitig von einander annehmen dürfen, daß ihre Kameraden aus guter Familie
stammen, „guter Leute Kind" sind. Wie also der einjährige Arzt sich im
Kreise der Kameraden militärisch nicht weiterbilden kann, so kann er es auch
nicht, wem: er sich an den Vorgesetzten wendet. Von den ältern Herren kann
er natürlich immer sicher sein, Ratschläge zu bekommen, aber mit ihm ver¬
kehre» werdeu sie nicht, und die jüngern haben ganz andre Dinge im Kopfe,
als sich liebevoll der Erziehung einjähriger Ärzte zu widmen.

2. Das würde sich alles anders gestalten, wenn der Mediziner, nachdem
er ein Jahr als Soldat gedient hat, wieder zu Uuteroffiziersübungen eingezogen
würde. Sein „Kollege von der andern Fakultät" genießt diesen Vorteil, tap
er in Beziehung zum Heere bleibt, daß man seine Lernjahre benutzt, um ihn
auch für seinen spätern Stand als Reserveoffizier auszubilden und ihm die
Fähigkeit beizubringen, wie ein Soldat fühlen und handeln zu können. Den
angehenden Arzt aber überläßt man vier bis fünf Jahre ganz und gar der


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[0558] Die Militärpflicht der Mediziner Überzeugung nach —, daß dieses die kürzeste Frist ist, in der das Ziel erreicht werden kann. Den einjährig-freiwilligen Mediziner entläßt man aber nach einem halben Jahre, also nnr halb fertig. Gerade in dem Augenblicke, wo er sich in seinem Rocke heimisch fühlt, muß er ihn wieder ablegen. Er tritt dann allerdings noch einmal wieder für ein halbes Jahr ein, aber erst nach Jahren, nach dem Examen und zu einer Zeit, wo er von dem Stolze, etwas Rechtes zu wissen und zu können, ganz und gar durchdrungen ist, sodaß er für weitere soldatische Ausbildung keinen Sinn hat. Daher sind die Einjährig- Freiwilligenärzte die unglückseligsten Soldaten, die man sich denken kann. Von den Äußerlichkeiten will ich hier ganz absehen, von Haltung, Anzug, Grüßen n. s. w. gar nicht weiter sprechen, nur den Kern der Sache Null ich berühren. Gleich beim ersten Revierdienst macht der einjährige Arzt die unangenehme Erfahrung (wenn er ehrlich sein Null), daß er nicht weiß, wie er sich den Unteroffizieren gegenüber, die die Kranken herbeiführen, Verhalten soll. Kamerad¬ schaftlich mag er nicht, und als Vorgesetzter kaun er uicht auftreten. Natürlich entsteht so im dienstlichen Verkehr eine Unsicherheit, aus der die meisten nicht wieder Herauskommen. Und wie gegen den Untergebenen, lernt der einjährige Arzt sich auch gegen den Vorgesetzten nicht militärisch richtig benehmen. Mili¬ tärisches Wesen ist niemand angeboren, es muß anerzogen werden, es gehört Übung dazu. Diese Übung erwirbt sich der Soldat, der junge Offizier im Kreise seiner Kameraden — der einjährige Arzt hat keine Kameraden; denn gesetzt auch, daß in derselben Garnison noch andre einjährige Ärzte sind, so schließen sie sich schon deshalb nirgends kameradschaftlich zusammen, weil sie sich nicht lauge genug kennen, und dann natürlich auch, weil sie uoch ihre studentischen Anschauungen über die Verkehrsfähigkeit des andern bewahren. Leider kommen ja auch die Mediziner aus den allerverschiedensten Gesellschafts¬ klassen her, und es geht uns nicht ebenso gut wie den Offizieren, die gegen¬ seitig von einander annehmen dürfen, daß ihre Kameraden aus guter Familie stammen, „guter Leute Kind" sind. Wie also der einjährige Arzt sich im Kreise der Kameraden militärisch nicht weiterbilden kann, so kann er es auch nicht, wem: er sich an den Vorgesetzten wendet. Von den ältern Herren kann er natürlich immer sicher sein, Ratschläge zu bekommen, aber mit ihm ver¬ kehre» werdeu sie nicht, und die jüngern haben ganz andre Dinge im Kopfe, als sich liebevoll der Erziehung einjähriger Ärzte zu widmen. 2. Das würde sich alles anders gestalten, wenn der Mediziner, nachdem er ein Jahr als Soldat gedient hat, wieder zu Uuteroffiziersübungen eingezogen würde. Sein „Kollege von der andern Fakultät" genießt diesen Vorteil, tap er in Beziehung zum Heere bleibt, daß man seine Lernjahre benutzt, um ihn auch für seinen spätern Stand als Reserveoffizier auszubilden und ihm die Fähigkeit beizubringen, wie ein Soldat fühlen und handeln zu können. Den angehenden Arzt aber überläßt man vier bis fünf Jahre ganz und gar der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/558>, abgerufen am 27.05.2024.